MRS. HARRIS UND EIN KLEID VON DIOR

Kinostart 10. November 2022

von Anja Besch

Im London der späten 50er fristet die ältliche Kriegerwitwe Ada Harris mit verschiedenen Putzjobs ein bescheidenes Dasein, dessen einzige Ausschweifungen gelegentliche Pub-Besuche sind – bis sie eines Tages ausgerechnet durch die Haute-Couture-Robe einer Kundin aus ihrer pragmatischen Genügsamkeit gerissen wird. Dank eiserner Sparsamkeit und eines ebenso unverhofften Geldsegens läppert sich zwar die nötige Anschaffungssumme zusammen, doch noch befindet sich der Stoff, aus dem ihre Träume sind, im Atelier des großen Couturiers Christian Dior. Endlich in der Hauptstadt der Mode angekommen, schafft es Mrs. Harris nicht nur, ins Allerheiligste vorzudringen, sondern – um aus dem Nähkästchen zu spoilern – eine griesgrämige Direktrice, einen charmanten Grafen, ein existenzialistisches Pärchen und eigentlich tout Paris zu bezaubern.

Wem diese Geschichte vage bekannt vorkommt, der musste vielleicht 1982 die betuliche Fernsehadaption mit Inge Meysel ertragen. Vierzig Jahre später wird Anthony Fabians Kinoversion „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ endlich Paul Gallicos Literaturklassiker gerecht. Buchstäblich old-fashioned, voller britischem Humor und berührend statt nur rührselig.

Kleider machen Leute und Leute machen Kleider gilt eben auch fürs Filmgeschäft – insbesondere den Cast: Die wunderbare (Oscar®- und BAFTA-nominierte) Lesley Manville in der Titelrolle schart höchstkarätige Co-Darsteller um sich wie Isabelle Huppert, Lambert Wilson oder Jason Isaacs sowie die Jungstars Alba Baptista und Lucas Bravo.

Wenn die Heizungen im Winter auf Sparflamme bleiben, wird es einem mit diesem Film wenigstens richtig warm ums Herz.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Mrs. Harris Goes to Paris“
Großbritannien / Ungarn 2021
116 min
Regie Anthony Fabian

alle Bilder © Universal Picture International Germany

HAUTE COUTURE

DIE SCHÖNHEIT DER GESTE

Kinostart 21. April 2022

Ein französischer Film mit der großartigen Nathalie Baye in der Hauptrolle, der hinter die Kulissen der Pariser Modewelt blickt – was kann da schon schief gehen, fragen Sie? Leider einiges. Drehbuchautoren aufgepasst, so konstruiert man zum Beispiel keine gute Geschichte: Esther leitet im Modehaus Dior ein Atelier für die Haute-Couture-Kollektion. Durch ihre Hände gleiten die erlesensten Stoffe, sie sorgt dafür, dass die Entwürfe der Designer als perfekt genähte Unikate auf dem Laufsteg gezeigt werden können. So weit, so interessant. Eines schönen Tages wird ihr in der Metro die Handtasche geklaut. Die Diebin ist Jade, ein Mädchen mit Migrationshintergrund. Da die junge Araberin ihre Tat zwar nicht bereut, aber von ihrer Komplizin auf einen guilt trip geschickt wird (Geld klauen ist ok, aber eine goldene Kette mit Davidstern – das geht gar nicht!), bringt sie die Tasche samt Inhalt der Bestohlenen zurück. Die ist darüber so empört, dass sie die Diebin in ein Restaurant einlädt (?) und ihr ein Praktikum in ihrer erlauchten Nähstube anbietet (??). Dort wird Jade von den Kolleginnen teils herzlich, teils mit Verachtung in Empfang genommen.

Muss noch erwähnt werden, dass sich Jade, obwohl sie nicht einmal weiß, was eine Stecknadel ist („Sind das die mit den Köpfen?“) als Wunderkind entpuppt, deren Hände wie geschaffen sind zum Nähen? Mal vom komplett unrealistischen Verhalten der Figuren abgesehen, benimmt sich die junge Frau in ihrer Ausbildungszeit dermaßen zickig und unverschämt, dass sie in der wahren Welt schon nach 2 Minuten des Hauses verwiesen worden wäre. Hier allerdings folgt eine neue Chance auf die nächste, bald versteht man gar nicht mehr, warum sich nach dem letzten großen Streit plötzlich alle schon wieder lieb haben.

Wie es der Drehbuchzufall so will, hat Esther ein gestörtes Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter, während Jades Mutter seit Jahren depressiv zu Hause rumsitzt. Neben der Glucke-Küken-Annäherung geht es in erster Linie wieder mal um einen gebildeten (weißen) Mentor, der einen ungeschliffenen Rohdiamanten unter seine Fittiche nimmt.

Mit einem besseren Autoren und einem Regisseur mit einer klareren Vision hätte „Haute Couture“ ein wunderbarer Film werden können. Denn die Story und das Setting haben Potenzial, die Charaktere sind interessant, die Szenen, die die Herstellung der Edelroben zeigen, sind toll. Aber es gelingt nicht, den Figuren trotz der grandiosen Besetzung echtes Leben einzuhauchen. Dem Film mangelt es an Struktur, einzelne Handlungsfragmente wirken verloren, fügen sich nie zu einer harmonischen Geschichte zusammen. Und so schaffte es „Haute Couture“ über weite Strecken nicht, emotional zu berühren. Da nützt auch der wahllose Einsatz von Popsongs nichts. Schade drum.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Haute Couture – La Beauté du geste“
Frankreich 2021
101 min
Regie Sylvie Ohayon

alle Bilder © Happy Entertainment

PARFUM DES LEBENS

PARFUM DES LEBENS

Gerüche können bei uns Menschen stärkere Erinnerungen auslösen, als es ein Foto oder eine Erzählung vermögen. Die Nase: das unterschätzte Sinnesorgan. Davon können Long-Covid-Patienten ein Lied singen. 

Vor über zehn Jahren fand in Genf eine Veranstaltung statt, die unter dem Motto „Début du printemps“, also „Frühlingsanfang“ stand. Um die Gäste entsprechend einzustimmen, sollte eine Geruchsexpertin die zahlreichen Zuschauer in eine grasige Duftwolke einhüllen. Was seinerzeit wegen zu starker Klimaanlagen nur bedingt funktionierte, ist mittlerweile Standard in allen Bereichen unseres täglichen Lebens. Vom Deoroller über Katzenstreu bis hin zu ganzen Gebäuden – alles hat seine individuell angepasste olfaktorische Marke. Ein Negativbeispiel ist die Modekette „Abercrombie and Fitch“, die mit ihrem penetranten Billiggeruch höchstens Kopfschmerzen auslöst.

Und genau darum geht es in „Parfum des Lebens“ – Anne war mal eine Koryphäe auf ihrem Gebiet: Parfumkreationen für Dior machten Sie zu einem Star in der Welt der künstlich erzeugten Düfte. Doch mit dem Erfolg setzte der Stress ein. Anne verlor vorübergehend ihren Geruchssinn, wurde danach nur noch für gewinn-, aber wenig prestigeträchtige Jobs in der schnöden Welt der Alltagsprodukte gebucht.

Auftritt Guillaume: Der geschiedene Vater kämpft um das Sorgerecht für seine zehnjährige Tochter. In seinem neuen Job als Chauffeur trifft er auf Anne, zunächst ganz gefühlskalte Eule. Das ungleiche Paar entdeckt jedoch nach und nach Gemeinsamkeiten. So kommen sich die beiden im Laufe der Geschichte zwar nicht romantisch näher, finden aber Wege, sich ein bisschen glücklicher zu machen und aus ihrem eingefahrenen Dasein zu retten.

Mut zum Kitsch in der Sprache: „Parfum des Lebens“ öffnet sich langsam wie eine aufgehende Blüte. Nach und nach, Lage um Lage werden die Schwächen und versteckten Talente der Figuren freigelegt. Und dabei wird noch Interessantes über die professionelle Welt der Düfte vermittelt: Wer hätte gedacht, dass erst ein Hauch von Müllgeruch Chanel No. 5 zu einem Parfumklassiker macht?

Vielleicht hat der monatelange Kinoentzug das Hirn vernebelt, und wahrscheinlich wird es die deutsche Synchronisation wieder zunichtemachen – aber „Parfum des Lebens“ ist (wenigstens in der Originalversion) ein ganz entzückender, beglückender Film.

FAZIT

Schön, melancholisch und mit leisem Humor erzählt. Très charmant!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Parfums“
Frankreich 2019
100 min
Regie Grégory Magne
Kinostart 19. August 2021

alle Bilder © Happy Entertainment