NAPOLEON

NAPOLEON

Ab 23. November 2023 im Kino

Kino, wie es sein soll: episch, spannend, lustig und lehrreich. Ridley Scotts neues Meisterwerk zeigt den französischen Kaiser, wie man ihn noch nie zuvor gesehen hat.

Stolze 85 Jahre alt ist Ridley Scott und er kann’s noch immer. Mit NAPOLEON ist dem britischen Regisseur erneut ein großer Wurf gelungen. Dass das alles toll aussieht und die Schlachtszenen bombastisch sind, versteht sich fast von selbst. Schließlich hat der Mann mit ALIEN, BLADE RUNNER und GLADIATOR ganze Genres neu erfunden oder zumindest jahrzehntelang geltende Maßstäbe gesetzt.

Trotz der blutigen Schlachtszenen fast eine Komödie

Joaquin Phoenix ist die perfekte Besetzung und spielt den französischen Feldherrn und Kaiser als souveränes, rücksichtsloses Genie – zumindest wenn es um Kriegsführung geht. Im Privaten ist seine Hoheit dagegen das Gegenteil eines Genies. Unbeholfen, albern und dabei schwer in Josefine verliebt (fabelhaft: Vanessa Kirby). Von der Liebe seines Lebens, die ihm 15 Jahre (nicht immer) treu zur Seite steht, lässt sich Napoleon wegen ausgebliebener Nachkommen scheiden.

Überraschung: NAPOLEON ist trotz der blutigen Schlachtszenen fast eine Komödie. Mindestens aber ein historisches Drama mit komischen Elementen. Kleine Missgeschicke, absurde Dialoge und ein sich oft gar nicht kaiserlich verhaltender Kaiser sorgen für Lacher. Überhaupt ist Scott eine ausgesprochen kurzweilige (bei 157 Minuten Laufzeit) und lehrreiche Geschichtsstunde gelungen. Höhepunkt ist die Schlacht von Austerlitz, in der die französische Armee die Streitkräfte Russlands und Österreichs dank Napoleons strategischem Geschick auf dem Schlachtfeld auslöscht. Selten genug in Historienfilmen: Man versteht die Zusammenhänge und geht klüger aus dem Kino.

Ridley Scotts vielleicht nicht 100 % historisch korrekte Version des Lebens von Napoleon Bonaparte hätte noch reichlich weitere Lobeshymnen verdient. Zum Beispiel, dass Joaquin Phoenix auf einen falschen (französischen) Akzent verzichtet – Scotts HOUSE OF GUCCI wurde wegen übertriebenen Englisch-Italienisch-Kauderwelschs zur unfreiwilligen Komödie. Aber vor allem ist NAPOLEON für die große Leinwand gemacht. Apple hat den Film zwar finanziert und früher oder später wird er auf Apple TV+ laufen – aber vorher sollte man sich NAPOLEON unbedingt im Kino anschauen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Napoleon“
USA / England 2023
157 min
Regie Ridley Scott

alle Bilder © Sony Pictures

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BEAU IS AFRAID

BEAU IS AFRAID

Ab 11. Mai 2023 im Kino

Joaquin Phoenix auf dem Weg zur nächsten Oscarnominierung

Wie? Warum? Was? Herzlich willkommen in der Welt von Ari Aster. Einem Regisseur, der mit HEREDITARY und MIDSOMMAR zwei Klassiker des modernen Horrorfilms geschaffen hat. Filme, die den Zuschauer gefangen nehmen und zutiefst verstört zurücklassen. BEAU IS AFRAID hat den gleichen Effekt hoch 10. Und das sind ein paar Potenzen zu viel.

Geniestreich oder Katastrophe?

Beau leidet. Vor allem unter seiner monströsen Mutter. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, denn der ist im Moment der Zeugung gestorben. Nun ist Beau erwachsen und lebt in einer höllischen Nachbarschaft. Halbverweste Leichen liegen auf der Straße, ein nackter Messermörder treibt sein Unwesen, die Polizei schaut tatenlos zu. Oben in Beaus Wohnung krabbelt eine Giftspinne über den Boden, der Nachbar spielt dröhnend laute Musik. Und dann verschläft Beau auch noch seinen Flug. Als er endlich zu seiner Mutter aufbricht, beginnt eine Odyssee, auf der er mit all seinen Ängsten konfrontiert wird.

BEAU IS AFRAID fängt schräg an, wird absurd und dann grotesk. Ein dreistündiges (!) Delirium durch die Seelenhölle eines Mannes, genial (wie immer) von Joaquin Phoenix verkörpert. Zwischendurch irrt der Held durch Zeichentricksequenzen und schaut sich ein im Wald aufgeführtes Theaterstück über sein eigenes Leben an, während er von einem Ex-Soldaten gejagt wird. Klingt verrückt? Ist es auch. Von einem riesigen, bissigen Penis, der auf einem Dachboden haust, ganz zu schweigen. Als Zuschauer ist man hin- und hergerissen. Zwischen ein paar ausgesprochen lustigen Szenen fragt man sich immer wieder, ob man schlicht zu dumm für Asters Visionen ist. Statt sich also in halbgaren Interpretationen zu verstolpern, soll der Regisseur selbst erklären:

„Wenn Sie einen Zehnjährigen mit (dem Antidepressivum) Zoloft vollpumpen und ihn Ihre Lebensmittel einkaufen lassen, dann ist das wie dieser Film.“

Aha. Noch präziser ist Asters Antwort auf die Frage, worum es in BEAU IS AFRAID eigentlich geht: „I don’t know. His dad’s a dick.“

Selten war es so schwer, einen Film zu bewerten. BEAU IS AFRAID kann man hassen oder lieben oder beides. Das ist zuletzt Darren Aronofsky mit MOTHER! gelungen. Ob die Geschichte vom paranoiden, angstzerfressenen Seelenkrüppel Geniestreich oder Katastrophe ist, kann jeder für sich selbst entscheiden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Beau is afraid“
USA 2023
179 min
Regie Ari Aster

alle Bilder © Leonine

COME ON COME ON

COME ON COME ON

Kinostart 24. März 2022

Joaquin Phoenix spielt den Radiojournalisten Johnny, der quer durch die USA reist, um junge Menschen nach ihrer Meinung zum Leben im Allgemeinen zu befragen. Auch ein Job. Als seine Schwester (Gaby Hoffmann) Probleme mit ihrem psychisch kranken Mann hat, bittet sie ihren Bruder, sich um ihren 9-jährigen Sohn (Woody Norman) zu kümmern. Johnny nimmt den Jungen mit zu sich nach New York. Es ist das erste Mal, dass er für ein Kind verantwortlich ist – und das erste Mal, dass Jesse längere Zeit von seiner Mutter getrennt ist. Nach und nach entwickelt sich eine tiefe emotionale Verbindung zwischen Onkel und Neffe.

Kritiker und Arthousefans werden begeistert sein:  „Come on Come on“ ist eine Familienaufstellung in atmosphärischem schwarz-weiß, die Raum für eigene Coloration lässt. Joaquin Phoenix spielt menschlicher und subtiler als sonst, und obwohl er einen Großteil seiner Dialoge unverständlich in den Bart nuschelt, ist ihm der nächste Oscar gewiss. Woody Norman hat eine beeindruckende natürliche Präsenz vor der Kamera, verbirgt eine alte Seele in kindlichem Körper – eine echte Entdeckung! Hinter der wundervollen Musik findet das hektische Großstadtleben Amerikas einen neuen Rhythmus. Der Film erzählt eine ergreifende symbiotische Beziehungsgeschichte zwischen jung und alt.

Weniger euphemistisch könnte man auch sagen, „Come on Come on“ bietet neben einem altklugen Kleinkind einen ganzen Strauß deprimierender Themen: Alzheimer, bipolare Störungen, Geschwisterstreit, Einsamkeit – unterbrochen durch tiefgründige Statements von Teenagern. Not the feelgood-movie of the year, aber Kunst. Wer als kinderloser Erwachsener bisweilen zweifelt, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Nachwuchs in die Welt zu setzen, dem sei dieser Film als mahnende Erinnerung empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „C’mon C’mon“
USA 2021
108 min
Regie Mike Mills

alle Bilder © DCM

BIRDS OF PREY: THE EMANCIPATION OF HARLEY QUINN

Ist „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“ so schlecht, dass er schon wieder gut ist?

Die hyperaktive Comicverfilmung erzählt von der Ex-Freundin des ewigen Batman-Widersachers Joker (nicht dem guten, von Joaquin Phoenix gespielten, sondern dem faden Jared Leto-Joker). Harley Quinn war nach einhelliger Zuschauer- und Kritikermeinung noch das Beste am Stinker „Suicide Squad“. Deshalb bekommt sie nun von DC ein Spin-Off spendiert. Das hätte man besser gelassen.

Der Film wird von Anfang bis Ende von Harley Quinn aus dem Off kommentiert – das nervt und ist seit jeher ein probates Mittel, den Zuschauer auf Abstand zu halten. Die Actionszenen sind unterwältigend und die Musikauswahl unoriginell. Als Quintessenz bleibt, dass die vermeintlich toughen Girls genauso zynisch und brutal wie Männer sein können. Juhu.

FAZIT

ADHS als Film. Wer Gewalt und derben Humor schätzt, kommt hier auf seine Kosten.

Originaltitel „Birds of Prey: And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn“
USA 2020
109 min
Regie Cathy Yan
Kinostart 06. Februar 2020

JOKER

„Joker“, oder das Gegenteil von schönen Menschen in schöner Umgebung. Dieser Film macht keine gute Laune – und trotzdem: „Joker“ ist überraschend unterhaltsames, großes Kino. 

Gotham City, Anfang der 1980er Jahre, eine verbrecherische, korrupte Stadt in Aufruhr. Hier lebt Arthur Fleck mit seiner schwerkranken Mutter Penny in einer verwahrlosten Mietskaserne. Ein einsamer, gequälter Mann. Der Berufsclown leidet unter dem unkontrollierten Drang, zu den unpassendsten Gelegenheiten in irres Gelächter auszubrechen. Schuld ist eine in der Kindheit erlittene Gehirnverletzung. Eine erklärende Karte, vorbildlich laminiert, reicht Arthur bei passender Gelegenheit seinem irritierten Gegenüber. Als er von Teenagern auf offener Straße zusammengeschlagen und später in der U-Bahn verspottet wird, brennen bei dem Außenseiter die Sicherungen durch. Ein Clown sieht rot.

Düster, bedrohlich und die mutigste Comicverfilmung seit „The Dark Knight“.  Regisseur Todd Phillips nimmt sich jede Menge Zeit für die Entwicklung seiner sich kontinuierlich abwärts drehenden Spirale in den Wahnsinn. Joaquin Phoenix spielt die tragische Figur des Arthur Fleck phänomenal. Für die Rolle hat Phoenix dramatisch abgenommen, sein skelettartiger Körper sieht überzeugend furchterregend aus. Die Kombination aus komplett irrem Lachen und bulimischer Figur sollte auf jeden Fall für eine Oscarnominierung reichen. Dagegen wirkt Heath Ledgers legendäre Interpretation des ewigen Batman-Widersachers beinahe gesund und unbeschwert. In einer Nebenrolle glänzt Robert de Niro als Johnny Carson-Verschnitt. Eine Besetzung auf Metaebene, erinnert „Joker“ doch in weiten Teilen an Scorseses großen Kinoerfolg von 1976 „Taxi Driver“, damals mit dem jungen de Niro in der Hauptrolle.

FAZIT

Düstere Charakterstudie statt strahlend bunter Superhelden. Gelungene Comicverfilmung, nichts für Eskapisten.

Originaltitel „Joker“
USA 2019
122 min
Regie Todd Philips
Kinostart 10. Oktober 2019