THE QUIET GIRL

THE QUIET GIRL

Ab 16. November 2023 im Kino

Der schönste „Stummfilm“ aller Zeiten spricht gälisch und in kleinen Gesten.

Die typisch irisch-katholische Sippe hat so viele Kinder, dass sie sogar eines davon ausleihen kann, zumal bereits das nächste ins übervölkerte Haus steht. Und so erhält Cáit, die Außenseiterin der Familie, die Chance auf einen Sommer bei entfernten Verwandten, der ihr Leben grundlegend verändern wird.

Künftiger Klassiker des Europäischen Films

Auf der Autofahrt in die kleine Küstenstadt erlebt der Zuschauer die Reise mit den Augen der Neunjährigen – Kippen im Ascher, die Schulter des Vaters (Michael Patric), Stromleitungen am Straßenrand – und ist am Ziel ebenso baff über die ungewohnt herzliche Begrüßung ihrer Tante Eibhlín (Carrie Crowley), die sie von da an liebevoll und geduldig in die kleinen Alltäglichkeiten des neuen Zuhauses einführt. Eher wortkarg zeigt sich zunächst ihr Ehemann Seán (Andrew Bennett), mit dem das scheue Mädchen aber bald eine ganz besondere Art der Kommunikation entwickelt, in der ein Keks mehr als 1000 Worte sagt und der tägliche Lauf zum Briefkasten zum Akt der Selbstfindung wird. Doch selbst in dieser sonnigen Idylle auf Zeit gibt es Schatten der Vergangenheit.

Dass „Das stille Mädchen“ nicht zwangsläufig in ein schnödes Disney Finale gipfelt, ist nur eine seiner vielen schönen Eigenheiten. Als kulturelle Besonderheit kann gelten, dass er komplett in irischer Sprache gedreht wurde (was ausnahmsweise für die deutsche Synchronisation spricht) und war natürlich der irische Oscar-Beitrag 2023 in der Kategorie Bester Internationaler Film.

Das tiefgründige, berührende Drama basiert auf einer Kurzgeschichte von Claire Keegan, die 2010 als „Best of the Year“ im New Yorker veröffentlicht wurde. Und ist unglaublicherweise das Spielfilmdebüt sowohl von Regisseur Colm Bairéad als auch für seine überragende Kinderdarstellerin Catherine Clinch in der Titelrolle der Cáit, die mit THE QUIET GIRL heimlich, still und leise einen künftigen Klassiker des Europäischen Films erschaffen haben.

Text: Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „An Cailín Ciúin“
Irland 2022
95 min
Regie Colm Bairéad

alle Bilder © Neue Visionen

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THE BANSHEES OF INISHERIN

THE BANSHEES OF INISHERIN

Kinostart 05. Januar 2023

Frühmorgens aufstehen, die Tiere auf die Weide treiben, nachmittags zwei bis zehn Guiness trinken, abends mit dem Esel schmusen. Es ist nicht gerade viel los auf der abgelegenen Insel Inisherin vor der Westküste Irlands im Jahre 1923. Doch der einfach gestrickte Pádraic ist mit seinem Leben rundum zufrieden. Das Haus teilt er sich mit seiner unverheirateten Schwester Siobhán, seinen besten Freund Colm holt er jeden Tag pünktlich um zwei zum gemeinsamen Biertrinken ab. Bis Colm die Freundschaft urplötzlich kündigt. „Du hast mir nichts getan. Ich kann dich einfach nicht mehr leiden.“ Pádraic versteht die Welt nicht mehr und versucht, seinen Freund umzustimmen. Doch all seine Bemühungen nützen nichts, und als Colm Pádraic ein Ultimatum stellt, eskalieren die Ereignisse mit drastischen Folgen.

„The Banshees of Inisherin“ lässt sich auf vielerlei Arten interpretieren: eine simple Meditation über Männerfreundschaft? Eine Allegorie auf den Bürgerkrieg – einen Bürgerkrieg im Mikrokosmos, der für den damals tobenden irischen Bürgerkrieg im Großen steht? Oder ein Shakespeare-Drama inklusive Helden, Schurken, Hexen und Narren? Obwohl der Film zu großen Teilen aus philosophischen Gesprächen über Freundschaft und das Leben im Allgemeinen besteht, sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen. Die vermeintlich sanfte Gleichmut hält ein paar bloody shocking Überraschungen parat.

Das Dreamteam ist zurück: Nach „Brügge sehen … und sterben?“ hat sich Regisseur McDonagh für seine neue Tragikomödie wieder Colin Farrell und Brendan Gleeson vor die Kamera geholt. Daneben sind unter anderem der immer hervorragende Barry Keoghan („Dunkirk“), sowie Kerry Condon (bekannt aus „Better Call Saul“) zu sehen.

Irisch klingt zwar oft wie Klingonisch auf Rückwärts. Trotzdem: Original mit Untertiteln ist ein Muss.
Go raibh maith agat as léamh (Vielen Dank fürs Lesen).

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Banshees of Inisherin“
Irland 2022
109 min
Regie Martin McDonagh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

BELFAST

BELFAST

Kinostart 24. Februar 2022

Es gab Zeiten, da galt es als erstrebenswert, von der Hollywood Foreign Press Association (kurz: HFPA) einen Golden Globe verliehen zu bekommen. Damit ist es vorbei. Vor gut einem Jahr deckte ein Artikel der LA-Times das bis ins Mark korrupte System hinter der Organisation auf. Am schwersten wiegt der Vorwurf, unter den 87 Mitgliedern gebe es keine einzige Person of Color. Huch. Das war bis dahin niemandem aufgefallen.

Die HFPA vergibt ihre Awards vorzugsweise an Studios, die sich die Gunst der Journalisten mit luxuriösen Reisen zu Filmsets oder anderen großzügigen Geschenken erworben haben. Die verdeckte Bestechung war zwar allgemein bekannt, scherte aber bislang keinen. Absurditäten wie die Auszeichnung „Bester Film“ für das Florian Henckel von Donnersmarck-Debakel „The Tourist“ oder der „Beste Comedy“-Preis für das Ridley-Scott-Drama „Der Marsianer“ wurden als Schrulligkeit belächelt. Erst die Veröffentlichung des LA-Times-Artikels machten die Golden Globes igitt, plötzlich wollte keiner mehr mit dem korrupten Haufen in Verbindung gebracht werden. Superstar Tom Cruise gab seine Preise sogar empört zurück.

Und was hat das nun alles mit Kenneth Branaghs fabelhaftem, autobiografisch inspiriertem Film „Belfast“ zu tun? Nichts. Außer dass, gerade als man dachte, die Golden Globes seien auf immer gebrandmarkt, das produzierende Studio damit wirbt, „Belfast“ habe den Golden Globe für das beste Drehbuch gewonnen. So viel zur Halbwertszeit von Skandalen.

Damit niemand sagen kann, Framerate sei zu geschwätzig, hier eine kurze, knappe Lobhudelei: Die Geschichte vom neunjährigen Buddy und seiner Familie im nordirischen Bürgerkrieg ist spannend, berührend, humorvoll, wunderschön fotografiert und hervorragend besetzt. Besonders Newcomer Jude Hill ist ein echtes Naturtalent. Ganz ausgezeichnet auch der Rest des Ensembles: Judi Dench wurde gerade für den Oscar nominiert, eine Ehre, die auch Caitríona Balfe für ihre Darstellung verdient hätte. Jamie Dornan kann charmanter Familienvater, Serienmörder (The Fall) und Sado-Maso-Lover (50 Shades of Grey) – warum nicht auch 007?

Man könnte „Belfast“ als Wohlfühlfilm abstempeln, und es gibt Momente, in denen hätte ein wenig mehr dramatische Tiefe nicht geschadet. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau: Branagh ist mit der richtigen Mischung aus Nostalgie, Wärme und Komik eine sehr persönliche Liebeserklärung an seine Heimatstadt gelungen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Belfast“
GB 2021
98 min
Regie Kenneth Branagh

alle Bilder © Universal Pictures International Germany