UND MORGEN DIE GANZE WELT

„Wer unter 30 nicht links ist, der hat kein Herz. Und wer mit über 30 noch links ist, der hat keinen Verstand.“ Getreu diesem Motto schließt sich die zwanzigjährige Luisa einer Antifa-Gruppe in Mannheim an – ja, auch in der verschlafenen Schachbrett-Stadt gibt es politischen Kampf. Luisa und ihre Freunde Alfa und Lenor haben Großes vor: Unter einer Revolution gegen das herrschende System machen sie’s nicht. Schließlich steht im 20. Artikel des Grundgesetzes: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Also alles Auslegungssache. Die klaren Feinde sind die „Faschos“ – in diesem speziellen Fall ein Schlägertrupp, der für Wahlkampfveranstaltungen einer fiktiven, aber klar der AfD nachempfundenen Partei als Wachschutz angeheuert wird. Luisa zögert zunächst, doch Alfa und Lenor halten auch den Einsatz von Gewalt für ein legitimes Mittel. Was als Farbeier-werfender Spaß beginnt, läuft bald aus dem Ruder.

Alfa, Lenor und Luisa: Das klassische Trio aus Herz, Hirn und Faust. Doch Luisas Aufruf zu immer brutaleren Aktionen geht den Jungs bald zu weit. Das brave Mädchen aus gutem Haus mutiert zur rücksichtslosen Kämpferin im bewaffneten Widerstand. Dass sich Luisa in den coolen Alfa verliebt, der wie eine jugendliche Andreas-Baader-Kopie daherkommt, reicht kaum als Erklärung für ihre zunehmende Radikalisierung aus. Ihre kompromisslose Entwicklung bleibt schwer nachvollziehbar und ihre Motivation, zur Waffe zu greifen und auf Naziköpfe zu zielen, diffus.

Was wie ein brisanter Politthriller beginnt, verpufft am Ende ohne großen Erkenntnisgewinn. Immerhin taugt „Und morgen die ganze Welt“ zur Bestätigung des eigenen Weltbilds: Die Linken sind die Guten, die Rechten sind die Bösen – aber das wusste man auch schon vorher.

Überraschenderweise lief der Film als einziger deutscher Beitrag bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig. Der „Tagesspiegel“ fragte ganz besorgt, ob es verhältnismäßig sei, „dass sich Julia von Heinz im Rampenlicht des Wettbewerbs behaupten“ müsse – ganz so, als sei die Regisseurin ein zartes Pflänzchen, das es vor der bösen Realität zu schützen gelte. Eine unbegründete Sorge, denn Hauptdarstellerin Mala Emde gewann im September den Preis der unabhängigen Filmkritik Bisato d’Oro als beste Hauptdarstellerin.

FAZIT

Ästhetisch näher am kleinen Fernsehspiel als am großen Politkino.

Nachtrag: „Und morgen die ganze Welt“ geht 2021 für Deutschland ins Rennen um den Oscar für den besten ausländischen Film und sticht damit Favoriten, wie „Undine“ und „Berlin Alexanderplatz“ aus. Sehr erstaunlich…

Deutschland / Frankreich 2020
111 min
Regie Julia von Heinz
Kinostart 29. Oktober 2020
und dann wieder ab 03. Dezember 2020

alle Bilder © Alamode

GLITZER UND STAUB

Die eine Hand am Sattelknauf, die andere elegant über den Kopf gehalten, wie um die Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen. Einziges Ziel ist es, das Gleichgewicht zu halten. Ein kurzer, brutaler Tanz – wer herunterfällt, hat verloren.

Bullenreiten ist ein unerfreulicher Sport. In seiner Sinnlosigkeit rückt er in die Nähe des spanischen Stierkampfs. Tiere leiden zum Amüsement des Zuschauers. Zum Glück hat „Glitzer und Staub“ mehr zu bieten als Bilder von gequälten Tieren, denen mit der Spore in die Seite getreten wird. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen vier Mädchen zwischen 10 und 17 Jahren, die der Traum verbindet, ein echtes Cowgirl zu werden. Mit dem Klischee vom rosa gekleideten, mit Puppen spielenden Mädchen wird dabei gründlich aufgeräumt.

Die Filmemacherinnen Anna Koch und Julia Lemke erzählen vom Mut und Ansporn, sich in einem gefährlichen, männerdominierten Sport zu beweisen. „Never scared“ steht auf dem Gürtel von Ariyana Escobedo. Eine toughe Aussage für ein kleines Kind. „Jetzt erst recht“ könnte das trotzige Motto von Maysun lauten. Die 10-Jährige saß schon auf einem Pferd, bevor sie laufen konnte. Ihr Vater, der sich eigentlich einen Sohn gewünscht hätte und daraus auch keinen Hehl macht, glaubt, dass die Zuschauer „krasse Typen auf einem krassen Bullen sehen wollen“ – keine besonders ermutigenden Worte für seine Tochter.

Bullenreiten, praktiziert von kleinen Mädchen: eine Nische in der Nische. Die Neugierde der Zuschauer wird sich in Grenzen halten – schade, denn „Glitzer und Staub“ ist ein sehenswerter, exzellent fotografierter Dokumentarfilm über eine verborgene, seltsame Welt im Wilden Westen.

Deutschland 2020
93 min
Regie Anna Koch und Julia Lemke
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Port au Prince Pictures GmbH

SCHWESTERLEIN

Nina Hoss hätte bei der diesjährigen Berlinale eigentlich den silbernen Bären für die beste weibliche Hauptrolle verdient. Als Schwester(lein) des krebskranken Theaterschauspielers Sven entfaltet sie eine große Kraft, der ganze Film kreist um sie. Ihre Figur, die Autorin Lisa, muss sich gegen eine schier unendliche Flut an Dramen und Problemen stemmen: Ihre Mutter ist eine gefühlskalte Egoistin, ihr Ehemann will lieber Karriere in der Schweiz machen und der Regisseur ihres Bruders zweifelt an dessen Genesung und plant schon mal die nächste Spielzeit ohne ihn.

Nach „Undine“ (mit der tatsächlichen Gewinnerin des Bärens, Paula Beer) noch ein Märchen: „Hänsel und Gretel“ zieht sich als roter Faden durch den Film. Lisa schreibt ihrem Bruder eine Neuinterpretation der Grimm’schen Geschichte auf den Leib, gleichzeitig sind die verlorenen Kinder in der Gewalt der Hexe ein allzu offensichtliches Symbol für den Kampf der Geschwister gegen den Krebs.

„Schwesterlein“ changiert zwischen Illusion und überhöhtem Realismus. Thomas Ostermeier spielt – was sonst ? – den Regisseur, Lars Eidinger eine sterbenskranke Version des Schauspielers Lars Eidinger. Über so viel Nabelschau muss man erst mal hinwegsehen. Die Station des Sterbens werden fast artig abgehakt: der letzte besoffene Technotanz, der vermeintlich freiheitsbringende Paragliding-Flug, die hässlichen Krankenhausszenen mit viel Blut und piepsenden Maschinen. Das sind bekannte Bilder, da bewegt sich das Drama auf ausgetretenen Pfaden.

FAZIT

„Schwesterlein“ ist harte Kost. Als Film eher Mittelmaß, als Demonstration schauspielerischen Könnens eine Wucht.

Schweiz 2020
99 min
Regie Stéphanie Chuat und Véronique Reymond
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH

SCHLAF

Flugbegleiterin Marlene leidet unter wiederkehrenden Albträumen. Irgendwann schnappt sie über, verfällt in eine Art Schockstarre. Ihre Tochter Mona will helfen und macht sich auf die Suche in die Vergangenheit ihrer Mutter. In einem 70er-Jahre Dorfhotel namens Sonnenhügel findet sie irritierende Antworten.

In diesem Film wird viel gewürgt. Männer würgen Frauen, Frauen würgen Männer und manchmal würgen sich Menschen auch ganz alleine selbst. Klingt ein bisschen wie ein Edgar-Wallace-Streifen aus den 60ern. Für das verschwurbelte ZDF-Kleine-Fernsehspiel entschädigen nur die Schauspieler: Sandra Hüller als Marlene ist wie immer gut, hat hier jedoch fast nichts zu tun. Gro Swantje Kohlhof überzeugt als Tochter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Marion Kracht und August Schmölzer spielen die Hotelbesitzer zwar schön zwielichtig, scheinen sich aber aus einem ganz anderen Film hierher verirrt zu haben.

Endlich mal wieder ein Vorurteil bestätigt: Deutsche können keine gescheiten Horrorfilme drehen! Es ist schon eine Kunst, einen Brei zu versalzen und gleichzeitig fade schmecken zu lassen. Das heillos überfrachtete Drehbuch bedient sich großzügig bei allerlei Genreklassikern wie „The Conjouring“ und „The Shining“, ohne etwas aufregend Neues daraus zu machen.

FAZIT

Heimathorror im Provinzhotel.

Deutschland 2020
102 min
Regie Michael Venus
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Edition Salzgeber

THE MORTUARY – JEDER TOD HAT EINE GESCHICHTE

Rechtzeitig zu Halloween kommt nicht nur eine 4K-Abtastung des George A. Romero-Zombie-Klassikers „Dawn of the Dead“ in die Kinos, sondern auch diese erfrischend altmodisch gemachte Horror-Anthologie. Vier gruselige Kurzgeschichten, von einer Rahmenhandlung eingefasst, in der ein furchterregender Leichenbestatter einem jungen Mädchen von den schaurigsten Todesfällen der vergangenen Jahrzehnte erzählt.

„The Mortuary“ steigert seinen Horror effektvoll von Episode zu Episode und sieht dabei auch noch fabelhaft aus. Regisseur und Drehbuchautor Ryan Spindell siedelt seine Geschichten in den 1950er bis 1980er-Jahren an: Was Set-Design, Kamera und Kostümbild hier aus einem überschaubaren Budget rausgeholt haben, ist wirklich phänomenal. Der Film verzichtet dabei dankenswerterweise auf den Einsatz von CGI, erzielt eine ungleich stärkere Wirkung mit analogen, handgemachten Effekten. Ein positiver Trend, der schon „Scary Stories to Tell in the Dark“ sehenswert gemacht hat.

Fun-Fact: Ryan Spindell führte 2015 bei dem 20-minütigen Film „The Babysitter Murders“ Regie. Da Kurzfilme selten Zuschauer finden und bestenfalls ein Festival-Dasein fristen, hat er seine liebevolle Hommage an die 1980er-Slasher-Filme nun in seinen ersten Langfilm „The Mortuary“ integriert. Eine Zweitverwertung sozusagen, die clever mit den anderen Geschichten verwoben, in einem überraschenden Twist endet – was will man zum Kürbisgruselfest mehr, außer vielleicht dem Rezept für eine leckere Suppe?

KÜRBISSUPPE

1 kindskopfgroßer Hokkaidokürbis
2 Zwiebeln
3 Knoblauchzehen
1 Dose Kokosmilch
1 Liter Gemüsebrühe
1 Stück Ingwer
Butter, Öl
Kürbiskerne, Kürbiskernöl
Salz, Pfeffer, Zucker

Den Kürbis waschen (Hokkaido muss nicht geschält werden) und mit einem großen Messer vierteln.
Die widerlichen Eingeweide (Kerne und Fasern) mit einem Löffel auskratzen.
Den Kürbis in daumengroße Stücke zerteilen.
In einem großen Topf die geschälten, in grobe Stücke zerschnittenen Zwiebeln und den Knoblauch im Butter/Ölgemisch andünsten. Den Kürbis dazugeben, kurz mitbraten. Dann den geschälten und geschnittenen Ingwer dazugeben.

Mit der Brühe (frisch ist gut – aus dem Glas oder als aufgelöster Brühwürfel geht auch) ablöschen.
Bei geschlossenem Deckel köcheln lassen. Nach ca. 15 Minuten die Kokosmilch dazugeben.
Noch mal 5 Minuten köcheln lassen.

In der Zwischenzeit eine halbe Folge einer Serie schauen (z. B. „The Boys“ Season 2) oder die Kürbiskerne (aus der Tüte, nicht die schleimigen aus dem gerade zerschnittenen Hokkaido) ohne Öl in der Pfanne rösten.
Die fertig gekochte Suppe (die Kürbisstücke sollten beim Gabeltest weich sein) mit dem Rührstab rücksichtslos pürieren. Mit Salz, Pfeffer und ggfs. einer Prise Zucker abschmecken.
Die Suppe in tiefen Tellern mit einem Schuss Kürbiskernöl verzieren und ein paar geröstete Kerne draufgeben. Mahlzeit!

Originaltitel „The Mortuary Collection“
USA 2019
111 min
Regie Ryan Spindell
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © Capelight Pictures

KAJILLIONAIRE

Produziert von Brad Pitt! Ja, DEM Brad Pitt, bei dem Carsten Maschmeyer seine Frau mal im Badezimmer festgestellt hat, dass die Beleuchtung nicht ausreicht. Die Hauptrollen mit Evan Rachel Wood (Westworld), Debra Winger (Zeit der Zärtlichkeit), Richard Jenkins (Shape of Water) und Gina Rodriguez (Deepwater Horizon) hochkarätig besetzt! „Kajillionaire“ klingt wie das nächste große Ding aus Hollywood. Was für eine Überraschung, dass Miranda July trotz der versammelten Prominenz keinen Blockbuster, sondern eine kleine, absurde Tragikomödie gedreht hat. Die Regisseurin dürfte Eingeweihten bislang höchstens als Performance- und Konzept-Künstlerin bekannt sein.

Old Dolio greift im Vorbeigehen ganz automatisch in das Münzfach des öffentlichen Telefons. Es könnten ja noch ein paar Cent darin liegen. Das Mädchen und ihre Eltern, Robert und Theresa, halten sich mit kleinen Gaunereien und Diebstählen über Wasser. Da sie seit Monaten mit der Miete im Rückstand sind, droht ihnen nun die Kündigung. Zeit, ein etwas größeres Ding zu drehen. 
Als das schrullige Trio bei einer Flugreise (auch diese wird nur aus betrügerischen Gründen unternommen) die aufgekratzte Latina Melanie kennenlernt, verändert sich die Familiendynamik gründlich. Vor allem Old Dolio spürt plötzlich eine große Leere und beginnt sich nach Liebe und einer normalen Familie zu sehnen.

Anfangs ganz schön deprimierend, der toxischen Beziehung zwischen introvertierter Tochter und lieblosen Eltern zuzuschauen. Erst das Auftauchen der exaltierten Melanie injiziert den Figuren und damit dem Film eine gewisse Leichtigkeit.
„Kajillionaire“ nimmt einige überraschende Wendungen, manchmal unerwartet, bisweilen bizarr – Wes Anderson läßt grüßen. Viele Einfälle funktionieren gut, andere erscheinen bemüht oder albern, ein bisschen „hit and miss“.  Evan Rachel Wood und Debra Winger sind in hässlichen Klamotten, ungeschminkt und mit trocken-struppigem Haar kaum wiederzuerkennen. Selten waren Hollywoodstars so erfrischend unvorteilhaft auf der Kinoleinwand zu sehen – das ist entweder komplett uneitel oder eine Bewerbung um den nächsten Oscar.

Originaltitel „Kajillionaire“
USA 2020
106 min
Regie Miranda July
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © Universal Pictures Germany

THE BEACH HOUSE

Wenn sich der Zuschauer weder um die Handlung noch um die Charaktere schert, dann ist das keine glückliche Kombination. „The Beach House“ ist eine Super-Low-Budget-Produktion, die aussieht, als hätten sich ein paar Freunde übers Wochenende in einem Ferienhaus getroffen und spontan beschlossen, einen Horrorfilm zu drehen, ohne zu wissen, wie man so was macht.

Die „Geschichte“: Randall will mit seiner Highschoolfreundin Emily ein paar romantische Tage im Strandhaus seines Vaters verbringen. Dort treffen sie auf die Turners, Freunde von Randalls Vater. Die vier beschließen, einen gemütlichen Abend miteinander zu verbringen. Zum Essen gibts Austern und Haschisch-Schokolade. Später zieht dichter Nebel auf, Schleim tropft aus den Wasserhähnen und alle werden zu Zombies außer Emily, denn die mag keine Meeresfrüchte. Ende.

Die Infizierten können sich vor lauter Kotzattacken kaum von der Stelle bewegen – was ihre Bedrohlichkeit stark minimiert – und nach der endgültigen Zombifizierung werden ihre Augen ganz milchig. Warum außerdem überdimensionale Dumplings am Strand rumliegen und Emily sich einen langen Wurm aus dem Fuß zieht, bleibt ebenso unerklärt wie die Frage, weshalb dieser wirre Cocktail aus „Invasion of the Body Snatchers“, „The Fog“ und „Dawn of the Dead“ produziert wurde. Macht alles keinen Sinn.

Originaltitel „The Beach House“
USA 2019
88 min
Regie Jeffrey A. Brown
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © koch films

I AM GRETA

Greta Thunberg Superstar. Ist es nun gutes oder unglückliches Timing, ausgerechnet in Corona-Zeiten eine Doku über die schwedische Umweltaktivistin in die Kinos zu bringen? Der Sieg über den Virus hat auf der Liste der zu lösenden Menschheitsprobleme den Top-Spot übernommen, Umweltschutz ist dabei ein wenig in Vergessenheit geraten. Eine filmische Gedächtnisauffrischung schadet also nicht.

„I am Greta“ erzählt die Geschichte eines Mädchens, das mit 15 Jahren anfängt, freitags einfach nicht mehr in die Schule zu gehen. Was als einsamer Protest vor dem schwedischen Parlament beginnt, weitet sich schon bald zu einer globalen Jugendbewegung aus. Wo immer Greta mittlerweile auftaucht, wird sie wie ein Rockstar gefeiert. Politiker schmücken sich mit ihrer Anwesenheit, sogar der Papst empfängt die junge Schwedin. Aber bringt all die Öffentlichkeit etwas? Hat sich die Menschheit tatsächlich geändert? Greta zweifelt und fragt immer wieder: Funktioniert mein Mikrofon? Hört ihr mich überhaupt?

Greta tapfer auf hoher See, Greta inniglich schmusend mit ihrem Pferd, Greta wütend auf dem UNO-Klimagipfel in New York – „How dare you!“ Die Macher wissen genau, was die Fans sehen und hören wollen. Gerade als man dem Film vorwerfen möchte, zu manipulativ zu sein, zu viel Starkult aufzubauen, kommen die Mit-Verursacher der zerstörten Umwelt zu Wort: Die Sympathieträger Trump und Bolsonaro, zwei mächtige Männer, die sich nicht entblöden, ein sechzehnjähriges Mädchen mit Asperger-Syndrom vor der Weltöffentlichkeit schlecht zu reden. Eine Erinnerung, dass der Kampf noch lange nicht gewonnen ist.

Originaltitel „I am Greta“
Schweden / Deutschland / USA / GB 2020
97 min
Regie Nathan Grossman
Kinostart 16. Oktober 2020

DER GEHEIME GARTEN

Niemand mag arrogante Klugscheißer. Das muss auch die 10-jährige Mary Lennox (Dixie Egerickx) erkennen. Obwohl sie gerade beide Eltern verloren hat, bringt kaum jemand Mitgefühl für die hochnäsige Waise auf. Ihr einziger Verwandter ist der trübsinnige Onkel Archibald (Colin Firth), der als Witwer mit seinem kränklichen Sohn ein düsteres Landgut in Yorkshire, England bewohnt. Um der gestrengen Aufsicht von Haushälterin Mrs. Medlock (Julie Walters) zu entfliehen, erkundet Mary die neblig-graue Moorlandschaft rund um das Anwesen auf eigene Faust. Dabei stößt sie zufällig auf einen verwunschenen „geheimen“ Garten. Gemeinsam mit ihrem Cousin und ihrem neugewonnen Freund Dickon entdeckt sie dort eine magische Welt, die nicht nur ihr eigenes Leben komplett verändert.

Das 1911 erschienene Buch „The Secret Garden“ von Frances Hodgson Burnett wurde schon unzählige Male verfilmt. Diese Version von Marc Munden ist eine interessante Mischung aus Hitchcocks Gothic-Horror-Klassiker „Rebecca“ und kunterbuntem Schlumpfhausen-Film geworden. Eine Mixtur mit ein paar Schwächen: Die zickige Mary nervt zu Beginn sehr und der jauchzende Geigen-Score hätte auch ein paar Gänge zurückschalten können. Aber visuell ist „Der geheime Garten“ ein Rausch, die farbenprächtigen Bilder wirken wie lebendig gewordene Gemälde. Besonders die prachtvoll üppigen Gartenszenen erwecken umgehend den Wunsch nach einer eigenen grünen Parzelle (schöner Traum).

FAZIT

Angenehm ernsthafter Kinderfilm um Verlust, Trauer und Magie. 

Originaltitel „The Secret Garden“
Großbritannien 2019
100 min
Regie Marc Munden
Kinostart 15. Oktober 2020

ES IST ZU DEINEM BESTEN

Alles zu deinem Besten, Liebes! Von Generation zu Generation meinen es die Eltern stets gut mit den Kindern, auch wenn die schon längst erwachsen sind. Die Väter Arthur, Kalle und Yus (gespielt von Heiner Lauterbach, Jürgen Vogel und Hilmi Sözer) bilden da keine Ausnahme. Ihre Töchter sind zwar keine kleinen Mädchen mehr, doch wenn der neue Freund so gar nicht den väterlichen Vorstellungen entspricht, ist Ärger vorprogrammiert. Als Klub der „Super-Schwäger“ planen die drei, die unliebsamen Schwiegersöhne in spe aus dem Weg zu räumen. Keine gute Idee, wie sich bald herausstellt.

Ja, der Film könnte auch „Väter der Klamotte“ heißen.

Ja, Trailer, Plakat und Inhaltsangabe lassen das Schlimmste vermuten.

Ja, der Film ist visuell so aufregend wie ein ZDF-Fernsehfilm.

Aber:

„Es ist zu deinem Besten“ ist tatsächlich lustig.

Und besonders Heiner Lauterbach beweist wieder mal (wie schon in „Enkel für Anfänger“), dass er einen ausgeprägten Sinn für trockenen Witz hat.

Die Vorlage liefert der spanische Erfolgsfilm „Es por tu bien“ – haben die Deutschen also alles wieder nur abgekupfert? Na und (bei Königin)? Warum sollte man Geschichten, die in anderen Ländern schon das Publikum ins Kino gezogen haben, nicht für den hiesigen Markt copy/pasten? Hat schon hervorragend und sehr erfolgreich bei „Das perfekte Geheimnis“ geklappt.

FAZIT

Eine Komödie ohne Aussage und tieferen Sinn, manchmal platt, aber oft sehr lustig.

Deutschland 2019
90 min
Regie Marc Rothemund
Kinostart 08. Oktober 2020

MILLA MEETS MOSES

Wenn eines Tages Außerirdische das kulturelle Erbe der Menschheit durchforsten, werden sie sich wundern, weshalb es so viele Bücher und Filme über sterbenskranke Teenager gibt. „Milla meets Moses“ ist der nächste Beitrag zum Thema „Jugend und Tod“.

Die 16-jährige Milla verliebt sich in den kleinen Drogendealer Moses. Ihren Eltern gefällt das zunächst gar nicht. Doch die seltsame Beziehung beschert dem schwerkranken Mädchen neue Lebensfreude. Als die Eltern merken, dass Moses ihrer Tochter sichtlich guttut, nehmen sie ihn trotz aller Bedenken bei sich auf. Durch den ungewöhnlichen Familienzuwachs werden sie unfreiwillig mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert.

Die australische Regisseurin Shannon Murphy variiert das Thema mit einer neuen, erfrischenden Erzählweise. „Babyteeth“ (so der Originaltitel) ist ganz im Sinne des „modern cinemas“ spontan und authentisch inszeniert und damit weit entfernt von thematisch vergleichbaren Filmen, wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder der letzte Woche gestarteten deutschen Produktion „Gott, Du kannst ein Arsch sein“.

„Milla meets Moses“ schafft es, deprimierende Themen wie Krankheit, Sucht und psychische Probleme unkonventionell und unverkrampft anzusprechen. Die Regisseurin findet dafür einen leichten, einfühlsamen und humorvollen Ton. Guter Film – gute Schauspieler: Eliza Scanlen und Toby Wallace überzeugen als körperlich, beziehungsweise seelisch kaputte Teenager. Ganz fabelhaft auch Essie Davis und Ben Mendelsohn, die in ihren Rollen als Eltern zugleich neurotisch, gebrochen und komisch sind.

FAZIT

Unkitschige, berührende Coming-of-Age-Geschichte über das Sterben.

Originaltitel „Babyteeth“
Australien 2020
118 min
Regie Shannon Murphy
Kinostart 08. Oktober 2020

alle Bilder © X Verleih

JIM KNOPF UND DIE WILDE 13

Warum lassen sich die Romane von Michael Ende so schwer verfilmen? Bei „Die unendliche Geschichte“ konnte man die Enttäuschung über das Kitschfest noch auf die damals begrenzten tricktechnischen Möglichkeiten schieben. Doch die Zeiten ändern sich und „Jim Knopf und die wilde 13“ bietet Bild- und Soundeffekte auf hohem internationalem Niveau. Nicht nur der Wolkenflug durch das dreidimensionale Warner-Logo zu Beginn des Films erinnert an die Harry-Potter-Filme.

Nachdem Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer im ersten Teil den Drachen Frau Mahlzahn besiegt haben, sinnt die Piratenbande „Die wilde 13“ auf Rache. Mit ihren Dampfloks begeben sich die beiden Helden auf eine abenteuerliche Reise, auf der Jim endlich die Wahrheit über seine Herkunft herausfinden möchte. 

Lummerland 2020 – das ist natürlich Lichtjahre von der Augsburger Puppenkiste entfernt. Dank magischer CGI-Effekte entstehen die von Michael Ende erdachten Figuren und Länder ganz so, wie man das bei einem modernen Fantasyfilm erwartet. Doch genau in dieser Perfektion liegt das Problem: Bei Endes Romanen besteht der Hauptspaß darin, sich bei der Lektüre seine eigenen fantastischen Welten auszumalen. Filmgewordener Realismus würgt der Fantasie die Luft ab. Man hätte den Machern etwas mehr Mut zu Wes-Anderson-Schrägheit und etwas weniger Bestreben nach Hollywoodperfektion gewünscht.

Für junge Zuschauer ist der Film bestimmt ein großes Vergnügen, denn an visuellen Schauwerten und Spannung mangelt es nicht. Hauptsache, die Kleinen lesen vorher das Buch und haben so die Chance auf ihr eigenes Kopfkino.

Deutschland 2020
109 min
Regie Dennis Gansel
Kinostart 01. Oktober 2020