CLOUDY MOUNTAIN

CLOUDY MOUNTAIN

Kinostart 01. Dezember 2022

Eine riesige Berglandschaft im Südwesten Chinas droht zu kollabieren. Nur der clevere Sprengstoffexperte Yizhou kann gemeinsam mit seinem Vater die Menschheit vor einer Katastrophe retten.

Die Helden sind tapfer, stark und exzellente Multitasker

„Cloudy Mountain“ ist Chinas Antwort auf Dwayne-Johnson-Filme, nur ohne The Rock. Die Großmeister der Kopie haben einen Actionblockbuster produziert, der mehr physikalische Grenzen ignoriert als „San Andreas“ und „Skyscraper“ zusammen. Stürze in einem Bus in ein tiefes Erdloch? Freeclimbing an einer regennassen Felswand? Ein zehn Meter Hechtsprung durch die Luft, um an den Kufen eines vorbeifliegenden Helikopters zu landen? Alles kein Problem, denn die Helden sind tapfer, stark und exzellente Multitasker. Die Krönung ist eine Szene, in der der Hauptdarsteller einen Jeep mit Höchstgeschwindigkeit durch eine enge Serpentinenstraße steuert, während er hoch komplizierte mathematische Gleichungen in seinen Computer hämmert und es um ihn herum hausgroße Felsbrocken regnet. Auf Mensch und Technik ist eben Verlass. Internet ist immer und überall verfügbar, im Reich der Mitte scheint es flächendeckend stabiles Netz zu geben. 5 G sogar im Erdinneren – davon kann unsereins nur träumen.

„Cloudy Mountain“ ist ein Propagandafilm, in dem Sätze wie „Vertrauen Sie der Partei und der Regierung“ fast im Allgemeinlärm untergehen. Auf der Filmdatenbank IMDb hat das Katastrophenepos derart viele 10 von 10 Punkte Jubelbewertungen bekommen, dass man sich fragt, ob Xi Jinping hier persönlich nachgeholfen hat.

Wer über die teils lachhafte Handy-Videospiel-Qualität der Spezialeffekte spotten möchte – bitte schön. Unterhaltsam ist die rasante Achterbahnfahrt trotzdem. In einer Art Rudis Resterampe der Katastrophenfilme werden immer grotesker werdende Actionszenen aneinandergereiht, es bleibt kaum Zeit zum Luftholen. Überwältigungskino in Reinform.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Feng Bao“
China 2021
115 min
Regie Li Jun

alle Bilder © PLAION PICTURES GmbH

ZEITEN DES UMBRUCHS

Kinostart 24. November 2022

Dass ein Schmock wie Ronald Reagan der nächste US-Präsident werden könnte, versetzt Irving Graff (Jeremy Strong) in Unglauben. Der liberale jüdische Familienvater lebt Anfang der 1980er-Jahre in Queens, New York. Mit seiner Frau Esther (Anne Hathaway) hangelt er sich so durch, vom klassischen Wunsch getrieben, die beiden Kinder mögen es „mal besser haben“. Doch Undank ist der Welten Lohn: Sohn Paul (Banks Repeta) ist verträumt und mehr am Zeichnen als an Lehren fürs Leben interessiert. Verständnis findet er nur bei seinem Großvater (Anthony Hopkins), dem einzigen Erwachsenen, auf den der Junge hört.

Der Film findet keinen großen dramatischen Bogen, bleibt skizzenhaft

Wer hat sich nicht schon mal gefragt, ob die eigene Familiengeschichte es nicht wert wäre, aufgeschrieben oder verfilmt zu werden? Da aber die meisten von uns kein Soap-Opera-Leben führen, hielte das Ergebnis den Rest der Menschheit vermutlich nicht in Atem. Und auch die Kindheitserinnerungen von James Gray sind weniger aufregend, als es der Drehbuchautor und Regisseur vermutet. Sein Film findet keinen großen dramatischen Bogen, bleibt skizzenhaft und ist nur mäßig interessant. Ständig wartet man auf einen großen Knall, Gefühle oder Drama, doch es passiert fast nichts. Wenigstens hat er eine fabelhafte Besetzung vor der Kamera versammelt: Neben Jeremy Strong und Anne Hathaway vor allem Anthony Hopkins, der endlich aufgehört hat, drittklassige Thriller fürs Geld zu drehen, und seit „The Father“ wieder zu Bestform zurückgefunden hat.

„Armageddon Time“ – der Originaltitel klingt brachial und vielversprechend. Überraschend, dass sich dahinter eine so fade Familiengeschichte verbirgt. Wie schon zuletzt „Ad Astra – Zu den Sternen“ ist auch Grays neuer Film kein Unterhaltungsfeuerwerk, eher eine Beobachtung von Zuständen. „Zeiten des Umbruchs“ möchte ein bildgewordener Jonathan Franzen-Roman sein: eine ausführliche Beschreibung vom Leben, bei der nicht viel passieren muss, die aber trotzdem fesselt. Das funktioniert bei Franzen auf dem Papier. Kino folgt anderen Regeln. Da können zwei Stunden ohne nennenswerte Geschichte ganz schön lang werden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Armageddon Time“
USA 2022
114 min
Regie  James Gray

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

BONES AND ALL

Kinostart 24. November 2022

Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt.

Joachim Ringelnatz beschreibt in seinem Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“ genau wie’s geht. Derlei Anleitung könnte auch Maren gut gebrauchen, denn sie ist seit Kindesbein scharf auf Menschenfleisch. Als sich pünktlich zu ihrem 18. Geburtstag ihr Vater aus dem Staub macht, begibt sie sich auf die Suche nach ihrer verschollen geglaubten Mutter – ein Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten der Reagan-Ära. Unterwegs trifft sie Gleichgesinnte (man kann sich gegenseitig erschnuppern) und findet im Wild Boy Lee ihre erste große Liebe. Liebe unter Kannibalen. Schön.

Regisseur Luca Guadagnino ist ein Meister der Stimmung

„Bones and All“ würde in der modernen Gastronomie wohl „Nose to Tail“ heißen. Denn in der Adaption von Camille Deangelis’ Jugendroman geht es (auf den ersten Blick) genau darum: das Verspeisen von Menschen mit Haut und Haar. Regisseur Luca Guadagnino hat sich dafür erneut Timothée Chalamet vor die Kamera geholt und der macht, was er am besten kann: mit niedlichem Hundeblick unter der Lockenfrisur hervorschauen und sexuelle Ambivalenz verströmen. Sehr putzig auch Oscarpreisträger Mark Rylance als gruselig-irrer Körperfresser mit Prinzipien: Ihm kommen nur bereits Verstorbene auf den Teller. Die Hauptrolle ist mit Taylor Russell besetzt, die schon im sträflich vom Publikum ignorierten Coming-of-Age-Drama „Waves“ begeistern konnte.

Was dem Immobilienmakler „Locatio, Location, Location“, ist für Luca Guadagnino „Mood, Mood, Mood“. Die Filme des italienischen Regisseurs sind in erster Linie perfekt eingefangene Atmosphäre, weniger klassisch erzählte Geschichte. Wer wollte nach „Call Me by Your Name“ nicht sofort die Koffer packen und einen sonnenflirrend verliebten Urlaub im Süden verbringen? Ein Meister der Stimmung also. Mit „Bones and All“ hat er nun einen – sich selbst vielleicht etwas zu ernst nehmenden – romantischen Arthousefilm mit Horrorelementen gedreht. Top besetzt, zwischendurch mit Längen, aber insgesamt sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Bones and All“
Italien / USA 2022
131 min
Regie Luca Guadagnino

alle Bilder © Warner Bros. Pictures (international)

the MENU

Kinostart 17. November 2022

„Die im Feuer alter Buchenstämme vierzehn Stunden geräucherte Hippe wird von einem Schmand begleitet, den wir von Bauer William aus Schottland beziehen. Seine Kuh Mathilda gibt nur einen Liter Milch pro Woche, welcher exklusiv für diesen Gang in osmanischer Salzlake fermentiert wurde“.
So klingt die nicht erfundene Beschreibung eines verbrannten Stück Teigs mit saurer Sahne in einem Berliner Sterne-Restaurant. Man sitzt da, hört sich’s an und staunt. Jede Zutat wird mit einer Geschichte aufgeladen, alles ist Kunst. Wer schon mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, in diesem nicht näher genannten Lokal zu dinieren, der ahnt, dass die im Film „the MENU“ gezeigte Welt der Superfoodies ziemlich nah an der Realität ist.

Selten wurde Grausamkeit so ästhetisch serviert

Eine Gruppe reicher und berühmter Menschen reist auf eine Insel, um dort im ultra-exklusiven Restaurant Hawthorne zu speisen. Spaß kostet Geld: Für das Menü des legendären Chefkochs Slowik (Ralph Fiennes) sind 1.250 $ pro Kopf fällig. Doch was als unvergessliches Gourmet-Erlebnis geplant war, wandelt sich im Laufe des Abends zum Höllentrip.

Menu surprise: Regisseur Mylod spannt einen eleganten Bogen von satirischer Komödie über ausgewachsenen Thriller bis hin zum blanken Horror. Man weiß nie, was als Nächstes passiert, es bleibt bis zum Ende wunderbar überraschend. Das intelligente, mit scharfzüngigen Dialogen gespickte Drehbuch von Seth Reiss und Will Tracy nimmt dabei gekonnt die Auswüchse des Kapitalismus aufs Korn. Insofern ist „the MENU“ dem oscargekrönten „Parasite“ nicht unähnlich.

Selten wurde Grausamkeit so ästhetisch serviert. „the MENU“ nutzt den visuellen Stil der augenschmausigen NETFLIX-Serie „Chef’s Table“, inklusive ironischer Zwischentitel mit pseudo-poetischen Wortschöpfungen für den jeweiligen Gang. Aus der rundum delikaten Besetzung stechen vor allem der immer fabelhafte Ralph Fiennes als Chefkoch und Hong Chau als eiskalt professionelle Oberkellnerin Elsa hervor. „the MENU“ ist eine zugleich komische und bitterböse Abrechnung mit der grotesken Welt der Spitzengastronomie. Guten Appetit.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Menu“
USA 2022
107 min
Regie Mark Mylod

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany