More than strangers

MORE THAN STRANGERS

More than strangers

MORE THAN STRANGERS

Kammerspiel auf kleinstem Raum: Fünf Fremde unterschiedlicher Nationalitäten in einem Auto unterwegs von Berlin nach Paris.

Ab 22. August 2024 im Kino

Wer zu Mauerzeiten von Westdeutschland nach Berlin wollte oder umgekehrt und finanziell eingeschränkt war, nutzte bevorzugt die Mitfahrt in einem Pkw mit Fremden. Dazu gab es (passenderweise) in einem U-Bahnhof die sogenannte „Mitfahrzentrale“, die Älteren erinnern sich. In meist schrottigen Autos saß man dann viele Stunden zu dritt auf die Rückbank gequetscht und hoffte, dass der Herr bald Abend werden ließe.

Diese besondere Reiseform ist dank Deutschlandticket und Billigfliegern zwar aus der Mode gekommen, aber sie existiert noch, vor allem als Konzept in der Filmwelt. Denn die Kombination aus Roadmovie und Kammerspiel ist für Drehbuchautoren und Regisseure zu verlockend.

More than strangers

In MORE THAN STRANGERS geht die Fahrt von Berlin nach Paris in einer – die Zeiten ändern sich – brandneuen Audi-Elektro-Limousine. Das Ziel der Reise ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wichtiger ist, wie sich unterwegs die Dynamik innerhalb einer bunt zusammengewürfelten Zwangsgemeinschaft entwickelt.

More than strangers

Hier treffen fünf Charaktere unterschiedlicher Nationalitäten aufeinander: Die Griechin Sophia (Smaragda Karydi) will weg von ihrem Mann, Julia (Julie Kiefer) hat Stress im Job. Der Fahrer Patrick (Cyril Gueï) soll das Auto nach Paris überführen und versucht, rechtzeitig bei seiner hochschwangeren Freundin zu sein. George (Léo Daudin) ist ein DJ auf der Flucht vor der Polizei, der entspannte Kiffer Chris (Samuel Schneider) versucht die Gruppe mit seiner Sozialkompetenz zusammenzuhalten. Im beengten Wageninneren prallen die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Meinungen aufeinander. Kein Wunder, dass die Harmonie nicht lange hält. 

More than strangers

Das Interessanteste an Sylvie Michels zweitem Langfilm ist der Sprachmix der verschiedenen Nationen; die Konflikte und Missverständnisse der Protagonisten sind dagegen weniger aufregend oder allzu interessant. Dazu kommt ein anstrengender Soundtrack, der die Ohren quält – man wünscht sich, der Fahrer möge den Sender wechseln. So hat MORE THAN STRANGERS vor allem eins mit den Mitfahrgelegenheiten von früher gemein: Man ist froh, wenn die Reise endlich vorbei ist.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Griechenland 2023
100 min
Regie Sylvie Michel

More than strangers

alle Bilder © W-FILM

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WEISST DU NOCH

WEISST DU NOCH

Ab 21. September 2023 im Kino

Schade, wirklich. Sowohl Geschichte als auch Besetzung sind richtig gut. Hätte Rainer Kaufmann seine Dramödie mit weniger flachen TV-Bildern und mutigerem Stil inszeniert, wäre WEISST DU NOCH ein exzellenter Film.

Aus der Ehe von Marianne und Günter ist nach 50 Jahren die Luft raus. Die Kinder sind längst ausgezogen, melden sich nur noch sporadisch. Das Rentnerpaar geht sich gehörig auf den Sack, vor allem die zunehmende Vergesslichkeit wird bei jeder Gelegenheit zum Streitthema. Als Günter zum Hochzeitstag zwei blaue Pillen aus der Tasche zaubert, mit denen angeblich sämtliche Erinnerungen zurückgebracht werden können – wenigstens vorübergehend – ist Marianne skeptisch. Doch die Pille wirkt und die beiden Streithähne begeben sich auf eine versöhnliche Reise in die Vergangenheit.

Ein von vorne bis hinten hell ausgeleuchteter Fernsehfilm

Wir müssen über Inhalt und Form sprechen. Günther Maria Halmer spielt schön muffelig den am Leben vorbeilebenden Stinkstiefel. Und die fabelhafte Senta Berger hat ihr Karriereende extra verschoben, steht für WEISST DU NOCH vielleicht ein letztes Mal vor der Kamera. Die Idee ist originell, das Drehbuch voll bissiger Dialoge. Die dem Leben Zugewandte und der Misanthrop provozieren und sticheln, das sitzt punktgenau, ist ernst und zum Lachen. Hätte also was Großes werden können. Aber warum muss ein deutscher Kinofilm mit solch guten Zutaten so bescheiden aussehen? Zumal es sich um ein Kammerspiel mit nur zwei Personen (plus drei Mini-Nebenrollen) handelt. Also überschaubar, keine teuren Sets, Locations oder gar Special Effects.

Was hätte ein Michael Haneke aus so einem Stoff gemacht? Sicher keinen von vorne bis hinten hell ausgeleuchteten Fernsehfilm. Wahrscheinlich sind Regisseur Rainer Kaufmann und sein Kameramann Martin Farkas unschuldig, denn die ARD Degeto ist Co-Produzentin. Und das sieht man in jeder Einstellung. Nach dem Motto: Das muss den Ü-70-Zuschauern bei der Fernsehauswertung gefallen, bloß keine Experimente. Wieder eine vertane Chance, den deutschen Kinofilm glänzen zu lassen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
91 min
Regie Rainer Kaufmann

alle Bilder © MAJESTIC

DER ZEUGE

DER ZEUGE

Kinostart 02. März 2023

Carl Schrade, ein ehemaliger Juwelenhändler, der jahrelang in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten wurde, sagt als Kronzeuge vor einem US-Militärgericht gegen seine Peiniger aus. Auf der Anklagebank sitzen SS-Männer, NSDAP-Funktionäre und Ilse Koch, die Frau des berüchtigten KZ-Kommandanten Karl Koch.

Fast nüchtern werden die Gräueltaten der Nazis nacherzählt

DER ZEUGE basiert auf realen Gerichtsprotokollen. Regisseur Bernd Michael Lade stellt in seinem Prozess-Drama Täter- und Opferaussagen gegenüber. Fast nüchtern werden die Gräueltaten der Nazis nacherzählt, die zum Tod von Millionen Menschen in den Konzentrationslagern führten.

Lade setzt auf Realismus und lässt die Aussagen der Protagonisten von Anfang bis Ende übersetzen. Ganz so, wie es in den Gerichtsprotokollen geschrieben steht. Spricht ein Angeklagter Deutsch, so wird seine Aussage von einer Übersetzerin auf Englisch wiederholt. Umgekehrt werden die englischen Zeugenaussagen ins Deutsche übersetzt. Wort für Wort, Satz für Satz. Das erfordert Geduld. Natürlich wäre es kein Problem gewesen, spätestens nach fünf Minuten den üblichen Crossfade zu machen und alle Figuren in einer Sprache sprechen zu lassen. Oder Untertitel. Doch solchen filmischen Tricks verweigert sich der Regisseur, um „mit einem inneren Widerhall die Aussagen fühlbar zu machen.“ Für den Zuschauer anstrengend, aber immerhin konsequent durchgezogen.

Bernd Michael Lade selbst spielt die Hauptrolle, seine Ex-Ehefrau Maria Lade gibt mit blecherner Transistorradiostimme die Übersetzerin, der gemeinsame Sohn Jonathan agiert als Statist im Hintergrund, neben ihm sein Halbbruder Ludwig Simon. Ein Kammerspiel mit Familienbesetzung, das noch viele Schülergenerationen im Geschichtsunterricht begleiten wird.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
93 min
Regie Bernd Michael Lade

alle Bilder © Neue Visionen