PERSISCHSTUNDEN

1942, auf einer Waldlichtung in Belgien: SS-Leute zerren Dutzende Menschen von der Ladefläche eines Lastwagens und erschießen sie. Einzig der junge Belgier Gilles überlebt das Massaker, weil er behauptet, kein Jude, sondern Perser zu sein. Eine Notlüge, die sich als seine Rettung erweist: Hauptsturmführer Koch (Lars Eidinger) sucht gerade jemanden, der ihm Farsi beibringt, da er nach Kriegsende ein Restaurant im Iran eröffnen will.
Das Dumme ist nur: Gilles spricht absolut kein Wort Persisch. Kurzerhand erfindet er eine eigene Sprache und bringt Koch ein Fantasiekauderwelsch bei.

„Persischstunden“ ist zwar sehr unterhaltsam (darf man das über einen Holocaust-Film sagen?) aber auch unentschlossen. Soll es nun eine ironische Komödie oder ein emotionales Drama sein? Gegen die Vermischung von Genres ist nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, hier aber ist die Balance unausgewogen. Der Humor bewegt sich teilweise auf Pennälerniveau und die Spannungsmomente wirken mitunter wie aus einer mittelmäßigen Nachmittags-Soap.

Nur konsequent, dass sich da auch Lars Eidinger nicht entscheiden kann, ob er die ganz große Bühnenperformance für die letzte Reihe liefern oder doch lieber mit leisen Tönen (die er ja durchaus beherrscht) überzeugen soll. Das beste an „Persischstunden“ ist sein Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart. Wie der die ängstliche, traurige und zugleich starke Figur des Gilles spielt, macht den Film sehenswert.

Dem Vergleich mit überlebensgroßen Holocaust-Dramen wie „Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“ kann „Persischstunden“ nicht standhalten. Die Bildsprache ist zu glatt, die Schauplätze wirken unpassend ästhetisch. Fast hat man den Eindruck, Kameramann Vladislav Opelyants hätte mehr Wert auf hübsche Bilder als auf Authentizität gelegt.

FAZIT

Klingt absurd, beruht aber auf einer wahren Geschichte.

Originaltitel „Persian Lessons“
Deutschland / Russland 2019
127 min
Regie Vadim Perelman
Kinostart 24. September 2020

FRAGEN SIE DR. RUTH

Kaum jemand hat den prüden US-Amerikanern seit Mitte der 1970er-Jahre so viel Wissen über ihr Intimleben vermittelt, wie die kleinwüchsige jüdische Immigrantin Ruth Westheimer. 
„Ich bin Feministin, aber keine Radikale“, um diesen Satz aus der berühmten Sexualtherapeutin zu kitzeln, bedarf es einiger Argumentationskunst ihrer Enkeltochter. Als klassische Feministin hat sich die 1928 in Frankfurt am Main geborene Karola Ruth Siegel nie gesehen. Sollen andere ihre BHs verbrennen, sie beantwortet lieber mit einnehmender Offenheit verklemmte Fragen rund um das Thema Sex.

„Ich habe meine Mutter noch nie weinen gesehen“, sagt ihre Tochter Miriam – ein Wunder, angesichts der schon in jungen Jahren erlittenen Schicksalsschläge. Der frühe Verlust der Eltern im Holocaust, die von Angst und Unsicherheit geprägte Kindheit in einem Schweizer Waisenhaus – Tragödien haben die 1,40 m kleine Ruth zu innerer Größe heranwachsen lassen. Nach den gescheiterten ersten beiden Ehen – „legalisierte Liebesbeziehungen“, wie sie es nennt, findet sie das große Glück erst in der dritten Ehe mit Manfred Westheimer.

„Sex für Dummies“, „The Art of Arousal“, „10 Geheimnisse für richtig guten Sex“: Seit den 1980er-Jahren veröffentlicht Dr. Ruth über 40 Sachbücher zum Thema Sex, unterrichtet an Universitäten, ist Star ihrer eigenen Radio- und TV-Sendungen und Dauergast bei allen populären Talkshows.
Regisseur Ryan White nutzt in seiner filmgewordenen Liebeserklärung neben Interviews mit Weggefährten und zahllosen TV-Ausschnitten, originellerweise auch Zeichentricksequenzen, um einschneidende Erlebnisse in Ruth Westheimers Leben nachzuerzählen.

Funfact: Seit vielen Jahren gehört neben Liliane Bettencourt (angeblich 2017 verstorben) auch Dr. Ruth Westheimer zum engsten Freundeskreis der Lobi AG. Regelmäßig finden Kaffee- und Champagnerkränzchen zwecks Austausch des neusten Klatsches statt. 

FAZIT

Heiterer und bewegender Dokumentarfilm über die einzigartige „Grandma Freud“.

Originaltitel „Ask Dr. Ruth“
USA 2019
100 min
Regie Ryan White
Kinostart 27. August 2020