FIRST COW ● LES SEL DES LARMES ● DEATH OF NINTENDO ● SEMINA IL VENTO ● SUNE – BEST MAN

„Wie ist dieses Jahr eigentlich das Motto der Berlinale?“ Fragt ein aufmüpfiger rbb-Reporter bei der ersten Pressekonferenz im Januar „Unter Kosslick hat sie immer eins gehabt!“. Kein Wunder, dass Carlo Chatrian patzig wird: „Wenn Sie unbedingt ein Motto brauchen, bitte, dann überlegen wir uns eins, nur für Sie!“ Bis jetzt ist keins erkennbar…vielleicht „Kino trotz Corona“? Überall hustet und schneuzt es im Saal. Das must have in diesem Jahr: Mundschutz mit Berlinale-Bär.

FIRST COW

(Wettbewerb)

„First Cow“ – Was wie der CIA-Codename für Melania Trump klingt, ist in Wahrheit die heitere Geschichte von Cookie, dem sensiblen Koch und seinem Freund, dem Chinesen King-Lu. Im 19. Jahrhundert kommen die beiden auf die glorreiche Idee, im Wilden Westen Schmalzgebäck zu verkaufen. Ein garantierter Hit. Blöd nur, dass sie die Hauptzutat für den Teig nachts bei der einzigen Kuh im Ort heimlich abmelken müssen. Die Kuh gehört ausgerechnet dem Bürgermeister, ein Diebstahl mit fatalen Folgen…

Jede Berlinale hat ihren eigenen „Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss“-Film. Im vergangenen Jahr war das „Out Stealing Horses“, in diesem Jahr heißt er „First Cow“.  Regisseurin Reichart hat eine authentische Wild-West-Geschichte gedreht, weit entfernt von jeglicher „Bonanza“-Romantik. Hier geht’s dreckig, ungewaschen und matschig zu. Lässt man sich auf die langsame Erzählweise ein und flieht nicht aus dem Kino (wie einige Zuschauer während der ersten halben Stunde), so wird man mit einem sanften, fast meditativen Wettbewerbsbeitrag belohnt. Die zärtlichen Gespräche, die Cookie während des Melkens mit der Kuh führt, gehören zum bisherigen Höhepunkt der Berlinale.

USA 2019
122 min
Regie Kelly Reichardt

LES SEL DES LARMES

(Wettbewerb)

Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn „Les sel des larmes“ nicht irgendeinen Preis abräumen würde. Schließlich hat letztes Jahr „Ich war zuhause, aber“ den silbernen Bären für die beste Regie bekommen – und der war ähnlich furchtbar.

Luc kommt nach Paris, um Kunstschreiner zu werden. Er begegnet einem Mädchen, die beiden haben eine unschuldige Affäre. Dann trifft er in seinem Heimatdorf auf eine Ex-Freundin, sie wird schwanger. Wieder zurück in Paris beginnt er eine Beziehung mit einer weiteren Frau. Das alles wird von einer stoischen Erzählerstimme zusammengehalten, man könnte der schlichten Geschichte aber auch mühelos ohne diesen Kunstgriff folgen. Ach ja, Lucs Vater spielt auch noch irgendwie mit.

„Das Salz der Tränen“ – da sollte der Titel schon zu denken geben. Damit der Zuschauer erkennt, dass dies Kunst ist, wurde in Schwarz-Weiß gedreht. Haben die bei der Nouvelle Vague damals ja auch so gemacht. Ab der Hälfte setzt bei der Vorführung (vermutlich) hämisches Gelächter ein. Der spärliche Schlussapplaus muss ironisch gemeint sein. 

Englischer Titel „The Salt of Tears“
Frankreich / Schweiz 2019
100 min
Regie Philippe Garrel

DEATH OF NINTENDO

(Generation Kplus)

Ob sich 10-Jährige von der etwas zähen Geschichte um drei Jungs und ein Mädchen ausreichend unterhalten fühlen? Bei der in den 1990er-Jahren verorteten Coming-of-Age-Geschichte geht es genregerecht um die Nöte der Pubertät, erste Liebe und nervige, überfürsorgliche Eltern. 

Der Figurenreigen besteht aus den üblichen Verdächtigen: Der Spielenerd, das angehimmelte Mädchen, der Bully und der Dicke. Szenenweise erinnert „Death of Nintendo“ an die NETFLIX-Serie „Stranger Things“, nur auf philippinisch und ohne Sci-Fi-Elemente. Leider aber auch ohne allzu große Spannung. Plätschert so dahin.

Philippinen / USA 2020
99 min
Regie Raya Martin

SEMINA IL VENTO

(Panorama)

Bäume sind in! Diesmal ist der heimliche Star kein deutscher Laubwald, sondern ein italienischer Olivenhain in Apulien. Der ist von blauen Käfern befallen und soll nach Willen des Besitzers abgeholzt werden. Als dessen Tochter Nica nach Jahren in ihr Heimatdorf zurückkehrt, ist sie erschüttert. Gegen den Willen ihres Vaters kämpft sie für den Erhalt des Olivenhains und das Fortsetzen der Familientraditionen.

Die kranken Bäume machen Geräusche wie unsereins, wenn er sich morgens ein Glas eiskalten Orangensaft auf nüchternen Magen reinkippt. Glucks. Daniel Caputo unterscheidet in seinem sanftem Ökodrama klar in gut und böse: Die Studentin der Agrarwissenschaft Nica, fast noch im Greta-Thunberg-Alter, begehrt gegen die Bösen auf. Ihr geldgieriger Vater ist beratungsresistent und hundsgemein (er serviert das Essen auf Plastikgeschirr!). Die Nachbarn, echte Umweltsäue, werfen große Müllsäcke achtlos aus dem Auto, das kennt man ja aus Brandenburg. Und zu allem Überfluss gibt es noch ein großes Stahlwerk, das nicht nur die Luft verpestet, sondern nachts giftige Gülle in dem idyllischen Olivenwald verklappt.

Das ist alles ein bisschen mit dem Holzhammer, aber wenigsten visuell ganz hübsch.

Englischer Titel „Sow the Wind“
Italien / Frankreich / Griechenland 2020
91 min
Regie Danilo Caputo

SUNE – BEST MAN

(Generation Kplus)

Schon wieder was gelernt: Sune ist in Schweden so was wie ein Nationalheld. Seine Bücher kennt jeder und der 2018 erschienene Film „Sune vs Sune“ war wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Kinocharts. Nun feiert die Fortsetzung „Sune – Best Man“ auf der Berlinale Weltpremiere.

Der strohblonde Titelheld ist ein pfiffiges Kerlchen, kann sich jedoch nie für irgendwas entscheiden. Das liegt in der Familie, denn seine Mutter und sein Großvater leiden an der gleichen ewigen Unentschlossenheit. Als sich Sune zwischen einer bevorstehenden Klassenfahrt mit seiner Freundin und der Hochzeit seines Opas entscheiden soll, ist er hin- und hergerissen und gerät deshalb in zunehmend komplizierte Verstrickungen. Klassischer Fall von FOMA.

Lobenswert: Die Erwachsenen sind ausnahmsweise mal keine zweidimensionalen Karikaturen, wie sonst so oft in Kinderfilmen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. „Sune – Best Man“ hat Herz und Humor. Das macht ihn auch für Zuschauer jenseits der 10 zu einem Sehvergnügen. Sehr putzig!

Schweden 2019
88 min
Regie Jon Holmberg