GELOBT SEI GOTT

Gequälte Kinder: François Ozons neuer Film erzählt von den Opfern des Paters Bernard Preynat, der 2016 wegen sexueller Übergriffe auf rund 70 Jungen angeklagt wurde.
Die meisten der Fälle sind mittlerweile verjährt. Stellvertretend beleuchtet „Gelobt sei Gott“ das Schicksal dreier erwachsener Männer, die es erst nach vielen Jahren schaffen, sich ihrem Dämon zu stellen. Sie leiden bis heute unter den Verletzungen, die ihnen der Pater ungehindert zufügen konnte. Und das trotz zahlreicher Hinweise und Beschwerden von Eltern.
Das nüchtern inszenierte Drama prangert nicht nur den Priester, sondern vor allem das Schweigen der Kirche insgesamt an. 

FAZIT

Souverän und unaufgeregt  – dadurch umso eindringlicher. Wichtiger Film zu einem lange verschwiegenen Thema. 

Originaltitel „Grâce à Dieu“
Frankreich 2019
137 min
Regie François Ozon
Kinostart 26. September 2019

DER DISTELFINK

Eins vorab: das Buch von Donna Tartt verdient 5 Sterne. Die Frage, wie der 1000-Seiten-Roman in einen einzigen Kinofilm passen soll, hat Regisseur John Crowley mit seiner Filmadaption gerade beantwortet: gar nicht! In den USA hatte „The Goldfinch“ – Zitat – „one of the worst openings ever“, der INDEPENDENT schreibt, der Film sei auf dem Weg „one of the biggest flops in cinema history“ zu werden und nennt den Film “a gigantic waste of time”.

Wer das Buch gelesen hat, ist enttäuscht, weil dem Film soviel fehlt, dass man sich fragt, was man da eigentlich gerade gesehen hat. Der Roman hätte locker Material für eine 8-Teilige Miniserie geliefert. Wer das komplexe Buch nicht gelesen hat, versteht den Film womöglich gar nicht und langweilt sich durch die 149 Minuten.

Theo sitzt in einem Hotelzimmer in Amsterdam und erinnert sich, wann und warum sein Leben den Bach runterging: als Kind besucht er mit seiner Mutter das Metropolitan Museum in New York, als ein Bombenattentat große Teile des Museum zerstört und Theos Leben gleich mit, denn bei dem Attentat kommt seine Mutter ums Leben. Im Chaos nach dem Anschlag klaut Theo ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert, auf dem ein Distelfink zu sehen ist und das seine Mutter besonders liebte. Das Meisterwerk, nun in Theos Besitzt, gilt fortan als verschollen.

Ein versoffener Vater, ein ukrainischer Junge namens Boris, eine reiche New Yorker Familie, ein Antiquitätenhändler und ein rothaariges Mädchen spielen auch noch entscheidende Rollen in Theos Leben. Es wird gestorben, es wird geliebt und gelitten, aber alles eben nur an der Oberfläche. Die tiefen Gefühle des Romans erreicht der Film nicht. Wie der Tod der Mutter Theo das Herz bricht, wie ihm das Gemälde über Jahre ein Trost ist, ihn aber gleichzeitig in den kriminellen Abgrund zieht, was Freundschaft aushalten kann und wie man überhaupt das ganze elende Leben ertragen soll, das deutet der Film leider nur an.

FAZIT

Sehr empfehlenswerter Roman. Wer nach dem Lesen mag, kann sich den Film noch ansehen, muss aber nicht sein.

Originaltitel „The Goldfinch“
USA 2018
149 min
Regie John Crowley
Kinostart 26. September 2019

NUREJEW – THE WHITE CROW

Paris, Anfang der 60er Jahre: Während des Kalten Krieges schickt die Sowjetunion ihre beste Tanzkompanie zu Propagandazwecken in den Westen. Das französische Publikum liebt vor allem den 23-jährigen Rudolf Nurejew. In seiner Freizeit streift der junge Tänzer durch die Museen und Jazz-Klubs der Stadt. Bald findet er Geschmack an der neuen Freiheit und beschließt, politisches Asyl zu beantragen.

„Nurejew – The White Crow“ erinnert an einen Tänzer, der das Rollenverständnis und die Choreografie des modernen Balletts revolutionierte. Rücksichtsloser Egoist, Genie, Choleriker – bisweilen ein richtiges Arschloch. Regisseur Ralph Fiennes zeigt auch die unschönen Seiten des 1993 an AIDS verstorbenen Künstlers. Der Film erzählt Nurejews Leben von der Geburt in der Transsibirischen Eisenbahn bis zu seiner Flucht im Juni 1961. 

In der Titelrolle brilliert angemessen unsympathisch ein Newcomer: Oleg Ivenko tanzt seit seinem 5. Lebensjahr professionell, macht also nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Balletttänzer eine überzeugende Figur.

FAZIT

Vielschichtige Biografie – schön retro auf 16 mm gedreht.

Originaltitel „The White Crow“
GB / Frankreich / Serbien 2018
122 min
Regie Ralph Fiennes
Kinostart 26. September 2019

SYSTEMSPRENGER

MAMAAAAA!!! AAAAAHHHHH! Kreisch, Strampel, Tob: der Film zum Prenzlpanther.
Benni (Helena Zengel) ist ein „Systemsprenger“. So nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Die Neunjährige schreit und prügelt sich schon nach kurzer Zeit aus jeder Pflegeeinrichtung raus. Genau das ist ihr Plan, denn sie möchte endlich wieder bei ihrer leiblichen Mutter leben.

Nora Fingscheidt ist ein intensiver, beinahe dokumentarischer Film über ein schwieriges Kind in noch schwierigeren Umständen gelungen. Als Zuschauer schwankt man zwischen Mitleid, Genervtheit und Hass. Das Dauer-Geschrei, aber auch die Ungerechtigkeit der Welt, geht an die Grenzen des Ertragbaren. Völlig zu Recht im Rennen um den besten ausländischen Film bei den Oscars 2020.

FAZIT

Guter Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

Deutschland 2019
118 min
Regie Nora Fingscheidt
Kinostart 19. September 2019

AD ASTRA – ZU DEN STERNEN

Auf der höchsten Antenne der Welt, deren Spitze bis in den Weltraum ragt, arbeitet Astronaut Roy McBride (Brad Pitt) – der coolste von allen. Selbst als die Antenne von einem Stromschlag getroffen wird und er aus vielen Kilometern Höhe zur Erde stürzt, bleibt sein Puls konstant bei 60. Der mysteriöse Energiestoß kommt vom Neptun, wo Roys verschollen geglaubter Vater vermutet wird. Um weitere Katastrophe zu verhindern, reist Major McBride an den äußeren Rand des Sonnensystems.

Orgelmusik. Tiefsinnige, innere Monologe. Weltraumaufnahmen, die so perfekt sind, als sei ein Kamerateam dorthin gereist: Klingt wie eine Beschreibung des Science-Fiction-Epos „Interstellar“, ist aber „Ad Astra“, der diesjährige US-Wettbewerbsbeitrag der Filmfestspiele von Venedig. 

Ging es bei Christopher Nolan um das zerrissene Band zwischen Vater und Tochter, ist diesmal eine kaputte Vater-Sohn Beziehung das Thema. Außer einer sehr hübsch gemachten actionreichen Verfolgungsjagd auf dem Mond setzt Regisseur Gray hauptsächlich auf schwermütige Erkenntnissuche. Familienaufstellung im Kosmos. Brad Pitts Talent als Charmeur wird verschenkt. Wie schon Ryan Gosling in „First Man“ beschränkt sich seine Schauspielerei auf trauriges vor sich Hinstarren. Das macht auf Dauer nur bedingt Freude beim Zusehen. Der Filmtitel leitet sich von der lateinischen Redewendung „Per aspera ad astra“ ab, was soviel wie „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“ heißt. Da ist was dran – die 116 Minuten fühlen sich wie 4 Stunden an.

FAZIT

Mehr was für Freunde von Soderberghs „Solaris“.

Originaltitel „Ad Astra“
USA 2019
116 min
Regie James Gray
Kinostart 19. September 2019