Rich Flu

RICH FLU

Rich Flu

RICH FLU

In RICH FLU rafft ein tödlicher Virus nur die reichsten Menschen dahin. Die Idee ist originell, doch das Ergebnis ist ein unentschlossener Mix aus Satire und Sozialdrama.

Ab 12. Dezember 2024 im Kino

Es beginnt vielversprechend: Mehrere Drehbuchautoren pitchen nacheinander ihre teils langweiligen, teils absurden Filmprojekte. Produzentin Laura (hervorragend: Mary Elizabeth Winstead) hört sich das alles mit professioneller Freundlichkeit an. Der letzte Pitch stammt von ihrem Ex-Mann (Rafe Spall), der ihr einen Familien-Neustart mit der gemeinsamen Tochter (Dixie Egerickx) vorschlägt.

Rich Flu

Bevor es dazu kommt, bricht eine weltweite Pandemie aus. Der Virus befällt nur Reiche und verursacht unter anderem strahlend weiße Zähne, als hätten die Menschen Radiomed verwendet. Unglücklicherweise wird Laura ausgerechnet jetzt von ihrem Chef (Timothy Spall) befördert und mit einem Aktienpaket belohnt, sodass auch sie um ihr Leben fürchten muss. Zusammen mit ihrer dysfunktionalen Kleinfamilie versucht sie, den gefährlichen Reichtum loszuwerden und nach Afrika zu fliehen.

Rich Flu

Was wäre, wenn die Oberen Zehntausend zu verzweifelten Flüchtlingen würden, die über das Mittelmeer schippern und in Lager gesperrt werden? Die Botschaft „Es kann uns alle treffen“ ist schnell klar, wird aber endlos ausgewalzt. Leider verschwindet der beißende Humor in der zweiten Hälfte des Films fast vollständig. Besonders die letzten 20 Minuten verschwendet RICH FLU, um auf einen mittelmäßigen Schlussgag hinzuarbeiten.

Rich Flu

Die Stärken sind der Anfang und die dichte Atmosphäre, die den Untergang einer kapitalistischen Gesellschaft zeigt. Doch woher der Virus kommt, wie er sich überträgt und welche konkreten Folgen er hat, bleibt nebulös – womöglich wussten es auch die Drehbuchautoren nicht so genau. RICH FLU beginnt als Satire und endet als Anklage auf soziale Klassenunterschiede. Die ungerechte Verteilung von Wohlstand hat Ruben Östlund in seinem Film TRIANGLE OF SADNESS vor zwei Jahren schon weitaus cleverer und interessanter thematisiert.

Originaltitel „Rich Flu“
Spanien 2024
116 min
Regie Galder Gaztelu-Urrutia

Rich Flu

alle Bilder © LEONINE Studios

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Der Vierer

DER VIERER

Der Vierer

DER VIERER

copy/paste: Der VIERER ist die deutsche Version der spanischen Komödie "Amor En Polvo".

Ab 28. November 2024 im Kino

Endlich mal wieder eine Beziehungskomödie. Selbst bei Adaptionen bleiben wir Deutschen unserem liebsten Genre treu. Es hat wohl vor allem finanzielle Gründe, weshalb 99 von 100 der bei uns produzieren Filme Komödien sind, die meist von heterosexuellen Paarbeziehungen handeln.

Bei Sophie und Paul, gespielt von Julia Koschitz und Florian David Fitz, ist die Luft raus. Ein Vierer soll neuen Schwung ins eingeschlafene Liebesleben bringen. Theoretisch. Während sich der andere Teil des doppelten Doppels, die Spanierin Mia (Lucía Barrado) und der zurückhaltende Lukas (Friedrich Mücke) in einer Bar Mut antrinkt, fliegen bei Sophie und Paul die Fetzen. Bevor es mit dem Mini-Swingerclub überhaupt losgeht, stellen die beiden ihr komplettes Leben infrage.

Der Vierer

Er der Helikoptervater, sie die Karrierefrau. Vertauschte Rollenklischees – wir leben schließlich nicht mehr in den 50ern. Deshalb dürfen sich bei der jugendfreien Bettszene auch mal die Kerle kurz küssen. Uuuuh! So gesehen versucht Iván Sáinz-Pardo in seinem Film (das Drehbuch hat er zusammen mit Florian David Fitz und Torben Struck geschrieben) wenigstens ein bisschen von der Norm abzuweichen.

Der Vierer

Ansonsten sind das ziemlich viele Klischees (die Spanierin ist FEURIG) in einer Story, der öfters die Puste ausgeht. Denkt man während eines 90-Minuten-Films mehrfach, jetzt ist es bestimmt gleich zu Ende, aber dann geht’s doch noch dreimal weiter, dann spricht das nicht allzu sehr für das Spannungslevel der Geschichte. Schöne und Reiche haben auch Probleme – Na ja. Wer nur alle paar Monate ins Kino geht und Lust auf eine harmlose Beziehungskomödie hat – bitte, warum nicht? Es kann schlimmer kommen. Zum Beispiel in drei Wochen: Da startet DER SPITZNAME. Noch eine deutsche Beziehungskomödie, wieder mit Florian David Fitz.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2024
90 min
Regie Iván Sáinz-Pardo

Der Vierer

alle Bilder © LEONINE Studios

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The Room Next Door

THE ROOM NEXT DOOR

The Room Next Door

THE ROOM NEXT DOOR

Pedro Almodóvar hat seinen ersten englischsprachigen Film gedreht. Funktioniert das?

Ab 24. Oktober 2024 im Kino

Die Zutaten stimmen: grandiose Musik im Stil von Bernard Herrmann, kräftige Farben, wunderschöne Sets und eine dramatische Story. Aber irgendetwas stimmt nicht. Liegt es an der Sprache? THE ROOM NEXT DOOR ist der erste englischsprachige Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar und zugleich eines seiner schwächeren Werke.

The Room Next Door

Jetzt mal wirklich kurz und knapp: Je weniger man vorher über die Handlung weiß, desto besser. Oder verrät der Trailer wieder alles? Moment, bin gleich zurück… Aha, wenn das so ist: Die ehemalige Kriegsreporterin Martha (Tilda Swinton) ist unheilbar an Krebs erkrankt und möchte ihr Leben in Würde beenden. Dazu wünscht sie sich die Begleitung ihrer Freundin Ingrid (Julianne Moore), einer erfolgreichen Romanautorin.

The Room Next Door

Das Kammerspiel konzentriert sich auf diese beiden Figuren, könnte auch „Zwei Frauen“ heißen. Bisweilen wird das ohnehin langsame Tempo des Films durch (unnötige) Rückblenden gebremst. Almodóvar, sonst ein Garant für großes Melodrama, wollte das ernste Thema „Sterbehilfe“ vielleicht nicht mit zu viel grandiosem Kitsch verzieren. Das allerdings hat zur Folge, dass man den ganzen Film über seltsam unbeteiligt bleibt. Ob die Regie „Lost in Translation“ war, wenn sogar eine sonst so phänomenale Schauspielerin wie Tilda Swinton seltsam steif wirkt und klingt, als ob sie ihren Text von versteckten Karten ablesen würde?

The Room Next Door

Natürlich ist das von Kameramann Eduard Grau fabelhaft fotografiert, jede Einstellung ist praktisch ein Gemälde. Und trotzdem: THE ROOM NEXT DOOR wirkt wie die Kopie eines Almodóvar-Films. War der Flirt mit Hollywood also eine schlechte Idee? Die Welt hört nicht in Spanien auf – Klar, dass ein Künstler wie Almodóvar über den Tellerrand schauen und auch mal mit internationalem Cast drehen will. Ist ja auch nicht komplett schiefgegangen. Aber das nächste Mal bitte wieder mit Penélope Cruz.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „La habitación de al lado“
Spanien 2024
107 min
Regie Pedro Almodóvar

The Room Next Door

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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Alle die Du bist

ALLE DIE DU BIST

Alle die Du bist

ALLE DIE DU BIST

„Paul, warum liebe ich dich nicht mehr?“ Eine überraschende Frage, denn Paul, der Lebensgefährte von Nadine, ist ein vorbildlicher Vater, liebt seine Freundin über alles und hat das große Herz am rechten Fleck. Und doch, Nadine hat sich entliebt. Vielleicht liegt es daran, dass Paul wortwörtlich zu viele ist.

Ab 30. Mai 2024 im Kino

Alle die Du bist

ALLE DIE DU BIST ist ein bemerkenswerter deutscher Film, der auf der Berlinale 2024 Premiere feierte. Die Handlung ist schnell erzählt: Arbeitern in der Kohleindustrie bei Köln droht Massenentlassung. Die resolute Nadine (Aenne Schwarz) kämpft für ihre Kollegen und deren Arbeitsplätze. Doch ihre Kraft lässt nach, da die Beziehung zu ihrem Mann Paul (Carlo Ljubek) zunehmend schwieriger wird.

Überraschende Erzähltechnik

“Kennst du das, dass du dir einen Fremden anschaust und es komisch findest, was er sagt, oder wie er redet und dir nach einer Zeit auffällt, dass es dein Mann ist?” Die sich auflösende Liebe Nadines zu Paul steht im Zentrum der Handlung. Regisseur Nathansky bedient sich dabei eines besonderen Kunstgriffs: In die Rolle Pauls schlüpft nicht nur Carlo Ljubek, sondern eine ganze Reihe weiterer Schauspieler. Je nach Gemütszustand ist er ein unsicherer kleiner Junge, ein verliebter Twen, mal eine patente alte Mutter und in Stresssituationen gar ein schnaufender Bulle.

Alle die Du bist

Die schauspielerischen Leistungen in ALLE DIE DU BIST sind durchweg beeindruckend. Besonders herausragend ist Aenne Schwarz, die Nadines innere Zerrissenheit und ihr Kämpferherz authentisch und berührend verkörpert. Auch visuell überzeugt der Film: Die kühlen, grau-blauen Bilder reflektieren die allgegenwärtige Melancholie. Der Soundtrack ergänzt die Stimmung des Films perfekt.

Alle die Du bist

Schwach dagegen die manchmal fragmentierte Struktur, die den Zuschauer aus dem Fluss der Geschichte reißt. Auch bei den Dialogen rascheln immer wieder die Drehbuchseiten. Zudem wirkt die Anfangs originelle Idee der Mehrfachbesetzung auf Dauer etwas bemüht.

Alle die Du bist

Trotzdem: Das Regiedebüt von Michael Fetter Nathansky ist ein poetischer und zugleich realistischer Liebesfilm mit überraschender Erzähltechnik, der zum Nachdenken anregt und im Gedächtnis bleibt.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Spanien 2024
108 min
Regie Michael Fetter Nathansky

Alle die Du bist

alle Bilder © Port au Prince

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Robot Dreams

ROBOT DREAMS

Robot Dreams

ROBOT DREAMS

Träumen Roboter von elektrischen Schafen? ROBOT DREAMS gibt die verblüffende Antwort: Nein, von lebendigen Hunden.

Ab 09. Mai 2024 im Kino

Robot Dreams

Hund lebt in Manhattan und ist einsam. Deshalb bestellt er sich einen Roboter per Telefon, Internet gibt es in den 80er-Jahren noch nicht. Hund und Roboter werden beste Freunde und verbringen glückliche Tage in New York. Bis Hund eines Tages seinen Freund am Strand zurücklassen muss. Werden sich die beiden jemals wiedersehen?

Robot Dreams

ROBOT DREAMS ist in vielerlei Hinsicht wunderschön. Soundtrack, Animationsstil und die besondere Art, eine emphatische Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft zu erzählen, machen ihn zum Gesamtkunstwerk. Auf der gleichnamigen Graphic Novel von Sara Varon basierend, ist er eines der wenigen, aber bemerkenswerten Beispiele für Animationsfilme aus Europa, genauer gesagt aus Spanien.

Robot Dreams

Ganz ohne Dialoge, dafür mit liebevoll ausgedachten Figuren ist ROBOT DREAMS vielleicht nicht der erwartete große LOBI-AG-Klassiker (dafür ist das Ende zu semi-happy), aber eine Wohltat im Vergleich zu dem glatten, sich nur noch selbst zitierenden Disney-Einheitsbrei. Ein kluger, wundersamer Animationsfilm, der beweist: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Empfehlenswert – auch (oder gerade) für Erwachsene.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Robot Dreams“
Spanien / Frankreich 2023
103 min
Regie Pablo Berger

Robot DReams

alle Bilder © PLAION PICTURES

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WIE WILDE TIERE

WIE WILDE TIERE

Ab 07. Dezember 2023 im Kino

Das kennt man aus Brandenburg: Die einen wollen nichts wie weg - hin in die Großstadt. Die anderen haben Lärm und Prenzlpanther satt und ziehen aufs Land. Doch in den verwaisen Dörfern lauern oft Ablehnung und offener Hass auf die Zugezogenen.

Das französische Paar Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina Foïs) lebt seit zwei Jahren in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren Galiziens. Die beiden passen sich an, so gut es geht, arbeiten hart, betreiben Ackerbau und ernähren sich von dem, was sie erwirtschaften. Doch die Einheimischen bleiben unter sich, begegnen den ökologisch bewussten Neubauern mit Argwohn und Ablehnung. Besonders mit dem Nachbarn Xan (beängstigend fies: Luis Zahera) gibt es immer wieder Streit.

Es brodelt unter der Oberfläche

Es brodelt unter der Oberfläche und früher oder später wird es zur Katastrophe kommen. Als es dann so weit ist, wechselt der Film von der männlichen in die weibliche Perspektive. Das macht WIE WILDE TIERE vielschichtig und ungemein spannend. Dass die Geschichte von wahren Begebenheiten inspiriert ist, lässt die Verzweiflung über die elende Spezies Mensch noch wachsen. Warum nur gibt es so viel Neid und Verbohrtheit auf der Welt? Aber so einfach ist es nicht. In einer der besten Szenen des Films versuchen die Kontrahenten eine Annäherung. Bei einer Flasche Wein macht jeder seinen Standpunkt klar. Das führt zwar zu keiner Lösung, doch als Zuschauer wird man sich seines eigenen Schwarz-Weiß-Denkens bewusst und beginnt fast Mitgefühl für die vermeintlich „Bösen“ zu empfinden.

Seit der Weltpremiere in Cannes 2022, wo WIE WILDE TIERE als Sensation gefeiert wurde, ist sein Erfolg ungebrochen. Bei der Verleihung der Goyas 2023 räumte er neun Preise ab, unter anderem für Bester Film, Beste Regie sowie Bester Hauptdarsteller.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „As Bestas“
Spanien / Frankreich 2023
137 min
Regie Rodrigo Sorogoye

alle Bilder © STUDIOCANAL

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DALILAND

DALILAND

Ab 07. September 2023 im Kino

Savador Dali - Meister des Surrealismus, Allround-Künstler, Enfant Terrible. Mary Harron widmet dem Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart ein konventionell gemachtes, aber höchst unterhaltsames Porträt.

Blonde Mädchen nennt er „Ginesta“, hübsche Jungs in Anlehnung an Caravaggios Gemälde „San Sebastian“. Und von jungen, schönen Menschen gibt es in Dalis Leben Mitte der 1970er-Jahre reichlich. Den Alltag versüßt er sich mit rauschenden Partys, flotten Dreiern (als Zuschauer), Champagner und Kaviar – das Malen ist eher lästige Pflicht. Seine resolute Ehefrau Gala sorgt dafür, dass der Rubel rollt. Zur Not auch mit Geschrei und nicht ganz koscheren Geschäftsmethoden. In dieses kreative Chaos gerät eines Tages der junge, unschuldige James, der sich bald als Dalis Assistent unentbehrlich macht.

Sodom und Gommora light

Giraffen brennen lichterloh, Uhren zerfließen wie Camembert in der Sonne und die Abdrücke von nackten Frauenhintern werden zu Engelsflügeln. An schrägen Bildideen mangelt es den Werken des 1989 verstorbenen Künstlers nicht. Umso erstaunlicher, dass seine weltberühmten (und unter Kunstkennern teils berüchtigten) Gemälde in Harrons Film so gut wie keine Rolle spielen. Die AMERICAN PSYCHO-Regisseurin konzentriert sich viel mehr auf Dalis komplizierte Ehe mit Gala und deren Liebeleien und Gaunereien.

DALILAND ist keine Großproduktion und das sieht man ihm an. Establishing Shots bestehen aus altem Filmmaterial (Recycling ist ein zulässiger Kunstgriff, gleichzeitig enorm kostensparend), die wilden Partys und Vernissagen wirken mit ihrer überschaubaren Anzahl von Statisten nie so groß und rauschend, wie sie es wohl in Wirklichkeit waren. Das mag auch den zur Drehzeit bestehenden COVID-Bestimmungen geschuldet sein.

James, von Newcomer Christopher Briney mit staunendem Welpenblick gespielt, gerät so als Vertreter des Zuschauers in ein Sodom und Gommora light. Dass DALILAND trotzdem ausgesprochen kurzweilig und voller Witz ist, verdankt er Ben Kingsley als Dali und Barbara Sukowa als dessen russische Ehefrau Gala. Die beiden alten Filmhasen spielen das unkonventionelle Paar schön exzentrisch und voller Ironie. Eine Topbesetzung in einem Film, der seinem einzigartigen Sujet nicht ganz gerecht wird.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Daliland“
USA / GB 2022
96 min
Regie Mary Harron

alle Bilder © SquareOne Entertainment

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Ja, Penélope Cruz könnte auch das viel zitierte Telefonbuch vorlesen - es wäre trotzdem unmöglich, die Augen von ihr zu nehmen. In L’IMMENSITÀ spielt sie eine liebende Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Kombiniert mit aufregendem 70er-Jahre Style wird es dabei fast so gut wie bei Almodóvar.

Rom in den 1970er-Jahren: Im Mittelpunkt des Films steht eine ganz normale Familie. Clara und Felice sind in eine neue Wohnung gezogen, doch ihre Ehe wird nur noch von den drei Kindern zusammengehalten. Er hat Affären, sie ist unglücklich, aber sie kommen (noch) nicht voneinander los. Die zwölfjährige Tochter Adriana ringt mit ihrer Identität. Sie ist als Mädchen geboren, will aber lieber ein Junge sein. Andere Zeiten, moderne Probleme: Das fragile Familiengebilde droht an Adrianas Genderfindung zu zerbrechen.

Nicht alles hat ein Happy End

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER ist großes Erinnerungskino. Und das nicht nur, weil Regisseur Emanuele Crialese seine eigene Biografie verarbeitet. Wer selbst in den 1970er-Jahren aufgewachsen ist, fühlt sich immer wieder an die eigene Kindheit erinnert. Das Entdecken neuer, verbotener Orte, das gemeinsame Spielen, die heißen Sommertage, die streitenden Eltern, die sich oft um sich selbst und nicht um die Kinder drehen. Regisseur Crialese hat neben der wie immer tollen Penélope Cruz eine aufregende Neuentdeckung vor die Kamera geholt: Luana Giuliani spielt die geschlechtsverwirrte Tochter so glaubwürdig und intensiv – man mag kaum glauben, dass das Mädchen hier sein Leinwanddebüt gibt.

Selten war Traurigkeit so farbenfroh und poppig bunt. Die Musik von Raffaella Carrà, Patty Pravo und Adriano Celentano tut ihr Übriges. Trotzdem ist L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER niemals kitschig oder melodramatisch. Vielleicht sogar ein bisschen zu ernst. Die episodenhafte Erzählweise spiegelt das wahre Leben wieder: Auch da bleibt vieles ungelöst, nicht alles hat ein Happy End.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „L’Immensità“
Italien / Frankreich 2022
94 min
Regie Emanuele Crialese

alle Bilder © STUDIOCANAL

BULLDOG

BULLDOG

Kinostart 02. Februar 2023

Neckisches Versteckspiel, lachend im Gras wälzen, zu tief in die Augen schauen: Man könnte glatt meinen, die beiden wären ein Liebespaar. Aber falsch, es sind Mutter und Sohn. Ödipus lässt grüßen: Bruno ist einundzwanzig und lebt mit seiner nur fünfzehn Jahre älteren Mutter Toni auf Ibiza. Die ungesund enge Beziehung wird gestört, als sich Toni in Hannah verliebt und diese in den gemeinsamen Bungalow einzieht. Bruno passt der unfreiwillige Dreier gar nicht und reagiert eifersüchtig.

Sommerliche Leichtigkeit trifft auf ernstes Thema

Forever Young: Die Haare pink, das Basecap mit dem Schirm nach hinten – Mutter und Sohn verweigern sich dem Erwachsenenleben, hangeln sich mit Gelegenheitsjobs durch. Die beiden haben mit ihrem launischen Teenagerverhalten großes Nervpotenzial. Da fällt es mitunter schwer, Sympathie zu entwickeln. Julius Nitschkoff, Lana Cooper und Karin Hanczewski spielen überzeugend, auch wenn die Dialoge oft klingen, als seien sie den Schauspielern beim Dreh spontan in den Sinn gekommen.

Sommerliche Leichtigkeit trifft auf ernstes Thema. Hätte man die gleiche Geschichte in einer grauen Hochhaussiedlung inszeniert, würde man als Zuschauer nach einer halben Stunde zum Strick greifen. Doch der deprimierende Kampf inmitten prekärer Lebensverhältnisse spielt hier in einer lichtdurchfluteten Ferienanlage. Palmen statt Beton machen BULLDOG zu einem interessanten Debütfilm mit guten Schauspielern, der zwischendurch ein wenig lahmt.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Spanien 2021
95 min
Regie André Szardenings

alle Bilder © missingFILMs

DER PERFEKTE CHEF

Kinostart 28. Juli 2022

Die einzig mögliche Antwort auf die Frage, wie es ist, bei „Basculas Blanco“ zu arbeiten, lautet: Wundervoll! Der Chef Julio Blanco ist ein grau melierter Patriarch wie aus dem Bilderbuch. Seine Angestellten und er sind eine große Familie. Auf den ersten Blick scheint er der perfekte Chef zu sein. Als Inhaber einer Präzisionswaagenfabrik ist für ihn die richtige Balance sein Ein und Alles. Doch eines schönen Tages wird sein Gleichgewicht empfindlich gestört: Zunächst durch den überraschenden Kampfgeist eines unehrenhaft entlassenen Mitarbeiters: Der campt vor den Toren der Fabrik, inklusive Protestbanner und Beschimpfungen per Megafon. Das passt Blanco gar nicht, denn in den nächsten Tagen soll ein Komitee vorbeischauen, das die beste Fabrik Spaniens küren will. Ein weiterer Störfaktor ist Miralles – der Chef der Produktion steht neben sich, weil seine Frau fremdgeht. Nicht bei der Sache zu sein, gefährdet die Produktionsabläufe – das kann Blanco nicht tolerieren. Und dann muss er sich auch noch um die hübsche neue Praktikantin kümmern, die ihm schöne Augen macht.

Dieser Film gehört zu 100 % dem charismatischen Javier Bardem, der hier eine weitere Glanzleistung abliefert. Absolut souverän und in seiner besten Rolle seit „No Country for Old Men“ sitzt bei ihm jede Geste und jedes Wort – alles präzise auf den Punkt gebracht. Toll, wie er das manipulative, liebenswerte Arschloch spielt, ohne dabei in Stereotype zu verfallen.

Ein grandioser Hauptdarsteller in einem guten, aber nicht spektakulären Film. „Der perfekte Chef“ ist eine solide gemachte, eher skurrile Komödie, die auf teils amüsante Weise die negativen Seiten von Kapitalismus und Unternehmenskorruption vorführt. Die Metapher vom aus der Waage geratenen Gleichgewicht wird dabei etwas überstrapaziert – subtil ist das nicht gerade.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „El buen patrón“
Spanien 2021
120 min
Regie Fernando León de Aranoa

alle Bilder © Alamode Film

DER BESTE FILM ALLER ZEITEN

Kinostart 30. Juni 2022

Die Frage aller Fragen am Ende: Was bleibt von mir? Da Geld keine Rolle spielt, könnte der 80-jährige Milliardär Humberto Suarez eine Brücke bauen lassen, die seinen Namen trägt. Oder vielleicht einen Film produzieren? Aber nicht irgendeinen, sondern den besten Film aller Zeiten. Dazu heuert er die berühmte Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) und zwei noch berühmtere Schauspieler an. Ein Clash der Egos: Hollywood-Star Félix Rivero (Antonio Banderas) trifft auf Theatermimen Iván Torres (Oscar Martínez). Um ihre beiden Hauptdarsteller auf den Dreh vorzubereiten, hat sich die Regisseurin eine Reihe von exzentrischen Übungen ausgedacht: unter anderem lässt sie Iván und Félix ihre Texte lesen, während über ihren Köpfen ein fünf Tonnen schwerer Felsbrocken baumelt.

Die im Original ganz unbescheiden „Competencia oficial“ (Offizieller Wettbewerb) genannte Satire des Regieduos Duprat & Cohn macht den Zuschauern ebenso großen Spaß wie den Schauspielern, die sich selbst und ihre Eitelkeiten gehörig auf die Schippe nehmen. Der wahre Superstar ist (neben Antonio und der für immer schönen Penélope) das Anwesen, in dem gedreht wurde. In seiner strengen Sachlichkeit erinnert es an ein Lovechild von Frank Gehry und Mies-van-der-Rohe – Architekturstudenten werden feuchte Augen bekommen. Schöne Menschen, schöne Location, schöne Bilder: Kameramann Arnau Valls Colomer setzt den bissigen Inhalt in perfekt kadrierte, fabelhafte Bildkompositionen um.

Selbstgespräche mit einem Staubsaugerrohr. „Der beste Film aller Zeiten“ ist ein cleveres Spiel mit falschen Fährten. Was im Moment noch nebensächlich erscheint, bekommt erst später eine tiefere Bedeutung. Die Regisseure wissen genau, wie sie den Gedankenfluss der Zuschauer manipulieren können. Einziger Wermutstropfen: Emotional bleibt der Film unterkühlt. Das liegt an seiner Struktur: Statt einer Handlung reihen sich amüsante Sketche aneinander, die oft genial, aber manchmal ein bisschen zu vorhersehbar sind.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Competencia oficial“
Spanien 2021
114 min
Regie Gaston Duprat und Mariano Cohn

alle Bilder © STUDIOCANAL

PARALLELE MÜTTER

PARALLELE MÜTTER

Kinostart 03. März 2022

Die hyperrealen Farben! Die großartigen Schauspielerinnen! Die Musik von Alberto Iglesias! Was sich hier in begeisterten Ausrufen Bahn bricht, ist die Liebe zu Pedro Almodóvars Kinouniversum. Keiner kann so gut Telenovela für Intellektuelle wie der spanische Regisseur.

Mütter, Töchter, Freundinnen, Liebhaberinnen: „Parallele Mütter“ ist ein Frauenfilm durch und durch. Männer spielen nur kraftlose Nebenrollen oder sind schon direkt tot. Bei ihrer achten Zusammenarbeit mit Almodóvar spielt Penélope Cruz die erfolgreiche Werbefotografin Janis aus Madrid. Gemeinsam mit dem forensischen Archäologen Arturo will sie ein Massengrab in ihrem Heimatdorf untersuchen. Dort vermutet sie die sterblichen Überreste von Verwandten und Freunden, die während Francos Terrorherrschaft getötet wurden. Janis und der verheiratete Arturo beginnen eine kurze leidenschaftliche Affäre, sie wird schwanger. Auf der Entbindungsstation lernt sie die junge Ana kennen – eine folgenschwere Begegnung für die beiden werdenden Mütter. 

Ein Mann und eine Frau haben Sex – Schnitt – die Frau ist hochschwanger. Der ganze Beziehungskram und die Trennung dazwischen bleiben unerwähnt oder werden höchstens in elegant eingefügten Rückblenden erzählt. Pedro Almodóvar ist der König der Reduktion aufs Wesentliche. In den 1980er und 1990er-Jahren noch auf quietschbunte, überdrehte Komödien abonniert, ist er mittlerweile zum anspruchsvollen, klugen Autorenfilmer gereift.

Zwei Frauen, zwei Schwangerschaften, zwei Leben. Wie Almodóvar hier die Handlungsstränge von den starken Müttern und der faschistischen Vergangenheit seines Landes miteinander verwebt, ist meisterhaft. „Parallele Mütter“ erzählt eine politische und zutiefst menschliche Geschichte. Penélope Cruz wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig für Ihre Leistung ausgezeichnet und ist für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Madres Paralelas“
Spanien 2020
126 min
Regie Pedro Almodóvar

alle Bilder © STUDIOCANAL

MALASAÑA 32 – HAUS DES BÖSEN

MALASAÑA 32 – HAUS DES BÖSEN

„Malasaña 32 – Haus des Bösen“ hat alles, was ein echter Haunted-House-Thriller braucht: dunkle Korridore, knarzende Schaukelstühle, schrill klingelnde Telefone und natürlich einen bösen Geist.

Im Jahr 1976 ziehen die Olmedos von ihrem Heimatdorf in die spanische Hauptstadt Madrid. Die Familie kauft ein möbliertes Apartment in der begehrten Calle de Manuela Malasaña. Dort hoffen die Sechs auf einen Neuanfang. Doch schon bald müssen sie feststellen, dass in ihrer neuen Wohnung etwas ganz und gar nicht stimmt.

Inszenatorisch ist das alles kein Neuland: Die oft gesehenen Versatzstücke kennt man aus „Amityville Horror“ und vor allem der „Conjuring“-Serie. Der 5-jährige Rafa sieht als erster Gespenster – Kinder haben für so was Antennen, das weiß man spätestens seit “Poltergeist”. Originell geht anders. „Malasaña 32“ ist trotz Drehbuchschwächen und zu vieler Jumpscares ein stimmungsvoller Horrorfilm: Die Kulissen, die Farbgebung, die Kameraführung – visuell ist der Film herausragend und erinnert an eine Guillermo del Toro-Produktion.

FAZIT

Eine kleine Prise Extragrusel gibt es obendrauf: Angeblich basiert die Geschichte auf wahren Begebenheiten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Malasaña 32“
Spanien 2019
104 min
Regie Albert Pintó
Kinostart 17. Juni 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL