WAS GESCHAH MIT BUS 670?

WAS GESCHAH MIT BUS 670?

Kinostart 10. Februar 2022

„Verschwunden am gefährlichsten Ort der Welt: Der Todeszone Nord-Mexikos“
Obwohl das Kinoplakat den Leibhaftigen zeigt und der deutsche Titel ein bisschen reißerisch klingt: Nein, „Was geschah mit Bus 670?“ ist kein RTL-Mystery-Thriller.

Wegen eines Jobs will Jesús mit einem Freund die Grenze zwischen Mexiko und den USA überqueren. Zwei Monate später wird die Leiche des Freundes gefunden – von Jesús fehlt bis auf seine in einem Massengrab gefundene Tasche jede Spur. Als die Mutter des Jungen, Magdalena, auf einer Polizeistation eine Vermisstenanzeige aufgeben will, drängt man sie, den Tod ihres Sohnes zu bestätigen. Der Fall soll möglichst schnell zu den Akten gelegt werden. Doch Magdalena ist überzeugt: Jesús lebt noch. Sie begibt sich auf eine Odyssee durch das mexikanische Grenzgebiet.

Beklemmend – so lässt sich der erste Spielfilm von Fernanda Valadez am ehesten beschreiben. Die Erzählweise der mexikanischen Regisseurin ist trotz des heftigen Themas zurückhaltend. Sie vermeidet in ihrer ungewöhnlichen Familiengeschichte jegliche Melodramatik. Lange Einstellungen – oft verharrt die Kamera minutenlang auf den Gesichtern – und poetische Naturaufnahmen machen „Was geschah mit Bus 670?“ zu einem visuell ungewöhnlichen, stellenweise experimentellen Arthouse-Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel “Sin señas particulares“
Mexiko / Spanien 2020
97 min
Regie Fernanda Valadez

alle Bilder © MFA+

NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG

NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG

Gleich zu Beginn des Films ist eine wehrlose nackte Frau zu sehen, an deren Körper grüne Farbe herabtropft. Kurz darauf folgt eine albtraumhafte Kamerafahrt über grün beschmierte Leichen. Grün, die Farbe der Hoffnung – in „New Order“ steht sie für Umsturz und Gewalt.

Die Handlung ist schnell erzählt: Mexiko-Stadt wird in naher Zukunft von einem gewalttätigen Aufstand erfasst. Vom Chaos unberührt, findet derweil in einem luxuriösen Anwesen eine rauschende Hochzeitsparty statt. Als ein verzweifelter Ex-Angestellter bei der Feier auftaucht und die Familie der Braut um Geld bittet, löst das eine fatale Kettenreaktion aus.

Das Eindringen der Unterschicht in den heilen Kokon der Oberschicht erinnert an den Oscar-Gewinner „Parasite“ von 2019. Mit der gemeinsamen Grundidee und einer Vorliebe für minimalistisches Architekturdesign hören die Parallelen aber schon wieder auf – weit weniger subtil erzählt der mexikanische Regisseur Michel Franco vom Kampf Arm gegen Reich. Die Wut der Bevölkerung auf die herrschende Klasse gipfelt hier nicht in einem ausgeklügelt subversiven Unterwanderungsplan, sondern in Entführung, Massenvergewaltigung und Mord.

Ist „New Order“ eine Dystopie? Für eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung mit bösem Ausgang ist die Geschichte zu nah an der Realität. Die erste Hälfte, des mit 86 Minuten relativ kurzen Films, ist gut gemachtes Gesellschaftsdrama, die zweite Hälfte unnötig brutaler Sozial-Schocker. Die Revoluzzer entpuppen sich als garstige Peiniger, die ihre blinde Wut in sadistischer Grausamkeit ausleben. Es scheint fast, als habe der Regisseur das Interesse an seinen zu Beginn so sorgsam eingeführten Figuren verloren, es gibt nur noch schablonenhaft Gute und Böse. Keine schönen Aussichten auf die neue Weltordnung.

FAZIT

Zwiespältig.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Nuevo Orden“
Mexiko 2020
86 min
Regie Michel Franco
Kinostart 12. August 2021

alle Bilder © Ascot Elite Entertainment

Weekly Update 03 – diesmal mit *unbezahlter Werbung

Im zweiten Stock übt das unbegabte Kind seit drei Stunden die Titelmelodie von „Der Herr der Ringe“ auf der Trompete. Wer wird heute zuerst einen Schreianfall bekommen, der Junge oder seine Mutter? Oben rollt die Psychologin Weinfässer durch die Wohnung. Das macht sie jeden Tag, oft bis 3 Uhr morgens. So laut, dass man kein Auge zu macht. „ZU“ ist übrigens das Un-Wort des Jahres. Alles ist zu, außer den Augen. Auch die Kinos sind weiterhin zu. Vielleicht muss Framerate bald „die 5 besten Science-Fiction-Filme auf Netflix“ oder kurz und knapp irgendwelche Serien besprechen. Bis es hoffentlich nie so weit ist, gibts erstmal weitere VoD Neuerscheinungen und Brot.

Brot? Ja KOMMA Brot! Das allerbeste Brot der Stadt kann man derzeit in „Die Weinerei“, einem charmanten Weinladen in der Veteranenstraße 17, Berlin-Mitte kaufen. Mehl, Salz, Hefe, Wasser und viel Liebe: Mehr Inhaltsstoffe braucht es nicht. Innen saftig weich, außen eine herrlich dunkle Kruste. Knurps, fünf Sterne! *

Zum Preis von etwas mehr als zwei Broten (9,99 €) kann man ab sofort den Berlinale Gewinner 2019 „Synonymes“ streamen und tut dabei auch noch Gutes: Grandfilm teilt den Gewinn 50/50 mit den wegen Corona geschlossenen Independent-Kinos, die bisher die Filme des Verleihers gezeigt haben. Und der bereits letzte Woche erwähnte Club Salzgeber erweitert ab 09. April sein Portfolio mit dem mexikanischen Film „This is not Berlin“. *

SYNONYMES

Schlechter kanns für Yoav kaum laufen: Die Wohnung, in der er unterkommen soll, ist komplett unmöbliert und leer. Weil es so kalt ist, nimmt er erst mal ein Bad. Kaum in der Wanne, werden ihm alle seine Sachen gestohlen. Tom Mercier spielt Yoav, einen unzufriedenen jungen Mann, der aus Tel Aviv nach Paris flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen. Er will seine Wurzeln kappen, nichts soll ihn an seine Vergangenheit erinnern. Yoav weigert sich, auch nur ein einziges hebräisches Wort zu sprechen. Sein ständiger Begleiter ist ein französisches Wörterbuch. So kommuniziert er mit den verschiedenen Menschen, die seinen Weg kreuzen. Wie er mit seinem niedlich-debil-geilen Gesichtsausdruck, französische Vokabeln brabbelnd, durch die Straßen von Paris irrt, erinnert er fast ein bisschen an Trash-König Joey Heindle, der sich verlaufen hat. 

Ein Pluspunkt des Films ist sein trockener Humor. Nervig dagegen ist das unüberhörbare Rascheln der Drehbuchseiten. Das Verhalten der Figuren dient oft nur der Geschichte, wirkt dadurch artifiziell und zu gewollt. „Synonymes“ basiert auf den eigenen Erfahrungen von Autor und Regisseur Nadav Lapidist. Eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, manche geglückt, manche weniger. 

FAZIT

Die Berlinale-Jury entschied, „Synonymes“ sei der beste Films des Festivals 2019 und verlieh ihm den Goldenen Bären.

Originaltitel „Synonyms“
Frankreich / Israel / Deutschland 2019
123 min
Regie Nadav Lapid 
Ab sofort als VoD auf Grandfilms für 9,99 €

THIS IS NOT BERLIN

Ein Junge mit langen Haaren steht verloren inmitten einer heftigen Massenschlägerei. Der Blick geht ins Leere, er fällt in Ohnmacht. 

Mexiko City, 1986. Ein Außenseiter in der Schule, zu Hause nervt seine in Depressionen versunkene Mutter: der 17-jährige Carlos gehört nirgendwo richtig dazu. Das mit dem in Ohnmacht fallen ist zwar uncool, dafür ist er am Lötkolben ein Held. Der kleine Daniel Düsentrieb bastelt in seiner Freizeit die verrücktesten Maschinen zusammen. Als er den Synthesizer einer Band repariert und damit deren Auftritt rettet, wird er zum Dank mit in den angesagten Klub „Azteca“ genommen. Während ganz Mexiko der WM entgegenfiebert, entdeckt Carlos dort zusammen mit seinem besten Freund Geza die Welt der Subkultur: Video-Art, Punk-Performance, sexuelle Ambivalenz und Drogen. 
Klingt wie ein gewöhnliches Abendprogramm im Berlin der 80er Jahre. But this is not Berlin, it’s Mexiko! Wer hätte gedacht, dass es da vor 35 Jahren genauso wild und künstlerisch aufregend zuging, wie in der damals noch geteilten Hauptstadt? Die Underground-Kultur der Zeit haben Regisseur Sama und sein Kameramann Altamirano perfekt wieder zum Leben erweckt. Sexuell freizügige Nacktkunst-Aktionen und Jeder-mit-jedem-Herumgeschlafe sind erfrischend offen und unverklemmt inszeniert.

„This is not Berlin“ mischt sehr viel – ein bisschen zu viel – schräge Kunst mit einer etwas generischen Coming-Of-Age-Story über einen Jungen, dem die Augen für eine neue Welt geöffnet werden. Am Ende verstolpert sich die Handlung zu sehr in Klischees von Eifersucht und betrogener Freundschaft, das hätte es gar nicht gebraucht. Bis dahin ist „This is not Berlin“ ein unkonventioneller Film über Selbstfindung, Freundschaft, Liebe und das Erwachsenwerden.

FAZIT

Interessante Zeitreise in die 80er – wurde bereits auf mehreren Festivals ausgezeichnet.

Originaltitel „Esto no es Berlín“
Mexiko 2019
109 min
Regie Hari Sama
Spanische OF mit deutschen UT
Ab 09. April als VoD auf Club Salzgeber für 4,90 €