Alles ist gut

★★

Eine Nacht, ein falscher Abzweig: Janne (Aenne Schwarz) und Martin (Hans Löw) begegnen sich nach Jahren bei einem Klassentreffen wieder. Ein bisschen zu viel Alkohol, angetrunkenes Rumschäkern, noch zusammen nach Hause gehen. Aber dann verrutscht etwas: aufgegeilt und in seiner Mannesehre gekränkt, zwingt Martin Janne zum Sex. Er hört nicht auf, obwohl die klare Botschaft „Nein“ heißt. So banal und alltäglich.

Danach ist nichts mehr gut: Janne versucht zwar das Geschehene intellektuell zu bewältigen, hat jedoch letztendlich keinen Einfluss darauf, was ihr widerfährt und wie sie darauf reagiert. Anfangs versucht sie noch, die seelische Verletzung wegzulächeln. Aber nach und nach bricht sich der unterdrückte Schmerz seine Bahn.

MACHART

Das Beste an „Alles ist gut“ ist seine Hauptdarstellerin: Aenna Schwarz als Janne. Die Burgschauspielerin schafft es, innerhalb einer Szene zwischen derber Rotzigkeit und großer Verletzlichkeit zu changieren. Aber das alleine hilft nicht: der spröde Realismus der Inszenierung ist stellenweise schwer zu ertragen. Und der dogmatische Stil. mit seinem kompletten Verzicht auf  Musik (es sei denn, sie ist Teil der Szene), macht den Film auch nicht unbedingt zugänglicher.

Es bleibt das beklemmende Gefühl, fremden Menschen unfreiwillig bei ihrem intimsten Privatleben zuschauen zu müssen.

FAZIT

Voyeurismus für Fortgeschrittene. Ein insgesamt eher quälendes Erlebnis.

Deutschland, 2018
Regie Eva Trobisch
93 min
Kinostart 27. September 2018

Ballon

★★★★

1979 gelang den Familien Strelzyk und Wetzel die gemeinsame Flucht aus der DDR – auf denkbar spektakuläre Weise mit einem selbstgenähten Heißluftballon.

MACHART

Die vor den 70er Jahren Geborenen erinnern sich, zumindest im Westen:
1979 war das die Exklusivgeschichte im Magazin STERN.

3 Jahre später nahm sich Hollywood der Verfilmung des Stoffes an. Aber schon damals, noch viele Jahre vor dem Mauerfall, ahnte man, dass dies eher eine unauthentische Disney-Interpretation der DDR war und nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben konnte.

Nun also fast 40 Jahre später Michael Bully Herbigs Version. Und die ist (wieder) Hollywoodkino in Reinform, nur dass das diesmal bitte als Lob zu verstehen ist. Obwohl der Ausgang der Geschichte hinlänglich bekannt ist, bleibt der Film durchweg spannend und hält sein Tempo vom Anfang bis zum Ende. Wie eine tickende Zeitbombe entwickelt sich das Fluchtdrama; vom ersten gescheiterten Versuch, über die allgegenwärtige Furcht von der Stasi entdeckt zu werden, bis zum glücklichen Ende. Es gibt nichts zu meckern an „Ballon“: liebevolle Ausstattung, hervorragende Darsteller, treibende Musik, Spannung bis zuletzt. Bully Herbig ist ein perfekter Actionthriller geglückt.

FAZIT

Sehr amerikanisch professionell und dabei trotzdem – auf gute Art – ganz und gar deutsch.

Deutschland, 2018
Regie Michael Bully Herbig
120 min
Kinostart 27. September 2018

Werk ohne Autor

★★★★

Elisabeth (Saskia Rosendahl) liebt ihren kleinen Neffen Kurt über alles. Doch die unkonventionelle junge Frau lebt in gefährlichen Zeiten. Während des Nationalsozialismus wird sie als schizophren diagnostiziert und später in einer Anstalt vergast. Die Folgen dieses grausamen Verbrechens begleiten Kurt (Tom Schilling) ein Leben lang.

Als junger Mann beginnt er nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine Ausbildung an der Kunsthochschule Dresden. Hier trifft er auf Ellie (Paula Beer), die beiden verlieben sich. Ellies Vater (Sebastian Koch) ist Professor Seeband, ein erfolgreicher Arzt und früherer Nazioffizier, dessen Geschichte unheilvoll mit Kurts Schicksal verknüpft ist. Nach dem Studium in der DDR wird Kurt zunächst Auftragskünstler für sozialistischen Realismus. Kurz vor Mauerbau flieht er mit Ellie in die BRD. Im Düsseldorf der 60er und frühen 70er Jahre beginnt sein Aufstieg zu einem der bekanntesten Maler seiner Generation. „Werk ohne Autor“ basiert lose auf der Lebensgeschichte des Künstlers Gerhard Richter.

MACHART

Ja, schon wieder eine Künstlerbiografie. Aber was für eine: „Werk ohne Autor“ ist zwar stellenweise grandioser Kitsch, aber auch großes, packendes Kino geworden. Mit seinem dritten Spielfilm wollte Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck keine kleinen Brötchen backen. Sex, Liebe, Kunst, Gewalt, Verbrechen, Wahnsinn, Nationalsozialismus, Krieg, deutsch-deutsche Geschichte. Das alles hat der Regisseur in sein episches, 188 Minuten langes Rehabilitationswerk gesteckt.

Ausstattung und Inszenierung bewegen sich auf höchstem Niveau. Tom Schilling, Paula Beer, Oliver Mascuti, Hanno Koffler, Lars Eidinger, Ben Becker, und, und, und. Die Schauspieler sind erste Garde und durchweg hervorragend, werden aber alle von Sebastian Koch als Professor Carl Seeband überragt. So viel Lob, da muss es natürlich auch einen Wermutstropfen geben. Und das ist überraschenderweise der Score von Max Richter. Besonders bei den eigentlich leisen, emotionalen Szenen drängt sich die Musik viel zu sehr in den Vordergrund und erzeugt so das Gegenteil von echten Gefühlen.

FAZIT

Der Künstler schnackselt gerne und oft. Das ist beneidenswert, muss aber nicht zwingend unentwegt gezeigt werden. Die Hälfte an Sexszenen hätte es auch getan.

„Werk ohne Autor“ hat keine Angst vor großen Gefühlen: drei Epochen deutscher Geschichte – mitreißend und bewegend erzählt.  Eine Hommage an die Kraft der Kunst. Empfehlenswert.

Deutschland, 2018
Regie Florian Henckel von Donnersmarck
188 min
Kinostart, pünktlich zum Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2018

Cobain

HARTES LEBEN

Mia säuft, raucht, ist heroinabhängig und hochschwanger. Eine traurige, gescheiterte Existenz.
Ihr 15-jähriger Sohn Cobain, benannt „nach einem Typen, der sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat“ – so seine eigene Einschätzung – ist ein ziellos umherirrender Teenager, der sich nach Liebe sehnt und sie nicht bekommt. Dem Jungen wird nichts geschenkt. Vom Pflegeheim für schwer Erziehbare, über eine Station bei Ökoeulen auf dem Bauernhof, bis zum Unterschlupf in der Wohnung des Zuhälters Wickmayer. Trotzdem besteht Hoffnung; Cobain kommt zwar aus zerrütteten Verhältnissen, seine Seele ist aber noch nicht vernarbt. Alles was er wirklich will, ist ein Zuhause mit seiner Mutter zu finden.

MACHART

Scheiß Pubertät! Ohnehin keine schöne Zeit im Leben, aber Cobain hat es extra schwer. Wer nach der Inhaltsangabe zum Strick greifen will: obwohl das Thema deprimierend und die Umsetzung dokumentarisch realistisch ist, vermeidet es der niederländische Film gekonnt, zu einem schwermütigen Psychogramm zu werden. Das liegt zum einen an der flirrenden, stets den Fokus suchenden Kamera von Frank van den Eeden. Aber vor allem an den beeindruckenden Schauspielern. Bas Keizer als Cobain und Naomi Velissariou als Junkie-Mutter sind echte Entdeckungen.
„Warum läufst Du mir wie ein Schoßhund hinterher?“, fragt Mia ihren Sohn. „Ich mache mir Sorgen um dich“, seine schüchterne Antwort. „Mach ich mir etwa Sorgen um dich? Na also!“
Der sechste Spielfilm von Nanouk Leopold ist eine außergewöhnliche Mutter-Sohn-Geschichte mit vertauschten Rollen. Happy End gibt es keins, aber selten gab es in einem Film ein solch hart erkämpftes, aber hoffnungsvolles Ende.

FAZIT

Keine leichte Kost. Berührender Film.

NL/B/D , 2017
Regie Nanouk Leopold
94 min
Kinostart 13. September 2018

Mackie Messer – Brechts 3Groschenfilm

BERLINER MUSICAL

Bertholt Brechts „Die Dreigroschenoper“ ist Ende der 20er-Jahre ein weltweiter Hit. Deshalb soll das Stück fürs Kino verfilmt werden. Doch der selbstbewusste Brecht (Lars Eidinger) verlangt, dass es nach seinen Regeln läuft: der Film muss radikal und kompromisslos werden. Seine fiktive Filmversion erzählt zwar auch vom Kampf des Londoner Gangsters Macheath (Tobias Moretti) gegen den Chef der Bettlermafia Peachum (Joachim Król), unterscheidet sich aber dramatisch von der Bühnenvorlage. Zu viele Änderungen, die Produktionsfirma will dem nicht folgen. Nach Brechts Meinung hat sie aber ohnehin nur den schnöden Mammon im Sinn. Also zieht er vor Gericht, um sein Recht als Autor durchzusetzen.

MACHART

Wenigstens hat sich Regisseur Lang was getraut. In einem gewagten Kunstgriff lässt er Brecht ausschließlich in seinen eigenen Worten sprechen: Alles, was dieser im Film sagt, beruht auf Zitaten. Das mag zwar ganz lehrreich sein, wirkt aber stellenweise sehr aufgesetzt. Die leider viel zu lange (130 Minuten) Verfilmung des „Dreigroschen“-Werks bietet, neben ausgezeichneter Besetzung und teilweise peppiger Inszenierung, auch eine etwas irritierende Fernsehballettchoreografie. Oder ist das ironisch gemeint?

FAZIT

Brecht goes Musical. Wunderbare Schauspieler, guter Look, moderne Bildsprache – aber es zieht sich gewaltig.

Deutschland, 2018
Regie Joachim A. Lang
136 min
Kinostart 13. September 2018