KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE

KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE

“You funny ass old whore. Tricky old fuck. Sad stinky bitch!” Was sich wie Social-Media-Hasskommentare liest, sind in Wahrheit analoge Beleidigungen per Briefpost im England der 1920er-Jahre.

Ab 28. März 2024 im Kino

In der malerischen britischen Küstenstadt Littlehampton erhält die fromme Christin Edith Swan (Olivia Colman) seit Wochen Briefe voller anzüglicher Beleidigungen. Wer könnte der Absender sein? Alles deutet auf die zugezogene Rose Gooding (Jessie Buckley) hin, die zusammen mit ihrer Tochter und ihrem schwarzen Freund nebenan wohnt. Rose hat ein loses Mundwerk und benimmt sich auch sonst nicht besonders ladylike. Doch die junge indische Polizistin Gladys Moss (Anjana Vasan) glaubt nicht, dass Rose die Schmähbriefe geschrieben hat und ermittelt auf eigene Faust.

Niedlich, schrullig, britisch

Regisseurin Thea Sharrock interessiert sich in ihrer Komödie weniger für den Kriminalfall (wer der Absender der Briefe ist, ahnt man relativ schnell), sondern mehr für den feministischen Aspekt der Geschichte. Ihre Heldinnen sind Frauen, die sich nicht länger wegen ihrer Herkunft, ihrer Art zu Leben oder ihrer Hautfarbe beurteilen lassen wollen.

Das Beste sind (to nobody’s surprise) die beiden Hauptdarstellerinnen Olivia Colman (kann einfach nie schlecht sein) und Jessie Buckley. Ungeachtet der expliziten Sprache ist KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE eine eher harmlose Angelegenheit und tut niemandem weh. Die kleine (und wahre!) Geschichte ist leichte Kost, die unflätigen Ausdrücke (vor allem in der englischen Originalversion) sind das einzig wirklich Komische. Ein Film aus der Reihe: Niedlich, schrullig, britisch.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Wicked Little Letters“
GB 2023
101 min
Regie Thea Sharrock

alle Bilder © STUDIOCANAL

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WONKA

WONKA

Ab 07. Dezember 2023 im Kino

Zauberhaftes Musical über Roald Dahls Schokoladenmagier in jungen Jahren.

WONKA ist das filmische Äquivalent zu einem Besuch im Hamburger Miniatur Wunderland. Ständig gibt es etwas zu entdecken, beim ersten Schauen verpasst man wahrscheinlich viele der liebevollen Details, die Regisseur Paul King (PADDINGTON 1 + 2) und sein Team in den Film gepackt haben.

Großes, zuckersüßes Unterhaltungskino

Die Geschichte vom Chocolatier, der sich gegen ein Schokoladenkartell behaupten muss, wurde schon dreimal verfilmt. Zuletzt übernahm Johnny Depp mit gruselig weiß geschminktem Gesicht die Titelrolle. Im Prequel das genaue Gegenteil: Timothée Chalamet schaut gewohnt niedlich unter seiner Lockenfrisur hervor und strahlt als Willy Wonka die genau richtige Mischung aus jugendlicher Unschuld und Cleverness aus. Kritiker hatten befürchtet, er sei mit dem Erbe Gene Wilders (der die Rolle in der ersten Verfilmung von 1971 spielte) überfordert, doch Chalamet macht seine Sache hervorragend und kann sogar einigermaßen singen.

Eine ganze Schar toller Schauspieler ist in Nebenrollen dabei, unter anderem Oscargewinnerin Olivia Colman als verbrecherische Hotelbesitzerin Mrs. Scrubbit. Dass der 1,80 m große Hugh Grant in der Rolle des zwergwüchsigen Oompa Loompa besetzt ist, hat im Netz für viel Diskussion gesorgt. Aber welcher nur 50 cm große Schauspieler hat denn bitte den umwerfend zynischen Charme von Grant? Das Internet ist manchmal wirklich dumm.

Egal ob Musical-Fan oder Nicht-Fan (okay, es wird vielleicht ein bisschen zu viel gesungen): Die grandiose Neuverfilmung des Roald-Dahl-Kinderbuch-Klassikers ist fantastisch ausgestattetes, zuckersüßes Unterhaltungskino. Das perfekte Anti-Grau – genau richtig gegen Winterdepressionen. 

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Wonka“
USA / GB 2023
117 min
Regie Paul King

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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RON LÄUFT SCHIEF

RON LÄUFT SCHIEF

Der schönste Tag 2021 war der 4. Oktober: Facebook, Instagram und WhatsApp gingen für sieben Stunden offline. Die Welt konnte durchatmen. Was für ein Segen!

Dass sich so etwas in nächster Zeit wiederholt, ist eher unwahrscheinlich. Denn das Sammeln von Daten und das Absaugen unserer Lebenszeit ist für Social Media Konzerne überlebenswichtig. Please, like me! Das Grundübel begann schon 2007 mit der Einführung des iPhones. Apple hat die Menschen zu Smombies (© Jugendwort 2015) gemacht. Erstaunlich, dass die längst überfällige Abrechnung nun ausgerechnet in Form eines leicht zuckrigen Animationsfilms im Appledesign daherkommt.

Barney ist ein socially challenged Teenager. Freunde hat er keine, im Pausenhof steht er meist alleine rum. Kein Wunder, denn er ist der einzige Schüler ohne B-bot. Die übergroßen Tamagotchi-Eier können fahren, laufen, sprechen und natürlich sämtliche Social Media App-Funktionen erfüllen. Nebenbei speichern sie die persönlichen Daten ihrer Besitzer, verknüpfen sich untereinander in der Cloud. Das Ganze erinnert an eine Datingapp für Kinder. Du magst Schokolade und Einhörner? Match! Als Barney endlich seinen eigenen Bot zum Geburtstag bekommt, stellt er schnell fest, dass sein Gerät ein paar Macken hat.

Visuell orientiert sich „Ron läuft schief“ an Pixar-Produktionen, erreicht aber nicht ganz deren Qualitätslevel. Auch die fröhlich poppige Musikauswahl ist etwas gewöhnungsbedürftig. Aber der Humor stimmt, es gibt einige lustige Seitenhiebe auf fehlfunktionierende Technik und B-bot Ron ist ausgesprochen niedlich. Für den Voicecast in der Originalversion wurden unter anderem Jack Dylan Grazer, Zach Galifianakis und Olivia Colman verpflichtet.

„Ron läuft schief“ ist gute Familienunterhaltung mit sanftem Biss und hat das Herz am rechten Fleck. Ganz mit dem System brechen will der Film dann aber doch nicht, denn die Moral von der Geschicht’ ist ambivalent: Am Ende haben sich die sprechenden tictacs zu noch angepassteren Freunden der Kinder gewandelt. Konsequenter wäre es gewesen, die Scheißdinger einfach abzuschalten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ron’s Gone Wrong“
USA 2021
106 min
Regie Sarah Smith und Jean-Philippe Vine
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

THE FATHER

THE FATHER

Es war als Höhepunkt der Oscarverleihung 2021 geplant: Ganz am Ende der Show sollte Chadwick Boseman den Preis als bester Hauptdarsteller bekommen, posthum natürlich, Boseman war im August 2020 einem Krebsleiden erlegen. Doch es kam anders: Nicht nur ging die von Steven Soderbergh produzierte Show als die stümperhafteste und langweiligste in die Annalen ein, statt Boseman gewann ein alter weißer CIS-Mann den Oscar für die beste männliche Hauptrolle: Sir Anthony Hopkins.

Nun, da es in Deutschland endlich Gelegenheit gibt, Hopkins in seiner prämierten Rolle zu sehen, wird klar: Den Oscar hat er vollkommen zu Recht bekommen. Hopkins spielt den an Demenz erkrankten Anthony, der in einem Labyrinth aus Verwirrungen, Erinnerungslücken und Halluzinationen gefangen ist. Das Besondere: Florian Zeller lässt die Zuschauer in seinem Regiedebüt die Welt mit Anthonys Augen sehen. Im Gegensatz zu Julianne Moore in „Still Alice“ erhält Anthony keine Diagnose und muss lernen, damit umzugehen – Anthony ist schon krank und hat sich größtenteils von der Realität verabschiedet.

Personen wechseln die Erscheinung, die Einrichtung der Wohnung verändert sich, Gespräche beginnen, enden und wiederholen sich. Mithilfe des raffinierten Setdesigns von Ausstatter Peter Francis gelingt Zeller die Innenansicht eines Bewusstseins in Auflösung. Der Bezug zu Orten, Personen und Zeit kommt und geht, zerrinnt.

„The Father“ ist ein clever konstruiertes, ergreifendes Drama. Ernsthaft und gleichzeitig verrückt, fast so, als habe Michael Haneke eine Twilight Zone-Episode inszeniert. Großartig (wieder mal) auch Olivia Colman als todtraurige Tochter, die ihrem Vater hilflos beim langsamen Verschwinden zusehen muss.

FAZIT

Herzzerreißend.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Father“
UK 2020
97 min
Regie Florian Zeller
Kinostart 26. August 2021

alle Bilder © TOBIS FILM GMBH