CONTRA

CONTRA

Warum sind deutsche Komödien oft so schlecht? In 99,9 % der Fälle ist das Drehbuch schuld an der Misere. Die Lösung: Einfach eine bereits erprobte Idee kaufen, sie für den hiesigen Markt adaptieren und neu verfilmen. So geschehen bei der Elyas-M’Barek-Komödie „Das perfekte Geheimnis“, mit 5 Millionen Besuchern einer der erfolgreichsten Kinofilme 2019. Sönke Wortmanns Dramödie „Contra“ wurde nach dem gleichen Rezept produziert, das Original lief als „Le Brio“ in den französischen Kinos.

Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) ist auf den ersten (und zweiten) Blick ein richtiges Arschloch. Nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) in einem voll besetzten Hörsaal beleidigt hat und eine Videoaufnahme davon viral gegangen ist, droht er von der Uni zu fliegen. Doch der Universitätspräsident gibt ihm eine letzte Chance: Als ihr Mentor soll er Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten. Das Arrangement ist für beide zunächst eine Zumutung.

Wortmann erzählt die Aufsteiger-Geschichte mit allerlei überraschenden Haken und Wendungen. Die eleganten Dialoge sind gespickt mit schönen Boshaftigkeiten und frei von Political Correctness. Herbst und Farooq bei ihren scharfzüngigen Streitgesprächen zuzuhören, macht großen Spaß. Nur im Mittelteil hängt der Film ein bisschen durch, da geht das ungleiche Paar auf Deutschlandtournee – die Debattierwettbewerbe finden übers ganze Land verteilt statt. Es reiht sich eine Zugfahrt-Szene an die nächste. Fast könnte man meinen, die Deutsche Bahn sei Produzentin des Films. Wundern würde es nicht, schließlich bekannte Wortmann schon 1999 in einem Werbespot für das Unternehmen: „Warum ich Bahn fahre? Da laufen einfach die besten Filme.“

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Deutschland 2020
104 min
Regie Sönke Wortmann
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Constantin Film

BORGA

BORGA

Borga? Was issn das? „Borga“ nennen die Ghanaer einen Mann, der es im Ausland zu Reichtum gebracht hat und so seine daheimgebliebene Familie unterstützen kann.

Ist Geiz immer noch geil? Wenn sich der Durchschnittsbürger alle paar Wochen neue Fernseher, Waschmaschinen oder Drucker kauft – was passiert dann eigentlich mit den ganzen Altgeräten? Kojo und Kofi wachsen auf einer stinkenden Müllhalde in Ghana auf. Kabel abbrennen, das freigelegte Metall verkaufen, westlichen Elektroschrott ausschlachten: So sieht der triste Alltag der Kinder aus – hoffnungsvoll ist anders. Jahre später gelangt Kojo mithilfe einer Schlepperbande nach Mannheim, der nicht ganz so schönen Schachbrettstadt am Neckar. Kein Job ist zu unwürdig oder gefährlich: Kojo setzt alles daran, seiner Familie den Traum vom Wohlstand zu erfüllen und selbst ein Borga zu werden.

Ein ungewöhnlicher deutscher Film – ungewöhnlich gut, kraftvoll und im feisten Cinemascopeformat gedreht. Perfekt ist „Borga“ nicht, manchmal irritiert die etwas sprunghafte Erzählweise, aber das schmälert den positiven Gesamteindruck nicht. Hauptdarsteller Eugene Boateng (nicht mit Jérôme verwandt) ist eine echte Entdeckung, spielt die Rolle äußerst überzeugend. Den wird man sicher bald in größeren Produktionen sehen.

Der Film gewann vier Max-Ophüls-Preise, denn er „zeigt in eindringlichen, teils beklemmenden Bildern die globalen Auswirkungen des westlichen Konsums auf Kosten des afrikanischen Kontinents“, so die Begründung der Jury. Dass der Film zuvor bei verschiedenen Festivals abgelehnt wurde, weil der Regisseur eine Kartoffel ist – das ist Political Correctness ad absurdum geführt.

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Ghana / Deutschland 2021
107 min
Regie York-Fabian Raabe
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Across Nations Filmverleih

RON LÄUFT SCHIEF

RON LÄUFT SCHIEF

Der schönste Tag 2021 war der 4. Oktober: Facebook, Instagram und WhatsApp gingen für sieben Stunden offline. Die Welt konnte durchatmen. Was für ein Segen!

Dass sich so etwas in nächster Zeit wiederholt, ist eher unwahrscheinlich. Denn das Sammeln von Daten und das Absaugen unserer Lebenszeit ist für Social Media Konzerne überlebenswichtig. Please, like me! Das Grundübel begann schon 2007 mit der Einführung des iPhones. Apple hat die Menschen zu Smombies (© Jugendwort 2015) gemacht. Erstaunlich, dass die längst überfällige Abrechnung nun ausgerechnet in Form eines leicht zuckrigen Animationsfilms im Appledesign daherkommt.

Barney ist ein socially challenged Teenager. Freunde hat er keine, im Pausenhof steht er meist alleine rum. Kein Wunder, denn er ist der einzige Schüler ohne B-bot. Die übergroßen Tamagotchi-Eier können fahren, laufen, sprechen und natürlich sämtliche Social Media App-Funktionen erfüllen. Nebenbei speichern sie die persönlichen Daten ihrer Besitzer, verknüpfen sich untereinander in der Cloud. Das Ganze erinnert an eine Datingapp für Kinder. Du magst Schokolade und Einhörner? Match! Als Barney endlich seinen eigenen Bot zum Geburtstag bekommt, stellt er schnell fest, dass sein Gerät ein paar Macken hat.

Visuell orientiert sich „Ron läuft schief“ an Pixar-Produktionen, erreicht aber nicht ganz deren Qualitätslevel. Auch die fröhlich poppige Musikauswahl ist etwas gewöhnungsbedürftig. Aber der Humor stimmt, es gibt einige lustige Seitenhiebe auf fehlfunktionierende Technik und B-bot Ron ist ausgesprochen niedlich. Für den Voicecast in der Originalversion wurden unter anderem Jack Dylan Grazer, Zach Galifianakis und Olivia Colman verpflichtet.

„Ron läuft schief“ ist gute Familienunterhaltung mit sanftem Biss und hat das Herz am rechten Fleck. Ganz mit dem System brechen will der Film dann aber doch nicht, denn die Moral von der Geschicht’ ist ambivalent: Am Ende haben sich die sprechenden tictacs zu noch angepassteren Freunden der Kinder gewandelt. Konsequenter wäre es gewesen, die Scheißdinger einfach abzuschalten.

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Originaltitel „Ron’s Gone Wrong“
USA 2021
106 min
Regie Sarah Smith und Jean-Philippe Vine
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

DEAR EVAN HANSEN

DEAR EVAN HANSEN

Es gab mal eine Schauspielerin namens Joan Crawford. Die war dafür berühmt, dass sie ihren Kindern unter Wutanfällen verbot, Kleidung auf Drahtbügeln aufzuhängen. NO WIRE HANGERS! Im Trash-Camp-Klassiker „Mommie Dearest“ glaubhaft nachgestellt. (hier die Szene) Joan hatte im wahren Leben eine Adoptiv-Tochter. Christina Crawford war ebenfalls Schauspielerin, unter anderem wirkte sie in der Serie „The Secret Storm“ mit. Eines Tages wurde sie schwer krank. Die Produzenten fanden es eine gute Idee, die Rolle ersatzweise mit Christinas Mutter Joan zu besetzten. Warum das erwähnenswert ist? Christina war damals in ihren 20ern, Joan 62.

„Dear Evan Hansen…“, so beginnt der schüchterne Evan einen Brief an sich selbst am ersten Tag in der Oberstufe – ein Rat seines Therapeuten. Durch unglückliche Umstände gerät ein Ausdruck dieses Briefes in die Hände von Evans Mitschüler Connor. Die beiden kennen sich kaum, Connor ist ein schwieriger Einzelgänger. Kurz darauf nimmt er sich das Leben, wird mit dem Brief in der Tasche gefunden, den seine Eltern als Abschiedsbrief an Evan interpretieren. Evan, der der trauernden Familie Trost spenden will, behauptet, Connors bester Freund gewesen zu sein und spinnt die erfundene Geschichte immer weiter aus.

Und was hat nun Joan Crawford mit „Dear Evan Hansen“ zu tun? Die Hauptrolle in der Broadway-Musicalverfilmung wird von Ben Platt gespielt. Der ist 28. Die Figur, die er spielt, soll ein 17-jähriger Highschoolschüler sein. Platts Aussehen ist wie der viel zitierte Unfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Trotz puppenhaft geschminktem Gesicht, aufgetufften Haaren und Kinderklamotten sieht er wie ein verkleideter Mittdreißiger mit Doppelkinn aus. Creepy!

Wie es sich für ein amerikanisches Musical gehört, sind die Songs von Benj Pasek und Justin Paul (u. a „The Greatest Showman“, „La La Land“) nett und catchy. Es wird viel geweint (vor und auf der Leinwand) und würde nicht der irritierende Anblick des fehlbesetzten Hauptdarstellers ablenken, wäre „Dear Evan Hansen“ ganz okay, wenn auch mit 137 Minuten Laufzeit entschieden zu lang.
Achtung: Bei uns startet der Film synchronisiert, schauderhafterweise wurden auch die Songs ins Deutsche übersetzt.

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Originaltitel „Dear Evan Hansen“
USA 2021
137 min
Regie Stephen Chbosky
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

ANTLERS

ANTLERS

Wie kommt es, dass Kinder-Zeichnungen in Filmen oft wie abstrakte expressionistische Meisterwerke aussehen? Auch der erst 12-jährige Lucas malt seitenweise künstlerisch Hochwertiges in sein Schulheft. Die blutigen Bilder sind Ausdruck seiner Ängste, denn zu Hause verbirgt er ein entsetzliches Geheimnis. Dass er einerseits niemandem etwas davon verraten will, andererseits ausführliche Storyboards dieses Geheimnisses malt – das Drehbuch will es so. Seine Lehrerin Julia macht sich große Sorgen und bittet ihren Bruder Paul, den örtlichen Sheriff, der Sache nachzugehen.

Ein Feuilletonist würde jetzt irgendwas von „atmosphärisch dicht“ schwadronieren – aber das ist ja schließlich Framerate hier. Also kurz und knapp gesagt: „Antlers“ fängt gut an, verliert sich aber schnell in langweiligen Klischees.
„Let the right one in“, „Twin Peaks“, „Alien“, „The Thing“ – die Reihe der zitierten Klassiker ließe sich beliebig fortsetzen. Dazu noch ein alter Indianer, der geheimnisvolles Zeug von mythologischen Kreaturen nuschelt, ein bisschen Gesellschaftskritik und verdrängte Traumata aus der Kindheit. Zuviel des Guten. Nur Humor geht dem Arthouse-Horror komplett ab. Dafür nimmt er sich selbst viel zu ernst.

„Antlers“ ist ein großes Gewurschtel. Es entsteht der Eindruck, als hätte der Film eine verlustreiche Testscreeningschlacht verloren. Ganze Sequenzen wurden scheinbar entfernt oder nachträglich umgestellt. Das Stückwerk führt dazu, dass die Geschichte nie richtig in Fahrt kommt.
Am gelungensten sind die Szenen zwischen der besorgten Lehrerin Julia und ihrem schwer verstörten Schüler Lucas (sehr gut: Jeremy T. Thomas). Das hätte ein schön düsteres Drama über Missbrauch werden können, doch leider ist es nur ein durchschnittlicher Horrorfilm geworden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Antlers“
USA 2021
99 min
Regie Scott Cooper
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

HALLOWEEN KILLS

HALLOWEEN KILLS

Malus. Peius. Pessimus.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Halloween Kills“
USA 2021
105 min
Regie David Gordon Green
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

Der Verleih besteht auf Spoiler-Verbot. Aber was soll man schreiben, wenn weder über die Geschichte noch über die überall gehypte Midcreditscene etwas verraten werden darf? Venoms pränormatives Interesse gilt dem Phänomen der Rache in seiner historischen und begriffsgeschichtlichen Genese, seiner ethnologisch und kulturanthropologisch fundierten Ausprägung und seinen Darstellungsformen im Bereich des Imaginären.

ODER ein Zitat aus dem Presseheft:

Venom wird erneut von Tom Hardy verkörpert. Die Regie übernahm Andy Serkis. In weiteren Hauptrollen sind Michelle Williams und Naomie Harris zu sehen. Den Bösewicht Cletus Kasady/Carnage spielt Woody Harrelson (im Woody-Harrelson-Auto-Modus / Anm. d. Red.)

Statt Kritik eine lahme Checklist:
Schauspieler – gut
Geschichte – nicht vorhanden
Effekte – okay
Der ganze Film – naja

Die gute Nachricht: Das blutleere CGI-Blutbad dauert nur 97 Minuten. In den USA hat „Venom: Let there be Carnage“ am Startwochenende 90 Millionen Dollar eingespielt. Beeindruckend. Und erstaunlich.

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Originaltitel „Venom: Let there be Carnage“
USA 2021
97 min
Regie Andy Serkis
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Sony Pictures

THE FRENCH DISPATCH

THE FRENCH DISPATCH

Wes Anderson ist ein Genie.

5/5

Es gibt wohl kaum einen Regisseur der Gegenwart, der so vor Originalität und visuellem Einfallsreichtum strotzt wie Wes Anderson. Sein neuester Film ist eine liebevoll komische Hommage an den Journalismus. Mit spielerischer Fantasie und visionärem Geist erweckt der Meisterregisseur eine Sammlung von herrlich schrulligen Geschichten zum Leben, die in der letzten Ausgabe des fiktiven Magazins „The French Dispatch“ veröffentlicht werden.
Neben seinem hochkarätigen Stammensemble (u. a. Bill Murray, Owen Wilson, Adrien Brody) haben diesmal die Oscarpreisträgerin Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet einen unvergesslichen Auftritt. Für das typische Wes-Anderson-Feeling sorgen die fantastische Ausstattung und das liebevolle Spiel mit Miniaturen und Zeichentricksequenzen. „The French Dispatch“ ist ein Muss für Fans. In Cannes gab es dafür minutenlang Standing Ovations.

Wes Anderson ist ein überschätztes One-Trick-Pony.

1/5

Das englische Wort „pretentious“ wurde eigens für den US-amerikanischen Regisseur erfunden. Im Gegensatz zu Woody Allen, der auch nur eine Geschichte in sich trägt, diese aber wenigstens durch wechselnde Genres immer wieder neu verpackt, ergeht sich Anderson in reiner Selbstverliebtheit und zitiert sich am liebsten selbst. Den visuellen Schnickschnack, wie das Spiel mit Farbe und Schwarz-Weiß oder theaterhaft aufgeschnittene Sets kennt man mittlerweile zur Genüge.
Neben den üblichen Verdächtigen sind die immer latent genervt wirkende Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet mit dabei. Letzterer macht ein paar ironische Bemerkungen über seine knabenhafte Figur. So originell sind Drehbuchautoren: Den gleichen Scherz gab es gerade erst in „Dune“ zu hören.
Wer bisher nicht mit dem Anderson-Universum warm geworden ist, den wird auch „The French Dispatch“ nicht bekehren. Für eine halbe Stunde mögen der visuelle Witz und die sprachliche Akrobatik ganz amüsant sein – auf 108 Minuten gedehnt ist es nur aufgeplusterte Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The French Dispatch“
USA 2020
108 min
Regie Wes Anderson
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

THE LAST DUEL

THE LAST DUEL

Ritter Jean (Matt Damon) und Junker Jacques (Adam Driver) werden zu erbitterten Feinden, nachdem Jeans Frau, Marguerite (Jodie Comer), behauptet, von Jacques brutal vergewaltigt worden zu sein. Der beteuert zwar seine Unschuld, doch Jean glaubt seiner Frau und bringt den ehemaligen Freund vor Gericht. Der Ausgang eines vom König angeordneten Duells soll über Schuld und Unschuld entscheiden.

#metoo im 14. Jahrhundert – Die Drehbuchautoren Matt Damon, Ben Affleck und Nicole Holofcener lassen die Männer im Kettenhemd ausgesprochen schlecht aussehen. Die Handlung wird aus drei Perspektiven gezeigt: der des Ehemanns, der des Vergewaltigers und zuletzt der des Opfers. Den Kunstgriff, die gleiche Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, kennt man zum Beispiel von der 40 Jahre alten ZDF-Miniserie „Tod eines Schülers“.

Matt Damon, durch eine Vokuhila und einen abscheulichen Kinnbart entstellt, liefert wie immer eine solide Leistung ab – dröge kann er gut. Ganz ausgezeichnet: Jodie Comer als missbrauchte Frau, die sich zur Wehr setzt. Adam Driver bleibt im Star Wars-Modus und gibt erneut den ambivalenten Shakespeare-Schurken, dessen britischer Akzent kommt und geht wie Ebbe und Flut. Die große Überraschung ist der Auftritt des platinblond gefärbten Ben Afflecks, der sich mit seinem losen Mundwerk aus einem lustigeren Film hierher verirrt hat.

Ridley Scotts visuelles Universum bleibt seit „Gladiator“ unverändert und kennt nur zwei Farbstimmungen: stahlblau und kerzenwarm. Auch die immer gleichen Schlachten bei beständig schlechtem Matsche-Wetter kennt man aus zahllosen anderen Abenteuerfilmen. Hundertfach kopiert und zitiert, sieht aber immer noch gut aus.

FAZIT

Ja, so san’s, die alten Rittersleut’ – wenn sie sich nicht gerade die Köpfe einschlagen, gibt es außer Saufen und Schnackseln wenig Freizeitbeschäftigung. „The Last Duel“ bietet nicht viel Neues, ist aber dank seiner Erzählstruktur – wie der Engländer sagen würde – growing on you. Häufig genug, dass bei einer Laufzeit von 2,5 Stunden in der letzten Stunde das große Mopsen einsetzt. Hier aber ist das Gegenteil der Fall: Anfangs ein bisschen zäh, doch je länger es dauert, desto interessanter wird es. Also Geduld, es lohnt sich am Ende.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Last Duel“
USA 2021
153 min
Regie Ridley Scott
Kinostart 14. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

FLY

FLY

Woran erkennt man Tänzer?
Tänzer erkennt man daran, dass sie nicht wie andere Menschen einfach so über die Straße laufen, sondern – genau – immer tanzen. Jeder Schritt ein Cha-Cha-Cha. Wer das nicht glaubt, sollte sich die ersten 5 Minuten von Katja von Garniers „Fly“ anschauen.

Üblicherweise trifft in deutschen Tanzfilmen ein junges Mädchen, vorzugsweise eine Ballerina, auf eine Gruppe Streetdancer. Anfangs sind die toughen Buben und Mädels extra unfreundlich, dann fallen nach und nach die Masken und am Ende sind alle Freunde. „Fly“ variiert dieses Thema, hier sitzen alle Beteiligten zusammen im Knast. Die politisch korrekt besetzte Multikultigruppe ist Teil eines Resozialisierungsprogramms. Es folgen Battles mit gegnerischen Dancecrews, ein paar Schwierigkeiten, die mittels gruppendynamischer Bewegung weggetanzt werden und zum Happy End haben sich alle lieb.

Die Berliner Streetdancegruppe Flying Steps mischt mittlerweile kräftig im Filmgeschäft mit. Zuletzt waren sie für die Choreografie des scheußlichen Machwerks „Into the Beat – Dein Herz tanzt“ verantwortlich, einem Zwitter aus 80er-Jahre-ZDF-Vorabendserie und schlecht kopierter US-Konfektionsware. Aus Fehlern wird man klug: Diesmal wurde mit Katja von Garnier eine fähige Regisseurin engagiert. Und die bringt (zum Glück) gleich eine Handvoll Schauspieler mit, die ihr Handwerk ebenfalls verstehen und das Laienspiel der (echten) Tänzer auffangen können. Die drei Bandits Katja Riemann, Nicolette Krebitz und Jasmin Tabatabai bewahren den Film vor allzu großer Fremdscham.

Soundtrack, Choreografie, Kamera und Schnitt kaschieren die sehr vorhersehbare Geschichte. Am interessantesten an solchen Filmen ist ja ohnehin die Frage, in welcher Location die nächste, total spontane, aber trotzdem perfekt durchchoreografierte Tanznummer stattfindet. Höhepunkte diesmal: ein Berliner Bürgeramt.

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Deutschland 2019
110 min
Regie Katja von Garnier
Kinostart 14. Oktober 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL

HOCHWALD

HOCHWALD

Lost in Südtirol. Mario (Thomas Prenn) schlägt sich mit Aushilfsjobs durchs Leben, in seiner Freizeit zieht er bunte Retro-Kleidung an und tanzt alleine in der Schulaula. Für die Einwohner in seinem streng katholischen Heimatdorf ist er eine spinnerte Dancing-Queen, auf so einen hat man gerade noch gewartet. Als Mario seinen Freund Lenz in Rom besucht, werden sie Opfer eines Terroranschlags in einer Schwulenbar.

Immer wenn er überfordert ist, zieht der heroinsüchtige Mario eine Faschingsperücke auf. Diese und viele andere Drehbuchideen erinnern daran, dass es sich bei „Hochwald“ um ein Regiedebüt handelt. Evi Romen hat ein gutes Gespür für Atmosphäre und inszeniert den Kontrast zwischen Dorfgemeinschaft und feindseliger Ausgrenzung glaubhaft. Doch die Regisseurin verzettelt sich im Laufe der Handlung zu sehr: Sexuelle Orientierung, Religion, Terrorismus und Drogensucht – die vielen komplexen Themen kann der Film nur streifen, das wirkt oft angestrengt. Im Interview sagt sie: „Das Weglassen ist mir sehr schwergefallen, weil ich sehr viel an sehr tiefen persönlichen Recherchen in dieses Projekt gesteckt habe und sehr viel Material hatte.“ Weniger wäre sehr viel mehr gewesen. Preise hat es trotzdem gehagelt: „Hochwald“ wurde mit dem Goldenen Auge des Zürich Film Festivals und dem Großen Diagonale Preis ausgezeichnet. Hauptdarsteller Thomas Prenn gewann den Österreichischen Filmpreis als „Bester männlicher Hauptdarsteller“.

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Österreich / Belgien 2020
107 min
Regie Evi Romen
Kinostart 07. Oktober 2021

alle Bilder © Edition Salzgeber

TITANE

TITANE

Alles einsteigen, dabei sein, die nächste Fahrt geht rückwärts! Ein Film wie eine Achterbahnfahrt. Der Versuch, den Inhalt von „Titane“ zu beschreiben: Die kleine Alexia überlebt schwerverletzt einen Autounfall. Im Krankenhaus wird ihr eine Titanplatte in den Schädel geschraubt. Daraufhin entwickelt sie eine sehr innige Beziehung zu Autos, Martin Winterkorn hätte das gefallen. Naheliegend, dass sie sich im Erwachsenenalter ihren Lebensunterhalt als Erotik-Tänzerin bei Motorshows verdient. Eines Abends verlangt ein Fan mehr als ein Autogramm, seine Zudringlichkeit muss er mit dem Leben bezahlen. Um unterzutauchen, nimmt Alexia die Identität eines vor zehn Jahren verschollenen Jungens an. Dessen Vater, Feuerwehrkommandant Vincent, akzeptiert den vermeintlich zurückgekehrten Sohn ohne Zögern. Das seltsame Paar entwickelt eine ganz besondere Eltern-Kind-Beziehung.

So weit, so weird. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass Alexia eine Serienmörderin ist und nicht in sondern von einem Auto geschwängert wird. Statt Blutungen und Milcheinschuss sondert ihr Körper Motoröl ab. Ja genau, so eine Art Film ist das. Regisseurin Julia Ducournau mag David Cronenberg, Body-Horror und Brutalität. Ein selbst zugefügter Nasenbeinbruch ist nur einer von vielen „Aua, ich kann nicht hinschauen“-Momenten des Films. „Titane“ ist unsinnig, absurd, unterhaltsam, verrückt und poetisch. Der What-the-Fuck-Faktor ist ungefähr so groß wie seinerzeit bei Darren Aronofskys „Mother!“. Das könnte je nach Geschmack zwischen null und fünf Sterne bekommen. Einigen wir uns also auf die goldene Mitte. Eins ist das provokante Gender-Verwirrspiel aber mit Sicherheit nicht: langweilig.

Von der Kritik fast einhellig als Meisterwerk und sogar als „Neuerfindung des Kinos“ gefeiert, gewann der Film dieses Jahr die Goldene Palme in Cannes.

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Originaltitel „Titane“
Frankreich / Belgien 2021
108 min
Regie Julia Ducournau
Kinostart 07. Oktober 2021

alle Bilder © Koch Films

FAREWELL 007

FAREWELL 007

Gastautorin: Brigitte Steinmetz

Daniel Craig ist besoffen. Er schwankt in seinem schwarzen Anzug neben einer dreistöckigen Sahnetorte, die mit der vertrauten James Bond Silhouette verziert ist und jemand hinter ihm hält mit der Handykamera drauf, wie der sonst so stoische Brite einen Gefühlsausbruch erleidet. „Ich liebe euch alle” stammelt Craig „Das war die beste Zeit meines Lebens”. Betrunkene und Kinder sagen bekanntlich die Wahrheit, deshalb wollen wir ihm glauben. Die kurze Szene entstand im Oktober 2019 auf der Wrap-Party von „No Time To Die” in Matera, Italien und wurde seitdem Millionen Mal auf Twitter geteilt. Ein gerührter Daniel Craig ist besser als jedes geschüttelte Martini-Meme, denn das kann nur heißen: Hail The Queen, James Bond hat den Brexit überlebt.

Zuletzt sah es gar nicht gut aus für die Fortsetzung des sieben-Milliarden-Dollar-Franchise. 2015 fluchte Craig gar, dass er sich „lieber die Pulsadern aufschlitzen” würde, als noch mal 007 zu mimen. Bond war seit „Spectre” in Rente und Craig voller Rage. Wir erinnern uns, in der letzten Szene von „Spectre” fährt Bond mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) in einer Replik seines alten Aston Martin DB5 der Freiheit entgegen. Für die späte Liebe lässt er M und Miss Moneypenny sitzen und sogar Blofeld (Christoph Waltz) mit dem Leben davonkommen. 
Craig war nicht zufrieden mit seinem letzten Eindruck. Zwischenzeitlich hatte er zwar gebellt, dass er einen weiteren Bond nur für einen monströsen Gehaltsscheck machen würde. Doch nimmt der Mann aus Liverpool seinen Beruf Schauspieler viel zu ernst, um nach dreizehn Jahren einen lauwarmen Abgang zu machen.

„Es fühlte sich an, als müsste ich noch eine Rechnung begleichen. Wäre mit „Spectre” Schluss gewesen, hätte es in meinem Hinterkopf rumort: “warum habe ich nicht noch einen gemacht!”. Ich hatte immer eine heimliche Vorstellung davon, wohin ich mit der Figur will. Spectre war’s noch nicht… aber dieser fühlt sich richtig an.”
Mysteriöse Worte. Auch weil die Genese von „No Time To Die” von Problemen geplagt war. Craig hielt den Betrieb wegen einer Knöchelverletzung monatelang auf. Regisseur Danny Boyle warf mitsamt seinem Drehbuchautor wegen „kreativer Differenzen” hin und wurde durch den sanftmütigen Cary Fukunaga (True Detective) ersetzt.  Kreative Differenzen über was oder mit wem? Die Spekulationen reichten von: Boyle wollte die bald 60 Jahre alte Agentensaga mit einem tödlichen Finale beenden und Produzentin Barbara Broccoli war dagegen, bis: Daniel Craig wollte diesen Bond endlich sterben lassen und Danny Boyle weigerte sich, der Henker zu sein. Wir werden es nie erfahren. Aber allein die Tatsache, dass die Gerüchte sich um den möglichen Tod des unsterblichen Agenten ranken, sagt doch viel über die gegenwärtige Geisteshaltung. Hat sich die Marke Bond überlebt?

Noch nie waren die Zeiten so kritisch für Bond. Der vornehmste Auftrag der 250 Millionen Dollar Produktion „No Time To Die” wird sein, den Arsch von Bond in die Post-#metoo-Ära zu retten. Die Essenz der Figur ist längst aufgelöst. Bond ist ein Relikt aus einem Großbritannien, das sein Erfinder Ian Fleming sich in der Nachkriegszeit erträumte. Großbritannien als Großmacht, in der Spionage als geschickteste Form von Außenpolitik gilt.

„Größe: 183 Zentimeter; Gewicht 76 Kilogramm; schlank, blaue Augen, schwarzes Haar, auf der rechten Backe eine senkrechte Narbe. Guter Sportler, ausgezeichneter Pistolenschütze, Boxer und Messerwerfer. Starker Raucher (Spezialzigaretten mit drei Goldstreifen). Leidenschaften: Alkohol (keine Exzesse) und Frauen”.
Cary Grant hätte den Idealvorstellungen von Fleming entsprochen, doch der war schon zu teuer, als der Agent 1962, neun Jahre nach seiner Romangeburt, im Film auf die Jagd von „Dr. No” geschickt wurde.
Und auch wenn 58 Jahre später die meisten, sogar Craig, immer noch Sean Connery ihren Lieblings-Bond nennen: Der Schotte wurde bei seinem Antritt durchaus nicht nur gefeiert, sondern von der Kritik als rassistisch und menschenverachtend beschimpft.
Dem Publikum wars freilich egal, der geschmeidige Spion wurde neben den Beatles zum erfolgreichsten Briten-Export. Sean Connery galt als Gentleman Agent, obwohl er „Marie” in „Diamonds are Forever” mit ihrem Bikinioberteil erwürgte und Pussy Galores „Nein” in „Goldfinger” mit brutalen Küssen erstickte. Frauen waren willige Accessoires, so austauschbar wie die Spielzeuge aus der Werkstatt von Q.

Der Bond des 20. Jahrhunderts war ein Charmeur ohne Gefühle, ein unverwundbarer Killer, der im Kampf um Leben und Tod allenfalls ein paar Kratzer davontrug. Ein Weltreisender ohne Passprobleme, mit der Lizenz konsequenzlos zu lieben und zu töten, Bösewichter aus fahrenden Zügen zu schmeißen, mit Harpunen abzuschießen und ihre Geheimverstecke in verlassenen Vulkanen in die Luft zu jagen Bond lebte nicht nur zweimal, er war unsterblich. Der elegante, skrupellose Bond, schrieb Bond Experte Dr. Siegfried Tesche vor 25 Jahren im Playboy, war im Nachkriegseuropa „wie ein Überlebenspaket”.

Heldenfiguren erzählen immer etwas über den amtierenden Zeitgeist. Auch wenn Ian Fleming stets beteuerte, seine Romane seien unpolitische Zerstreuung, spiegelten sie doch seine Verstörung über die gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre wider: Die Emanzipation der Frauen etwa versteht er allein als freie Fahrt für Sex. George Lazenby, der einzige Bond, der nur einmal im Dienste ihrer Majestät in Erscheinung trat, scheiterte vielleicht auch, weil er mit Tracy (Diana Rigg) zu sehr bondete für den Geschmack von 1968. Bond ist zu cool für die Ehe, die Frau muss sterben. Dann doch lieber Roger Moore „ich kann drei Gesichtsausdrücke: Augenbrauen hochziehen, Augenbrauen runzeln und geradeaus schauen” so lange den Zyniker spielen lassen, bis er als „0070” zu peinlich wurde. Auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise versuchte Timothy Dalton mit Charakter gegen Gadgets zu gewinnen. Das Ergebnis überzeugte so wenig wie Pierce Brosnans aufgeblasene Model-Version.
Als Brosnan 1995 zu „Golden Eye” antrat, begrüßte ihn Judy Denchs M als „sexistischen Dinosaurier”. Das Problem war erkannt, doch änderte das nichts daran, dass Bond zunehmend merkwürdig aus der Zeit gefallen schien. 

„Verdammte Scheiße, wie soll ich das anstellen?” war Daniel Craigs erster Gedanke, als er 2005 die Herausforderung annahm, den gestrigen Actionhelden zu modernisieren.
„Es gab immer diese unangenehme Seite an Bond – Sean Connery hat Frauen ins Gesicht geschlagen als 007!” Craig näherte sich seiner Aufgabe als angeschlagener Auftragskiller. „Du kannst ihm nicht verzeihen, aber wenigstens verstehen, warum er sich so verhält.” Das Publikum wollte verstehen.
Casino Royale spielte 2006 über 594 Millionen Dollar weltweit ein, was ihn – bis „Skyfall” – zum erfolgreichsten Bond Film aller Zeiten machte. Keiner redete mehr davon, dass Craig zu klein oder zu blond für die Rolle sei, als er wie einst Ursula Andres in hautenger La Perla Badehose der Karibik entstieg. Kann ein sexy Bond Sexist sein?

Franchise Fans mögen keine Veränderungen. James Bond war eine verlässliche Konstante in der immer schnelleren Welt. So aufregend seine Abenteuer sind, wirken sie in ihrer Formelhaftigkeit beruhigend. Große Eingangsszene, Titelsequenz mit bombastischer Musik, Besuch bei M und Q, Mission in exotischen Destinationen, Eroberung einer oder mehrere Schönheiten, großes Finale, Welt gerettet.
Doch die Welt ist nicht gerettet. Während selbst Marvel-Comichelden längst ein Innenleben zugeschrieben wird, versucht Bond immer noch mit seiner neuen Düsterheit eines zu markieren. Der Wandel ist nur eine Pose. Auch wenn Vesper Lynd (Eva Green) James Bond ganz selbstbewusst einen hübschen Hintern bescheinigt, muss sie trotzdem sterben, damit er frei für die nächste Eroberung ist.

Wie schon in „Casino Royale” musste Craigs 007 auch in „Spectre” alles aufgeben: seine Wohnung, seinen Job, seine Kollegen. Er hat nur eine Wahl, als er mit der Waffe im Anschlag über dem wehrlosen Blofeld, Urheber alles Bösen in Bonds Universum steht: Pflicht oder Liebe, abdrücken oder … abhauen? 
Dass wir keine Ahnung haben, was die Alternative sein könnte, sagt alles über das wahre Geheimnis von James Bond: Wer ist dieser Typ eigentlich, wenn er nicht 007 ist?

Et toi, Daniel Craig?
Wäre er nicht Schauspieler, würde Craig einen exzellenten Geheimagenten abgeben, denn auch nach einem ganzen Leben in der Öffentlichkeit und dreizehn Jahren in einer ikonischen Rolle weiß man über den Mann wenig mehr als zu seinen Anfängen am Provinztheater.

Geboren in Chester am 2. März 1968. Mutter Kunstlehrerin, Vater Pub-Betreiber. Daher recht trinkfest.
„Immer schon die Arroganz besessen”, nichts anderes als Schauspieler sein zu wollen; das Handwerk lernte er an der „Guildhall School of Music and Drama” an der Seite von Rhys Ifans, Ewan McGregor and Joseph Fiennes. Mit 24 heiratete er eine schottische Kollegin, Fiona Loudon, die Ehe hielt vier Jahre, die gemeinsame Tochter Ella ist längst erwachsen. Sieben Jahre war er der unbekannte Schauspieler an der Seite von Heike Makatsch. Danach wurde es aufregend. Sein Ticket nach Hollywood war 2001 „Tomb Raider” mit Angelina Jolie. Als Shakespeare-Schauspieler rechtfertigte er seine Mitwirkung in der Verfilmung eines Videospiels mit „dem Gehaltsscheck”. Wenig später machte er als Kokaindealer in „Layer Cake” Eindruck bei den Kritikern – und Kate Moss. Es gefiel ihm gar nicht, wie die Medien sich 2004 auf seine Affäre mit dem Supermodel stürzten. „Ich verstand das Interesse an zwei öffentlichen Personen” wand er sich noch Jahre später „aber ich werde niemals öffentlich über eine Beziehung sprechen, weil nur Scheißtypen so was tun würden.” Ein Gentleman genießt und schweigt – aber weil er das zu beharrlich auf Pressekonferenzen tat, beschimpften die britischen Tabloids den neuen Bond bald als „James Bland (Langweilig)”.

Interviews mit Craig sind immer noch kein Feuerwerk, besonders, weil er seine Verschwiegenheit mit entwaffnender Höflichkeit tarnt. Dabei ist er schockierend leicht zu erheitern. Wenn man lange genug in Harmlosigkeiten stochert, schiebt er ein paar Puzzlestücke rüber. Auf die Frage etwa, ob die messerscharfen Anzüge, die Tom Ford seinem Bond auf den Leib meißelt, sich auf seinen Stil ausgewirkt hätten, muss er erst kichern. „Style, ich, hihi, also, haha”. Pause. Und dann: „Mein Großvater war Maßschneider. Von ihm habe ich schon als kleiner Junge gelernt, wie ein Anzug zu sitzen hat, wie Stoffe sich anfühlen und wo die Nähte hingehören. Was Maßanzüge betrifft, bin ich sehr verwöhnt.”

Anders als Bond scheint Craig eher Serien-Monogamist als Ladykiller. Zwischen „Ein Quantum Trost” und „Skyfall” verliebte er sich in seine langjährige Bekannte Rachel Weisz bei gemeinsamen Dreharbeiten zu einem psychologischen Thriller. „Dream House” verschwand schnell in der Versenkung, Rachel Weisz wurde seine Frau und 2018 Mutter der gemeinsamen Tochter. Von der klammheimlichen Hochzeit zwischen dem Bonddarsteller und der Oscar Preisträgerin (The Constant Gardener) im Dezember 2011 wussten nur vier Leute. M hätte seine Freude gehabt.

Natürlich erregt es Argwohn, dass Craig seit dem Drehende von „No Time To Die” so gut gelaunt, ja geradezu befreit wirkt. Nach 13 Jahren Bond und Zwischenspielen in finsteren Filmen wie „Defiance” und „Girl With The Dragon Tattoo” hatte er zuletzt endlich mal Spaß als Detektiv in der Krimikomödie „Knives Out”. Eine „Mischung aus Columbo und Miss Marple” mit breitem Südstaatenakzent spielt er da, und es ist beinahe beleidigend, wie überrascht Kritiker von seiner blauäugigen Schusseligkeit sind. Hatten sie wirklich vergessen, was für ein guter Schauspieler Daniel Craig schon immer war? Bond jedenfalls ist seine Sorge nicht mehr. „Who the fuck cares” sagt Craig auf Spekulationen über seine Nachfolgerschaft. Fest steht immerhin, dass es keine Jane Bond geben wird. Auch wenn eine Frau (Lashana Lynch) in Bonds Liebespause die ikonische 007 übernommen hat. James Bonds Problem ist nicht, was er in der Hose hat. Sondern im Kopf. Sein Königreich ist kaputt. Seine misogynistische Geisteshaltung unzeitgemäß. Seine Kaltblütigkeit ein Fall für den Psychiater.

„No Time To Die” fährt alle Mittel auf, um den Geheimagenten zu verjüngen. Pop Rumpelstilzchen Billie Eilish darf den Titelsong singen. Phoebe Waller-Bridge, Schöpferin und Hauptdarstellerin der umwerfend komischen BBC-Serie „Fleabag”, schreibt am Drehbuch mit. Doch wie weit kann man den Charakter des altgedienten Agenten verwässern, bevor er sich vollkommen aufgelöst hat? Wird er für seinen nächsten Martini nach Zitronenabrieb aus lokalem Anbau verlangen? Vielleicht ist es Zeit, dem alten Bond Farewell zu wünschen. Vielleicht wirkt Daniel Craig deshalb wie erlöst. Vielleicht wäre das beste aller Finale ein bombastischer Abgang. James Bond ist tot, es lebe ein neuer 007.

Alle Bilder © Universal Pictures International