BERLINALE 2024 – TAG ZWEI

Hat ein Wahnsinniger die Absperrungen am Potsdamer Platz aufgestellt? Nirgendwo geht’s rein, nirgendwo geht’s raus. Wenn schon nicht das Wegeleitsystem, dann doch zumindest das Design gelobt: Der hochelegante Bär, der mal mit lächelndem Gesicht, mal mit angehobener Tatze die Berlinale-Plakate ziert, ist eine riesige Verbesserung gegenüber der 80er-Jahre Frisörwerbung vom letzten Jahr. Fell ist nämlich immer ganz gut …

Wettbewerb

A DIFFERENT MAN

A DIFFERENT MAN

Schauspieler Edward leidet unter einer starken Gesichtsdeformation. Dank eines neuen Medikaments sieht er bald wie Hollywoodstar Sebastian Stan aus. Äußerlich ändert sich einiges in seinem Leben, und doch bleibt im Grunde alles gleich.

A DIFFERENT MAN hat ein paar hübsche schräge Ideen, mit Adam Pearson einen sehr charmanten scene-stealer und eine ganze Reihe Probleme. Die platte Message „Was nützt die schönste Fassade, wenn die inneren Werte nicht stimmen“ wird mit dem Holzhammer transportiert. Dazu führt das unausgewogene Tempo zu langatmigen Szenen, während der Wechsel zwischen Psycho-Drama und Möchtegern-Thriller auf Dauer anstrengt. Regisseur Aaron Schimberg präsentiert dem Zuschauer haufenweise Indie-Klischees und wenig Subtilität.

INFOS ZUM FILM

USA 2023
112 min
Regie Aaron Schimberg
Bild © Faces Off LLC

Wettbewerb

LA COCINA

Wer beim Titel LA COCINA einen Film übers Kochen erwartet, liegt gründlich falsch. Der mexikanische Wettbewerbsbeitrag spielt zwar zu großen Teilen in der Küche eines New Yorker Restaurants, doch ums Zubereiten von Speisen geht es nur am Rande. Nein, LA COCINA ist eine shakespearsche Tragödie mit allem Drum und Dran: Liebe, Verrat, das ganz große Drama. Und wie es sich für ein Drama gehört, wird über zwei Stunden lang leidenschaftlich gelitten und gestritten.

Die Geschichte spielt hinter den Kulissen der Touristenfalle „The Grill“ am Times Square. Der mexikanische Koch Pedro (Raúl Briones Carmona), ein Illegaler, ist schwer in die Kellnerin Juilia (Ronney Mara) verliebt. Als er erfährt, dass sie von ihm schwanger ist und abtreiben will, sieht er rot. Beziehungsweise grau, denn LA COCINA ist in strengem Schwarz-Weiß gedreht. Dass Dialoge, Rhythmus und Inszenierung theaterhaft wirken, kommt nicht von ungefähr: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Arnold Wesker. Kein Wunder, dass man sich wie beim Tableread zu einem Off-Broadway-Stück fühlt.

Die Küche als Hölle auf Erden. All das Geschreie und Gefluche mag zwar authentisch sein, zerrt aber auf Dauer nicht nur an den Nerven der Protagonisten. LA COCINA ist so anstrengend wie eine Doppelschicht in der Großraumküche.

INFOS ZUM FILM

Mexiko / USA 2024
139 min
Regie Alonso Ruizpalacios
Bild © Juan Pablo Ramírez / Filmadora

Wettbewerb

My favorite cake

MY FAVORITE CAKE

Mahin (70) lebt allein, ihre Kinder sind ins Ausland weggezogen. Eines schönen Tages beschließt sie, dass es genug mit der Einsamkeit ist und ihr Liebesleben einen Neustart braucht. Die Spontanromanze mit einem Taxifahrer entwickelt sich rasch zu einem in vielerlei Hinsicht unvergesslichen Abend.

Schon Maryam Moghaddams und Behtash Sanaeehas vorheriger Film BALLAD OF A WHITE COW wurde nicht nur bei Framerate in den höchsten Tönen gelobt und entwickelte sich schnell zum Publikumsliebling der Berlinale 2021. Auch KEYKE MAHBOOBE MAN läuft im Wettbewerb und es wäre ein Wunder, wenn es nicht irgendeinen Bären dafür gäbe. Die zarte Liebesgeschichte zwischen zwei Rentnern in Teheran hat alles, was Kino braucht: Tragik, eine gute Story, zwei herausragende Darsteller (Lily Farhadpour & Esmail Mehrabi) und vor allem viel Humor.

Gar nicht lustiger sad-fact: Gegen das iranische Autoren- und Regie-Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha wurde ein Reiseverbot verhängt. Ihre Pässe wurden konfisziert und ihnen droht in Bezug auf ihre Arbeit als Filmemacher ein Gerichtsverfahren.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Keyke Mahboobe Man“
Iran / Frankreich / Schweden / Deutschland 2024
97 min
Regie Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha
Bild © Hamid Janipour

Panorama

BRIEF HISTORY OF A FAMILY

Der 15-jährige Waisenjunge Yan Shuo wanzt sich in die Familie seines Mitschülers Tu Wei. Die wohlhabenden Eltern nehmen ihn schnell als zweiten Sohn an. Ein Plädoyer für die Wiedereinführung der Ein-Kind-Politik? Man weiß es nicht. Der stilvolle, aber spannungsarme Thriller besticht immerhin durch unterschwellig bedrohliche Atmosphäre, doch am Ende ist man so schlau wie zu Beginn.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Jia ting jian shi“
Volksrepublik China / Frankreich / Dänemark / Katar 2024
99 min
Regie Lin Jianjie
Bild © First Light Films, Films du Milieu, Tambo films

Panorama

PENDANT CE TEMPS SUR TERRE

Eines Tages wird Elsa von einer außerirdischen Lebensform kontaktiert, die behauptet, sie könne den im Weltraum verschollenen Bruder der jungen Frau zur Erde zurückbringen. Doch der Preis dafür ist hoch. Regisseur Jérémy Clapin will uns mit PENDANT CE TEMPS SUR TERRE wahrscheinlich etwas über Trauer und Verlust erzählen. Dazu nutzt er eine Mischung aus Body-Horror, Science Fiction, Zeichentrick und französischem Arthouse-Kino. Kunst halt. Sehenswert nur wegen der tollen Hauptdarstellerin Megan Northam.

INFOS ZUM FILM

Englischer Titel „Meanwhile on Earth“
Frankreich 2024
88 min
Regie Jérémy Clapin
Bild © Manuel Moutier

Generation Kplus

Sieger Sein

SIEGER SEIN

Mona ist mit ihrer kurdischen Familie aus Syrien geflüchtet und landet im Berliner Wedding, dem Bezirk, der seit 30 Jahren kommt. In ihrer neuen Schule ist sie „voll das Opfer“, bis sie beim Fussballspielen beweisen kann, was in ihr steckt. Ganz erstaunlich, dass es sich bei SIEGER SEIN um einen Debütfilm handelt. Denn es wimmelt nur so von Klischees. Regisseurin Soleen Yusef will es allen recht machen: Der jungen Zielgruppe ebenso, wie den vereulten Redakteuren der Öffentlich-Rechtlichen. Besonders nervig sind dabei die didaktischen Ansätze. Ein bisschen Zuwendung und schon hebt der gerade noch respektlose Rotzlöffel im Unterricht brav die Hand und fragt mit großen Augen „Was ist Diktatur?“ Erklärung folgt, wieder was gelernt – Bruda, isch schwöre!

INFOS ZUM FILM

Englischer Titel „Winners“
Deutschland 2024
119 min
Regie Soleen Yusef
Bild © Stephan Burchardt / DCM

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