PERFECT DAYS

PERFECT DAYS

Ab 21. Dezember 2023 im Kino

Nach ANSELM der nächste gute Film von Wim Wenders in diesem Jahr. Eine Liebeserklärung an Tokio, die Einfachheit der Dinge und - Toilettenhäuschen.

Selbst Genies wie Lou Reed haben ein Faible für die schlichten Freuden des Lebens: Ein perfekter Tag kann aus einem Schluck Sangria im Park, einer Fütterung der Tiere im Zoo und einem Kinobesuch bestehen. Ganz ähnlich – auf der anderen Seite des Globus – gleitet der Japaner Hirayama durch seinen eigenen Tagesablauf: ein Ballett der Routine, vom morgendlichen Rasieren bis hin zur Pflege seiner Pflanzen, gekrönt von einer gewöhnlichen, aber akribisch und liebevoll ausgeführten Arbeit – dem Reinigen von öffentlichen Toilettenhäuschen. Hirayama, dessen Leben von Musik und Literatur durchdrungen ist, wird durch unerwartete Begegnungen mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Die Handlung, die sich langsam entfaltet, zeigt, dass selbst im scheinbar Gewöhnlichen verborgene Geschichten stecken können. 

Eine Liebeserklärung an Tokio

Anfang 2022 erhält Wim Wenders einen Brief aus Tokio: „Hätten Sie Interesse, nach Tokio zu kommen und sich ein höchst interessantes soziales Projekt anzuschauen? Es handelt sich um ein gutes Dutzend öffentlicher Toiletten, die allesamt von großen Architekten gebaut wurden.“ Der Regisseur ist begeistert und beschließt, zusammen mit Co-Autor Takuma Takasaki ein Drehbuch rund um die wunderschönen Miniaturbauten zu schreiben.

Die Entscheidung, den Film in nur 16 Tagen zu drehen, erweist sich als kreativer Glücksfall, denn alles wirkt spontan und authentisch, fast dokumentarisch. Wenders‘ Blick auf Tokio ist eine Liebeserklärung an die Stadt. PERFECT DAYS entführt die Zuschauer auf eine poetische Reise durch das scheinbar gewöhnliche Leben eines scheinbar gewöhnlichen Mannes. Dass dahinter mehr steckt, wird nur zart angedeutet und damit der Fantasie des Zuschauers überlassen. Koji Yakusho brilliert in der Hauptrolle als Hirayama und wurde zu Recht mit dem Preis als Bester Darsteller bei der Weltpremiere in Cannes ausgezeichnet.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Perfect Days“
Japan 2023
123 min
Regie Wim Wenders

alle Bilder © DCM

JETZT ZUM NEWSLETTER ANMELDEN

DIE SCHRIFTSTELLERIN, IHR FILM UND EIN GLÜCKLICHER ZUFALL

Kinostart 10. November 2022

Zufallsbegegnungen – der Film. Die Schriftstellerin Jun-hee besucht die Buchhandlung einer früheren Freundin, zu der sie den Kontakt verloren hatte. Bei einem Ausflug trifft sie einen Filmregisseur, der einmal eines ihrer Bücher verfilmen wollte. Später lernt sie bei einem Spaziergang im Park eine berühmte Schauspielerin kennen und schlägt ihr ein gemeinsames Kurzfilmprojekt vor.

Eine beiläufig mitgedrehte, federleichte Fingerübung

So spannend wie das klingt, ist es auch. Es passiert fast nichts in „The Novelist’s Film“, der in Deutschland – das ist jetzt große Mode – unter einem ellenlangen Nonsens-Titel in die Kinos kommt. In meditativen Szenen wird viel geredet, manchmal ist das auch einigermaßen amüsant. Hong Sang-soos dialoglastiger Film ist dramaturgisch weniger kompliziert aufgebaut als seine früheren Werke, die noch viel mehr mit Verschachtelungen und Wiederholungsstrukturen gespielt haben. Den aktuellen Inszenierungsstil des Regisseurs könnte man als „spontan“ bezeichnen, „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ wirkt wie eine beiläufig mitgedrehte, federleichte Fingerübung.

Nach Hong Sang-soos „The Woman Who Ran“ (2020) und „Introduction“ (2021) hat auch „Die Schriftstellerin…“ den Silbernen Bären in Berlin gewonnen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „So-seol-ga-ui yeong-hwa“
Republik Korea 2021
92 min
Regie Hong Sang-soo

alle Bilder © Grandfilm

BULLET TRAIN

Kinostart 04. August 2022

Wozu mit langen Inhaltsangaben aufhalten, wenn es der Klappentext der Romanvorlage perfekt zusammenfasst: Ein Zug. Fünf Killer. Ein Koffer voller Geld.

Und noch ein typischer Guy-Ritchie-Film, den Guy Ritchie nicht gedreht hat. Das Beste an der Highspeed-Action-Komödie in einem japanischen Schnellzug ist zweifelsohne Brad Pitt als Auftragskiller in Existenzkrise. Regisseur David Leitch bleibt seinem überdrehten Comicstil aus „Atomic Blonde“ und „Deadpool 2“ treu und deckt die ganze Bandbreite von ziemlich lustig bis absolut dämlich ab. „Bullet Train“ ist ein blutiges Gemetzel mit hohem Bodycount, kombiniert mit Selbstironie. Das ist nun wirklich nichts Neues, in diesem Tempo aber wenigstens unterhaltsam.

Dank halbwegs interessanter Charaktere und Dialogen aus dem Tarantino-Handbuch nicht ganz so hirnlos wie befürchtet, aber auch längst nicht so clever, wie es die Macher glauben. Slapstickhaftes Popcornkino für zwei Stunden Eskapismus.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Bullet Train“
USA 2022
126 min
Regie David Leitch

alle Bilder © Sony Pictures

SHIVER – DIE KUNST DER TAIKO TROMMEL

Kinostart 23. Juni 2022

Schnell die Koffer packen und sich auf eine Reise nach Japan begeben. Genauer nach Sado. Wild, ursprünglich und faszinierend schön sieht die von dramatischem Ozeanwellen umgebene Insel in Toyoda Toshiakis Film aus.

Schönheit beflügelt Kreativität. In „Shiver – Die Kunst der Taiko Trommel“ bildet Sado die Kulisse für ein außergewöhnliches Experiment: Der japanische Elektro-Musiker Koshiro Hino trifft auf das Taiko Performing Arts Ensemble Kodo. Die Gruppe besteht seit über 40 Jahren und erzeugt mit einer Vielzahl exotischer Schlaginstrumente ihren mittlerweile weltberühmten Sound.

Aus der Kollaboration zwischen Hino und Kodo entstand ein faszinierendes audiovisuelles Ereignis, das ganz ohne Dialoge auskommt. Zwischen Kontemplation und purer Kraft: Der Dokumentarfilm „Shiver“ ist ein verrücktes, magisches und philosophisches Event.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Senritsu seshimeyo“
Japan 2020
89 min
Regie Toyoda Toshiaki 

alle Bilder © Rapid Eye Movies

DRIVE MY CAR

DRIVE MY CAR

Kinostart 23. Dezember 2021

Ein roter Saab 900 Turbo, ein betrogener Ehemann und Tschechows Onkel Wanja – Das sind die erstaunlichen Zutaten einer 40-seitigen Kurzgeschichte von Haruki Murakami.

Oto arbeitet als Drehbuchautorin beim Fernsehen, ihr Mann Yusuke Kafuku ist ein renommierter Bühnenschauspieler und Regisseur. Die beiden haben vor vielen Jahren ihre Tochter verloren – Lungenentzündung im Kindesalter – seitdem sucht Oto immer wieder Sex mit anderen Männern. Kafuku nimmt die Untreue seiner Frau stoisch hin. Eines Tages stirbt Oto an einem Hirnaneurysma, einfach so. Peloton hat nichts damit zu tun.

Ein ungewöhnlich langes Intro: Bis zum Vorspann sind schon 40 Minuten vergangen. Zwei Jahre später: Kafuku willigt ein, das Tschechow-Stück „Onkel Wanja“ in Hiroshima zu inszenieren. Aus versicherungstechnischen Gründen darf er seinen geliebten Saab während dieser Zeit nicht selbst fahren, die junge Chauffeurin Misaki wird ihm zugewiesen. Auf ihren langen gemeinsamen Autofahrten nähern sich die beiden zögerlich einander an.

„Drive my Car“ ist Kontemplation als Film. Obwohl es um schwere Themen geht, bleibt die Spannungskurve ohne größere Ausschläge nach oben oder unten in einem 3 Stunden währenden ruhigen Fluss. In einer Szene erwischt Kafuku seine Frau dabei, wie sie ihn mit einem jungen Mann in der gemeinsamen Wohnung betrügt. Es gibt keinen Streit, keine Konfrontation, keinen Bruch. Kafuku ist nicht einmal sauer. Er beobachtet das Geschehen kurz und schleicht sich dann leise aus dem Zimmer. Aus den dramatischen Geschehnissen hätte eine US-Produktion einen rührseligen Tearjerker fabriziert, auf japanisch rauscht das Unglück so sanft dahin wie ein Windstoß durch eine Teeplantage beim Sonnenaufgang.

Eine Adaption, die funktioniert: Das Übertragen von Murakamis präzisem, unaufgeregtem Schreibstil auf die Leinwand ist auf den Punkt. Regisseur Ryusuke Hamaguchi gelingt ein vielschichtiges Werk über Trauer, Liebe, Verrat und Kunst. Sein raffiniertes Spiel um Sprache und Sprachlosigkeit gewann den Preis für das beste Drehbuch in Cannes.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Doraibu mai kâ“
Japan 2021
179 min
Regie Ryusuke Hamaguchi

alle Bilder © Rapid Eye Movies

THE GRUDGE

So fängt das Kinojahr schon gleich ungut an: „The Grudge“ hat es geschafft, beim Bewertungsportal CinemaScore das selten vergebene „F“ zu erlangen. Schlechter geht’s nicht.

„The Grudge“ 2020 ist bereits die dritte Fortsetzung der amerikanischen Neuauflage des japanischen Originals „Ju-On“ von 2002. Wieder geht es um böse Geister, die sich in Häusern samt deren Bewohnern einnisten. Eine junge Mutter schleppt einen solchen Geist unwissentlich von Japan in die USA ein. Bald darauf tötet sie ihre Familie und sich selbst. Detective Muldoon versucht, den brutalen Familienmord aufzuklären. Im Rahmen ihrer Ermittlungen vor Ort betritt sie das verfluchte Haus und wird bald selbst von den Geistern verfolgt. Soweit, so unoriginell.

Regisseur Pesce bemüht sich, seine Geisterbahnfahrt durch verschachtelte Handlungs- und Zeitebenen mit ein wenig Bedeutung und Tiefe aufzuladen. Auch lobenswert: Statt perfekter CGI setzt der Filmemacher auf analoge Effekte. Viel geholfen hat die Mühe jedoch nicht. Der „Spukhaus“- und „Rache aus dem Totenreich“-Geschichte lässt sich als Nichtkenner der Filmserie nur schwer folgen. Da erlahmen das Interesse und die Sorge um die Figuren schnell. Und richtiger Horror will sich auch nicht einstellen: Die immer gleichen Jump-Scares, in denen entstellte Leichen und Geister urplötzlich aus dem Dunkel auftauchen, haben sich rasch abgeschliffen.

FAZIT

Hat ein paar gelungene Momente – alles in allem aber eher fade Gruselkost.

Originaltitel „The Grudge“
USA 2020
93 min
Regie Nicolas Pesce
Kinostart 09. Januar 2020

AMA-SAN

Kontemplation total. Sanft schaukelnde Boote, blauer Himmel, das Licht der Nachmittagssonne bricht sich in den Wellen. Drei Damen fortgeschrittenen Alters, eine ist schon weit über 80, bereiten sich auf einen Tauchgang vor. Matsumi, Mayumi und Masumi sind Ama-San – japanische Taucherinnen, die eine spezielle Technik beherrschen: Sie können ohne die Hilfe von Sauerstoffflaschen ungewöhnlich lange unter Wasser bleiben. Ihre Atemluft reicht aus, Seeigel und Muscheln mit dem Messer vom felsigen Grund des Ozeans zu schneiden und unbeschadet wieder aufzutauchen.
 
Liebevoll und zurückhaltend zeichnet Regisseurin Varejão in wunderschön komponierten Bildern das Porträt dreier Frauen, die einer jahrtausendealten, vom Aussterben bedrohten Tätigkeit nachgehen. Der Dokumentarfilm wechselt zwischen der traumgleichen Unterwasserwelt des Pazifischen Ozeans und amüsanten Beobachtungen des häuslichen Alltags der Protagonistinnen.
 

FAZIT

Sanftmütiger Blick auf eine faszinierende, beinahe vergangene Welt.

Originaltitel „Ama-San“
Portugal / Japan / Schweiz 2016
112 min
Regie Cláudia Varejão
Kinostart 03. Oktober 2019