Willkommen in Marwen

Der Spielzeugkonzern Matell bringt nächstes Jahr „Barbie – der Film“ in die Kinos – in der Titelrolle beachtlicherweise Margot Robbie. Plastikpuppen mit Stecknadelbeinen, gespielt von Oscarpreisträgern? Die gibt’s schon jetzt im neuen Steve Carell-Film zu sehen. Willkommen in Marwen ist allerdings keine quietschbunte „Barbie meets Ken“-Lovestory, sondern die wahre Geschichte eines traumatisierten Mannes.
Mark Hogancamp wird von einer Horde Rechtsradikaler fast totgeprügelt. Aus dem Koma erwacht, fehlt ihm jegliche Erinnerung an sein früheres Leben. Zur Therapie erschafft er sich seine eigene Wirklichkeit im Garten: Marwen, ein belgisches Miniaturstädtchen im Maßstab 1:6 zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dort lebt, neben bösen Nazis und einer Truppe schwer bewaffneter Frauen, auch sein Alter Ego – der coole, amerikanische Captain Hogie. Hogancamp fotografiert die barbiehaften Puppen, die das Aussehen seiner Freunde und Feinde haben, in selbst erdachten Szenen, aus denen er stets als Held hervorgeht.

Robert Zemeckis ist vor allem für den Einsatz bahnbrechender Spezialeffekte berühmt. „Zurück in die Zukunft“, „Der Tod steht ihr gut“, „Contact“ oder „Forrest Gump“ – immer wieder hat der Regisseur mit innovativen Techniken das Filmemachen revolutioniert. Bei Willkommen in Marwen werden nun erstmals computeranimierte Puppen mit den real gedrehten Augen und Mündern der Schauspieler verschmolzen. Ein fast surrealer Effekt, faszinierend, aber auch etwas spooky.

FAZIT

Visuell außergewöhnlich, dramaturgisch eher schwach. Die Charaktere bleiben klischeehaft und sind zu flach gezeichnet. Es gibt nur zwei Kategorien Mensch: entweder gütig oder grundböse. Willkommen in Marwen ist trotz seiner originellen Geschichte ein durchschnittliches Hollywoodmelodram, das hinter den Erwartungen zurückbleibt.

USA, 2019
116 min
Regie Robert Zemeckis
Kinostart 28. März 2019

Wir

1987 – ein Vergnügungspark am Strand von Santa Cruz. Die kleine Adelaide läuft ihren Eltern weg und findet sich ganz alleine in einem Spiegelkabinett wieder. Während sie durch das dunkle Labyrinth irrt, entdeckt sie zu ihrem Entsetzen, dass das, was zunächst ihr Spiegelbild zu sein scheint, in Wahrheit ihre Doppelgängerin ist. 

Dreissig Jahre später: Adelaide macht mit ihrem Mann und den beiden Kindern Strandurlaub am Ort ihres Kindheitstraumas. In der Familie herrscht leicht angespannte Atmosphäre, denn Adelaide beunruhigen eine Anhäufung seltsamer Zufälle. Die Stimmung kippt unvermittelt in blanken Horror, als nachts plötzlich vier unheimliche Gestalten in der Einfahrt des Ferienhauses stehen. Die Fremden dringen nicht nur brutal in die heile Welt der Wilsons ein, sondern sehen ihnen auch noch  verstörend ähnlich. Die doppelten Lottchen sind mit Scheren bewaffnet und ihnen steht der Sinn nach Mord.

Wir – oder „US“, wie er schön doppeldeutig im Original heißt, ist ein Film zum Zeitgeist: eine Abrechnung mit dem aktuellen, nicht nur US-amerikanischen Phänomen der geschürten Angst vor den Anderen. Weitgehend funktioniert der intelligente Horror. Besonders bei den nervenaufreibenden Szenen, die sich im Ferienhaus abspielen, erinnert der Thriller an „Funny Games“. Wie Michael Haneke, versteht es auch Jordan Peele meisterhaft, permanente Todesangst und Humor in Balance zu halten.

Aber der Regisseur meint es zu gut und hat noch mehr mitzuteilen. Wir  verlässt sich nicht auf seinen Horror, sondern belastet mit immer ausufernderen Erklärungen: Woher kommen die Doppelgänger? Was ist ihre Vorgeschichte? Warum tun sie, was sie tun? Doch durch zu viel Information verliert der Schrecken seine Kraft.

FAZIT

„Wir selbst sind unsere schlimmsten Feinde“ – dieser Satz entwickelt hier eine ganz neue Dimension.
Der Nachfolgefilm zu Peeles brillanten „Get Out“ ist ein intelligenter, größtenteils unheimlicher und überraschend vielschichtiger Thriller, der aber vor allem gegen Ende unter akuter Erklärwut leidet.

USA, 2019
117 min
Regie Jordan Peele 
Kinostart 21. März 2019

Iron Sky: The Coming Race

Nazis auf dem Mond! Hitler lebt!
Filmkenner erinnern sich, das gab’s vor Jahren schon einmal im Kino. Versprühte Iron Sky 2012 noch (mit viel gutem Willen betrachtet) den Charme des Absurden, so war es eigentlich kaum mehr als ein mittelmäßiges Trash-Filmchen – bemüht schräg und nur pseudo-provokant.

Eine eherne Filmregel lautet: Sequels müssen noch einen draufsetzen – simple Nazis auf dem Mond reichen also nicht mehr aus. Diese Vorgabe toppt Iron Sky: The Coming Race mühelos. Die Bedrohung kommt diesmal aus dem Erdinneren in Gestalt von Aliens und Dinosauriern. Konsequenter Höhepunkt des Humbugs: Adolf Hitler, der auf einem T-Rex namens Blondie reitet.

Hätte „Holmes & Watson“ nicht schon abgeräumt – Iron Sky: The Coming Race wäre dieses Jahr der Anwärter auf die „Goldene Himbeere“ für den schlechtesten Film gewesen. Nur eine Vermutung, aber genau das gehört wahrscheinlich auch zum „kultigen“ Kalkül der Macher. Gähn.

FAZIT

Eine Fortsetzung, die die Welt nicht braucht, inhaltlich und handwerklich fragwürdig.
Kleines, irritierendes Detail am Rande: die US-Präsidentin im Film ist, wie schon im Original vor sieben Jahren, eine Dame namens Sarah Palin. Das wirkt seltsam anachronistisch und man fragt sich, wie lange der Film wohl im Giftschrank lag, bevor er jetzt in die deutschen Kinos kommt.

Finnland/Deutschland/Belgien, 2019
93 min
Regie Timo Vuorensola 
Kinostart 21. März 2019

Lampenfieber

Da, wo es die unbequemste Bestuhlung Berlins gibt, spielt der neue Dokumentarfilm von Alice Agneskirchner: im Friedrichstadt-Palast. Die Filmemacherin wirft einen Blick hinter die Kulissen der mit 2.854 m² Spielfläche größten Theaterbühne der Welt. (Isch schwöre, stimmt wirklich!)
Die Herausforderungen bei der Produktion der Kinder- und Jugendshow „Spiel mit der Zeit“ werden artig chronologisch abgearbeitet: vom ersten Casting, über die intensive Probenzeit, bis zur bejubelten Premiere. Dazwischen gestreut gibt’s die üblichen Besuche zu Hause und ein paar Interviews.
„Rhythm is it!“ (2004) oder die Langzeitdoku „Adrians großer Traum“ (2010) hatten da deutlich mehr Tiefe und waren mutiger gemacht. Immerhin sind die sechs angehenden Kinderstars, deren persönliche Entwicklung, Frust und Freude der Film zeigt, gut ausgewählt. Von unbedarft über herzerwärmend bis altklug ist alles dabei. Heimlicher Star ist jedoch die Tanzlehrerin Christina Tarelkin – so patent, mit der möchte man abends mal ein Bier trinken gehen.

FAZIT

Interessantes Thema, konventionell gemachter Film.

Deutschland 2019
92 min
Regie Alice Agneskirchner
Kinostart 14. März 2019

Trautmann

Was fällt einem Briten spontan ein, wenn man ihn zu Deutschland befragt?
Fußball und Nazis – allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Zum Glück schreibt das Leben die schönsten Geschichten. Bert Trautmann ist in dieser Hinsicht die perfekte Mischung: ein fußballspielender Ex-Nazi.

Bert Trautmann? Nie gehört? Selbst größte Kickerfans müssen da erst mal nachdenken. Der Deutsche gerät während des Zweiten Weltkriegs in englische Gefangenschaft. Nach Kriegsende bleibt er in England und wird bei Manchester City zum erfolgreichsten Torhüter seiner Zeit. Er verliebt sich in Margaret, die Tochter seines Trainers, die beiden heiraten und werden Eltern dreier Söhne. Als er 1956 im Pokalfinale trotz gebrochenen Halswirbels weiterspielt und so seinem Team den Sieg sichert, wird er zum englischen Nationalhelden.

Ein Film wie ein Überraschungsei: Trautmann ist interessantes Historiendrama, spannende Sportlerbiografie und berührende Liebesgeschichte. Natürlich wurde für den Film das wahre Leben etwas gepimpt und unpassende Details wurden ausgespart. So hatte der echte Bernhard Trautmann schon eine gescheiterte Beziehung hinter sich und war Vater einer Tochter, bevor er Margaret kennenlernte. Und auch diese Ehe hielt nur bis Ende der 1960er Jahre. Aber egal, Film ist Illusion und es ist Regisseur Marcus H. Rosenmüller zu verdanken, dass Trautmann trotz Geschichtsglättung nicht zu einem kitschigen Feelgood-Movie geworden ist. David Kross ist als Titelheld ein Glücksfall, denn er spielt die Rolle des von inneren Dämonen gepeinigten Mannes angenehm zurückhaltend und ist obendrein ein begabter Fußballer.

FAZIT

Ohne Erwartungen gesehen, positiv überrascht. Schöner Film, trotz deutscher Synchronfassung.

Deutschland/GB 2019
120 min
Regie Marcus H. Rosenmüller
Kinostart 14. März 2019

Captain Marvel

Negative Kritik an Captain Marvel  ist Meckern auf hohem Niveau. Wie gewohnt ist das neueste Kapitel im Marvel Cinematic Universe perfekt gemachtes Popkornkino. Allerdings liegt die Latte mittlerweile so hoch, sind die Fans derart verwöhnt, dass es auffällt, wenn Story und Effekte nur guter Durchschnitt sind. Captain Marvel  bietet kaum etwas, was man nicht so oder besser schon in anderen Produktionen gesehen hätte. Nach dem bahnbrechenden „Black Panther“ und witzigen „Ant-Man and the Wasp“ im vergangenen Jahr ist dies eher eine kleine Zwischenmahlzeit bis zum großen Finale in „Avengers: Endgame“.

Captain Marvel  spielt Mitte der 1990er Jahre: Zwei verfeindete Alienvölker verlagern aus irgendeinem nicht näher erläuterten Grund ihre Auseinandersetzung auf unsere Erde. Dabei spielt Carol Danvers aka Captain Marvel eine Schlüsselrolle – sie kann als Einzige den intergalaktischen Krieg beenden.

Im ersten Viertel noch auf gute Art verwirrend, beinahe wie ein Traum inszeniert, wird Captain Marvel  im weiteren Verlauf immer konventioneller. Neu ist, dass diesmal nicht die Bösewichter generisch und damit uninteressant sind, sondern die Heldin selbst. Brie Larson ist zwar eine ausgezeichnete, Oscar-gekrönte Schauspielerin, aber aus der eindimensionalen Figur Captain Marvel kann selbst sie nicht viel heraus holen. Die Titelheldin bleibt einem auch nach zwei Kinostunden seltsam egal. Das könnte daran liegen, dass der Film die klassische Entwicklungsgeschichte der Heldin dramaturgisch umgeht. Statt den gewohnten Weg vom Nobody zum Superhero zu erzählen, verfügt Captain Marvel schon von Anfang an über ihre Superkräfte. Das wird ausführlich in den mittlerweile zum Standard gehörenden „Haut glüht von innen, Energiestrahl aus Auge/Hand/Mund zerbombt alles“-Szenen gezeigt. Wenigstens bringen der digital verjüngte Samuel L. Jackson und eine niedliche Alienkatze ein bisschen Spaß in die Sache.

FAZIT

Beim Rennen um den besten weiblichen Superhelden geht DC als klarer Sieger hervor: „Wonder Woman“ hat mehr Charme, Witz und Herz als der 21. Film aus dem Marvel-Universum.

USA 2019
124 min
Regie Anna Boden & Ryan Fleck
Kinostart 07. März 2019

Kirschblüten & Dämonen

Doris Dörrie hat einen Gespensterfilm gemacht, der so unheimlich wie ein Hui Buh-Hörspiel ist.
Die Fortsetzung ihres Erfolgsfilms „Kirschblüten – Hanami“ aus dem Jahr 2008 erzählt vom einsamen Alkoholiker Karl (Golo Euler), Sohn des verstorbenen Ehepaars Rudi (Elmar Wepper) und Trudi (Hannelore Elsner) aus dem ersten Teil. Eines Tages klopft die Japanerin Yu (Aya Irizuki) an seine Tür und stellt sich mit den Worten „I am Yu“ vor – Achtung: doppeldeutig! Sie überredet ihn, gemeinsam aufs Land in sein leer stehendes Elternhaus zu fahren. Dort begegnet Karl nicht nur seinen entfremdeten Geschwistern, sondern auch den Geistern der Vergangenheit.
Kirschblüten & Dämonen erinnert an das Videoprojekt einer Selbstfindungs-Theatergruppe. Alles sehr gewollt, teils unfreiwillig komisch und plump inszeniert. Da Karl zum Beispiel immer wieder an seiner Männlichkeit zweifelt, friert ihm irgendwann der Schwanz ab. Feinsinn sieht anders aus. 
Richtig gut wird der Film nur in den Szenen mit der großartigen Birgit Minichmayr. Leider hat die aber nur einen fünf Minuten-Auftritt.

FAZIT

Regisseurin Dörrie und ihr Kameramann Hanno Lentz wollten beim Dreh möglichst frei und spontan reagieren. Aber Freiheit und Spontanität haben ihren Preis. Man muss schon Fan von Gopro-Videolook sein – Kirschblüten & Dämonen sieht wie ein sehr low-budgetiertes Kleines Fernsehspiel aus und atmet den Geist eines bemühten Experimentalfilms.

Deutschland 2019
110 min
Regie Doris Dörrie
Kinostart 7. März 2019