SPEAK NO EVIL

SPEAK NO EVIL

Ab 28. September 2023 im Kino

Nach der gestrigen Empfehlung ROSE heute ein weiterer exzellenter Film aus Dänemark: Wenn zu viel Nettigkeit tödlich ist.

Eine lockere Urlaubsbekanntschaft zwischen einer dänischen und einer niederländischen Familie. Die Kinder spielen zusammen, die Eltern mögen sich. Monate später liegt eine Einladung zu einem Wochenendbesuch im Briefkasten. Die Wiedersehensfreude ist kurz, bald kommt es zu Missverständnissen und einer Reihe kaum merklicher Grenzüberschreitungen. Die Dänen versuchen zunächst höflich zu bleiben – trotz aller Unannehmlichkeiten. Doch das Ganze gerät immer mehr aus den Fugen, Unbehagen wird zu Angst.

Das Böse ist nur allzu real

SPEAK NO EVIL löst wie FUNNY GAMES oder MIDSOMMAR ein sich immer weiter zuspitzendes Gefühl der Beklemmung aus. Der Schrecken bewegt sich in Zeitlupe, hinter der Fassade von Normalität lauert das Grauen. Messerscharf seziert der dänische Regisseur Christian Tafdrup gesellschaftliche Umgangsformen. Besonders die heutzutage weitverbreitete Unfähigkeit, einfach mal „Nein“ zu sagen, hat für die dänische Familie fatale Folgen.

Die besten Ideen hält das Leben bereit: Wie im Film erhielt der Regisseur vor ein paar Jahren von Urlaubsbekannten eine Einladung. Christian Tafdrup überlegte kurz, ob er das Angebot annehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Zu seltsam kam es ihm vor, bei Leuten zu wohnen, die er nicht wirklich kannte. In seiner Fantasie malte er sich aus, was bei einem Treffen alles Schlimmes hätte passieren können.

SPEAK NO EVIL ist beunruhigend und unheimlich, denn das Böse ist nur allzu real. Dass etwas ganz und gar nicht stimmt, ist vom ersten Augenblick an zu spüren. Dafür sorgt schon der bedrohliche und bombastische Orchesterscore von Sune „Køter“ Kølster. Das Drehbuch legt meisterhaft falsche Fährten und überrascht den vermeintlich Horrorfilm geschulten Zuschauer immer wieder. Dank exzellenter Regie und gut ausgearbeiteter Charaktere nimmt der slow burner von Anfang bis Ende gefangen. Das Horror-Studio Blumhouse plant für 2024 eine Neuverfilmung mit James McAvoy und Mackenzie Davis in den Hauptrollen. Hoffentlich bügelt das Remake nicht all die verstörenden Elemente für den US-Markt glatt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Gæsterne“
Dänemark / Niederlande 2022
97 min
Regie Christian Tafdrup

alle Bilder © PLAION PICTURES

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS

Ab 28. September 2023 im Kino

Goodbye England’s Rose - Was eine schizophrene Dänin mit der verstorbenen Lady Di zu tun hat, verrät die herzerwärmende Dramödie ROSE.

„Wollen Sie mich ficken?“

„Ich würde Sie gerne erwürgen“

Inger (Sofie Gråbøl) trägt ihr Herz auf der Zunge. Sie kann nichts dafür, Inger ist schizophren. Nach Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung geht die verschrobene Mittvierzigerin zusammen mit ihrer Schwester Ellen (Lene Maria Christensen) und deren Mann Vagn (Anders W. Berthelsen) auf eine sentimental journey nach Frankreich. Denn es gab mal ein Leben vor der Krankheit, da lebte Inger in Paris, war verliebt und glücklich. Doch der verheiratete Mann, mit dem sie eine Affäre hatte, brach nicht nur mit ihr, sondern ihr Herz gleich mit. Kurz darauf übernahmen die Stimmen in Ingers Kopf das Kommando.

Mit perfektem Timing inszenierte Dramödie

Eine Busreise mit einer geistig verwirrten Frau – gar nicht so einfach. Vor allem wenn sich unter den Mitreisenden ein echter Stinkstiefel befindet (überzeugt als verklemmter Spießer: Søren Malling). Aber die Mühe lohnt sich – denn der Roadtrip ist nicht nur eine Fahrt von A nach B, sondern auch eine Reise ins Innere, mit Auswirkungen auf das gesamte Familiengefüge.

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS ist ein zärtlicher Blick auf das Leben einer Frau jenseits der Norm. Der deutsche Verleihtitel klingt zwar nach Lore-Roman, doch Niels Arden Oplevs Dramödie ist mit perfektem Timing inszeniert, beinah kitschfrei und oft überraschend komisch. Der Regisseur und Autor erzählt eine Geschichte aus seiner eigenen Familie, ROSE basiert auf dem Leben seiner Schwester. Dabei weiß er genau, wann es zu viel wird, wälzt keine Szene unnötig aus oder drückt künstlich auf die Tränendrüse. Dass der Film zudem gut aussieht (Kamera: Rasmus Videbæk) und einen wunderbar emotionalen Soundtrack (Henrik Skram) hat, macht ihn zu einem kleinen Juwel. Die Schauspieler sind sowieso toll, besonders Sofie Gråbøl, die die verwirrte Inger oscarwürdig überzeugend spielt.

Weil gerade Skandinavische Woche bei Framerate ist, gibt es morgen die Kritik zu einem weiteren Film aus dem Land mit der putzigen Sprache: SPEAK NO EVIL – ein düsterer, sehr empfehlenswerter Horrorfilm, ebenfalls aus Dänemark.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Rose“
Dänemark 2022
106 min
Regie Niels Arden Oplev 

alle Bilder © mindjazz pictures

ERWARTUNG – DER MARCO EFFEKT

Kinostart 02. Juni 2022

„Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist ein ganz offensichtlich fürs Fernsehen (Co-Produzent ist das ZDF) gedrehter Thriller, der nun bei uns in den Kinos landet. Ein bisschen mehr cineastische Größe und etwas weniger biedere TV-Stangenware hätte es schon sein dürfen. Jede Einstellung atmet hier Fernsehen, trotz des oscarprämierten Regisseurs. Ein typischer Sonntag-Abend-Krimi, nur dass es hier nicht nach 90 Minuten vorbei ist – Die dünne Story voller Zufälle dehnt sich auf über zwei Stunden.

Kurt Wallander heißt jetzt Carl Mørck und kommt aus Dänemark. Wie sein schwedisches Vorbild wandelt auch dieser Kommissar stets am Rande einer Depression. Eines trüben Morgens landet ein seit Jahren abgeschlossener Fall auf seinem Schreibtisch. Der Reisepass eines seit vier Jahren verschwundenen Familienvaters wurde im Besitz des 14-jährigen Roma-Jungens Marco gefunden, als dieser illegal über die dänische Grenze wollte. Kommissar Mørck und sein Team kommen einer finsteren Verschwörung auf die Spur, die bis ganz nach oben reicht – und deren unfreiwillige Schlüsselfigur der junge Marco ist. 

Harry, fahr den Wagen vor. „Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist konventionelle, einigermaßen solide gemachte Unterhaltung, ohne Tränensäcke und ohne große Überraschungen. Den Todesstoß besorgt wie immer die deutsche Synchronisation. Für Dutzendware wie diese lohnt nicht der Weg ins Kino, so was läuft auch ständig in den Öffentlich Rechtlichen. Schrott-Krimiautor Jussi Adler-Olsen liefert die Vorlage, dies ist bereits der fünfte Film, der auf seiner Romanserie basiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Marco effekten“
Dänemark / Deutschland / Tschechien 2021
125 min
Regie Martin Zandvliet

alle Bilder © Koch Films

HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT

HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT

Was wäre wenn?
Was wäre, wenn sich das Mädchen kein blaues Fahrrad zu Weihnachten gewünscht hätte? Was wäre, wenn der nette Herr nicht seinen Platz in der Bahn angeboten hätte? Wie harmlose Nichtigkeiten eine Kettenreaktion auslösen können, die in einer Katastrophe noch lange nicht endet, erzählt der Film „Helden der Wahrscheinlichkeit“.

Als er bei einem Zugunglück seine Frau verliert, kehrt der grimmige Armeeoffizier Markus (mit Raspelkurzhaarschnitt und Vollbart kaum wiederzuerkennen: Mads Mikkelsen) nach Hause zurück, unfähig, seinen Kummer zu verarbeiten oder gar seiner Tochter Trost zu spenden. Markus ist wütend und kennt für Probleme nur zwei Lösungen: zuschlagen oder erschießen. Auftritt Otto: Der Statistiker (famos: Nikolaj Lie Kaas) und seine zwei schrägen Kollegen Lennart und Emmenthaler behaupten, das Unglück sei in Wahrheit ein Attentat gewesen. Markus sieht Rot und beginnt einen Rachefeldzug.

Ja, das klingt wie der dreihundertsiebenundneunzigste Liam Neeson-Revenge-Thriller. Ist es aber nicht. Es wird zwar auch hier viel geschossen und getötet, doch „Ritter der Wahrscheinlichkeit“ ist keine US-Konfektionsware, sondern eine dänische Produktion mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle – und das sind schon zwei Faktoren, die spätestens seit „Der Rausch“ nur Gutes verheißen. „Helden der Wahrscheinlichkeit“ hat einen doofen deutschen Verleihtitel, ist aber eine intelligente und sehr komische Achterbahnfahrt durch verschiedene Genres. Ein Film über Verlust, Rachegelüste und unbewältigte Traumata mit großartig gezeichneten Figuren und Tiefgang. Regisseur Anders Thomas Jensen ist eine düstere, blutige Action-Komödie gelungen, die bewegt und oft laut Lachen lässt. Guter Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Retfærdighedens ryttere“
Dänemark 2020
116 min
Regie Anders Thomas Jensen
23. September 2021

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih und Splendid Film 

DER RAUSCH

DER RAUSCH

Alkohol ist eine Lösung. Jedenfalls wenn man dem norwegischen Philosophen Finn Skårderud  glauben darf: Nach seiner These kommen wir Menschen mit einem halben Promille zu wenig im Blut auf die Welt. Kontrolliert jeden Tag ein, zwei Gläschen verhelfen demnach zu mehr Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Soweit die Theorie.

Die Freunde Martin, Tommy, Nikolaj und Peter laufen wie ausgeknipst durchs Leben. Abgestumpft und unglücklich – der Job als Lehrer nervt, zu Hause warten Monotonie oder Streit. Die vier beschließen, die Sache mit dem Dauerschwips mal unverbindlich auszuprobieren. Durch den Alkohol enthemmt, fühlen sich die Männer lebendiger und mutiger, trauen sich Dinge zu tun, die sie in nüchternem Zustand niemals gewagt hätten. Doch Schnaps ist nicht nur die reine Freude. Vom Erfolg angestachelt, beschließen sie, das Experiment auszuweiten und die Dosis zu erhöhen – mit fatalen Folgen.

„Druk“, so der dänische Originaltitel, ist ein nachdenklich machender und oft komischer Film, der sich mit den großen Themen jeder Midlife-Crisis beschäftigt: Die Jugend endgültig vorbei, was ist der Sinn des Lebens, wer liebt und braucht einen überhaupt noch? „Findest Du mich langweilig?“, fragt Martin seine Frau. Ihr Schweigen ist Antwort genug.

Die berührende Tragikomödie des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg gewann zu Recht den Oscar für den besten internationalen Film. Ausgezeichneter Film, tolle Besetzung: Mads Mikkelsen liefert eine fantastische Leistung ab und beweist wieder mal, dass er einer der besten Schauspieler unserer Zeit ist. Hervorragend auch Thomas Bo Larsen, Magnus Millang und Lars Ranthe – ein perfektes Ensemble.

FAZIT

Top Film – Prost!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Druk“
Dänemark 2020 
117 min
Regie Thomas Vinterberg
Kinostart 22. Juli 2021

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH

KÖNIGIN

Anne, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Dänemark. Ihr Leben scheint perfekt. Doch dann beginnt sie eine verhängnisvolle Affäre mit ihrem 16-jährigen Stiefsohn. Gustav mag zwar körperlich reif sein, doch mental ist er noch ein halbes Kind. Einmal fragt er, was das Schlimmste sei, das sie sich vorstellen könne. „Alles zu verlieren“, antwortet Anne. Als ihre verbotene Beziehung aufzufliegen und sie tatsächlich alles zu verlieren droht, greift sie zu drastischen Mitteln. Ihre egoistischen Entscheidungen haben katastrophale Folgen.

„Königin“ erzählt die Geschichte eines Sündenfalls. Macht, Missbrauch und Verrat – es bleibt offen, ob Anne in ihrer Jugend selbst Opfer war. Regisseurin May el-Toukhy stellt den gängigen Glauben, im Bösen verberge sich manchmal ein guter Kern auf den Kopf: Bei ihr verbirgt sich im Guten das Böse. Der Film nimmt immer wieder Bezug auf Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Wie bei dessen Titelfigur kann man dem langsamen Sturz der Protagonisten in den bodenlosen Abgrund zuschauen. „Ab mit dem Kopf!“ Und wie die rote Königin aus dem Buch entpuppt sich auch Anne als unberechenbare Herrscherin über Leben und Tod.

Starke Schauspieler: Gustav Lindh als gar nicht so tougher Teenager und besonders Trine Dryholm, die für ihre Rolle als Anne bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.

FAZIT

Unaufhaltsam tickendes Psychodrama. Sehenswert.

Originaltitel „Dronningen“
Dänemark 2019
127 min
Regie May el-Toukhy
Ab sofort zu kaufen bei iTunes, ab 14. Mai 2020 als VoD erhältlich