MUSIC

Zwei schlechte Schauspielerinnen auf der Höhe ihres Nicht-Könnens: Kate Hudson spielt, von einem frechen Kurzhaarschnitt entstellt, die Drogendealerin Zu, die unerwartet die Vormundschaft für ihre autistische Schwester Music (Maddie Ziegler) übernehmen muss. Zunächst völlig überfordert, schafft sie es mithilfe eines freundlichen Nachbarns, die schwierige Familiensituation zum Besseren zu wenden. Die Moral von der Geschicht‘ – an seinen Aufgaben wächst man.

Das Regiedebüt des australischen Multitalents Sia Furler besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Filmen, die weder für sich genommen und schon gar nicht als Ganzes funktionieren. Einerseits die Welt in Musics Kopf: Alberne Gesangs- und Tanznummern, als hätten die Kostüm- und Set-Abteilung gemeinsam einen LSD-Trip geschmissen. Andererseits die Welt da draußen: ein abgedroschenes Drama mit jeder Menge Anleihen an „Rain-Man“. Wie dort dient der autistische Charakter vor allem dazu, einen Egomanen zu läutern und zu einem besseren Menschen zu machen. Im Unterschied zu „Music“ konnte das Barry-Levinson-Drama von 1988 allerdings mit souveräner Regie und zwei herausragenden Darstellern punkten.

Maddie Ziegler fehlt das schauspielerische Können, dem autistischen Mädchen die nötige Authentizität zu verleihen. Die Entscheidung, Ziegler gleich in der Vorspann-Sequenz als „normale“ Person in einer Musicalnummer zu präsentieren, macht die Sache nicht besser. Danach sieht man nur noch das bemühte Schauspiel. Ein bisschen Schreien, kläffendes Lachen und mit gebleckten Zähnen in die Gegend starren genügen nicht, der Jungschauspielerin ihre Rolle abzunehmen.

„Music“ funktioniert höchstens als Vehikel für die Songs der australischen Sängerin Sia. Die sind schön catchy, den Rest hätte es nicht gebraucht.

FAZIT

Musikvideo mit eingeschobener Handlung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Music“
USA 2020
107 min
Regie Sia
ab 12. Februar 2021 als VoD
ab 05. März als DVD und Blu-ray

alle Bilder © Alamode

KÖNIGIN

Anne, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Dänemark. Ihr Leben scheint perfekt. Doch dann beginnt sie eine verhängnisvolle Affäre mit ihrem 16-jährigen Stiefsohn. Gustav mag zwar körperlich reif sein, doch mental ist er noch ein halbes Kind. Einmal fragt er, was das Schlimmste sei, das sie sich vorstellen könne. „Alles zu verlieren“, antwortet Anne. Als ihre verbotene Beziehung aufzufliegen und sie tatsächlich alles zu verlieren droht, greift sie zu drastischen Mitteln. Ihre egoistischen Entscheidungen haben katastrophale Folgen.

„Königin“ erzählt die Geschichte eines Sündenfalls. Macht, Missbrauch und Verrat – es bleibt offen, ob Anne in ihrer Jugend selbst Opfer war. Regisseurin May el-Toukhy stellt den gängigen Glauben, im Bösen verberge sich manchmal ein guter Kern auf den Kopf: Bei ihr verbirgt sich im Guten das Böse. Der Film nimmt immer wieder Bezug auf Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Wie bei dessen Titelfigur kann man dem langsamen Sturz der Protagonisten in den bodenlosen Abgrund zuschauen. „Ab mit dem Kopf!“ Und wie die rote Königin aus dem Buch entpuppt sich auch Anne als unberechenbare Herrscherin über Leben und Tod.

Starke Schauspieler: Gustav Lindh als gar nicht so tougher Teenager und besonders Trine Dryholm, die für ihre Rolle als Anne bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.

FAZIT

Unaufhaltsam tickendes Psychodrama. Sehenswert.

Originaltitel „Dronningen“
Dänemark 2019
127 min
Regie May el-Toukhy
Ab sofort zu kaufen bei iTunes, ab 14. Mai 2020 als VoD erhältlich

MADAME

Heutzutage dreht jedes Kleinkind perfekte Filme und lädt sie Sekunden später auf sozialen Plattformen hoch. Unvorstellbar für jugendliche Influencer: Es gab mal Zeiten, in denen Filme nicht in Hollywood-4K-Qualität aus dem iPhone kamen. Anfang der 80er Jahre galt es noch, klobige Videokameras zu schultern. Zum Glück bekommt auch der 13-jährige Stéphane Riethauser solch eine Kamera geschenkt. Der Junge beginnt, seinen Alltag zu filmen und so entsteht ein umfangreiches und einzigartiges Zeitdokument über seine Kindheit, Jugend und vor allem seine Oma.

Caroline ist eine rechte Lotte und steht im Mittelpunkt der Hommage, die Stéphane Riethauser seiner unkonventionellen Großmutter gewidmet hat. Ein bewegtes Leben: Nach einer von ihrem Vater arrangierten Hochzeit bekommt sie ihr erstes Kind, lässt sich kurz darauf scheiden – in den 1920er Jahren ein Skandal. Sie wird eine erfolgreiche Unternehmerin, eine selbstbewusste Frau, die sich dem patriarchalen System verweigert.

Jahre später sieht sich ihr Enkelsohn Stéphane mit ganz anderen und doch ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Auf dem „mit einem Zipfelchen“ ausgestatteten Kind lasten die Erwartungen des Vaters und einer heteronormen Gesellschaft. Als schwuler Junge unterdrückt er seine Gefühle, spielt der Familie und sich selbst die Rolle des Machos vor. Mit seinem Coming-out ändert er sein Leben radikal und wird zu einem engagierten Kämpfer für die Rechte der LGBTQ Community.

Das Interview, das der erwachsene Stéphane mit seiner 90-jährigen Großmutter kurz vor deren Tod gedreht hat, bildet den Rahmen der Dokumentation. Der Regisseur bebildert seine intime Familienchronik ausschließlich mit Amateuraufnahmen, die zunächst sein Vater seit den 1950er Jahren und später er selbst ab den 1980er Jahren gedreht haben.

FAZIT

So interessant kann anderer Leute Leben sein. Gewöhnungsbedürftig ist der vom Regisseur etwas roboterhaft eingesprochene deutsche Offtext.

Originaltitel „Madame“
Schweiz 2019
94 min
Regie Stéphane Riethauser
Ab sofort als VoD auf Club Salzgeber für 4,90 €

Weekly Update 03 – diesmal mit *unbezahlter Werbung

Im zweiten Stock übt das unbegabte Kind seit drei Stunden die Titelmelodie von „Der Herr der Ringe“ auf der Trompete. Wer wird heute zuerst einen Schreianfall bekommen, der Junge oder seine Mutter? Oben rollt die Psychologin Weinfässer durch die Wohnung. Das macht sie jeden Tag, oft bis 3 Uhr morgens. So laut, dass man kein Auge zu macht. „ZU“ ist übrigens das Un-Wort des Jahres. Alles ist zu, außer den Augen. Auch die Kinos sind weiterhin zu. Vielleicht muss Framerate bald „die 5 besten Science-Fiction-Filme auf Netflix“ oder kurz und knapp irgendwelche Serien besprechen. Bis es hoffentlich nie so weit ist, gibts erstmal weitere VoD Neuerscheinungen und Brot.

Brot? Ja KOMMA Brot! Das allerbeste Brot der Stadt kann man derzeit in „Die Weinerei“, einem charmanten Weinladen in der Veteranenstraße 17, Berlin-Mitte kaufen. Mehl, Salz, Hefe, Wasser und viel Liebe: Mehr Inhaltsstoffe braucht es nicht. Innen saftig weich, außen eine herrlich dunkle Kruste. Knurps, fünf Sterne! *

Zum Preis von etwas mehr als zwei Broten (9,99 €) kann man ab sofort den Berlinale Gewinner 2019 „Synonymes“ streamen und tut dabei auch noch Gutes: Grandfilm teilt den Gewinn 50/50 mit den wegen Corona geschlossenen Independent-Kinos, die bisher die Filme des Verleihers gezeigt haben. Und der bereits letzte Woche erwähnte Club Salzgeber erweitert ab 09. April sein Portfolio mit dem mexikanischen Film „This is not Berlin“. *

SYNONYMES

Schlechter kanns für Yoav kaum laufen: Die Wohnung, in der er unterkommen soll, ist komplett unmöbliert und leer. Weil es so kalt ist, nimmt er erst mal ein Bad. Kaum in der Wanne, werden ihm alle seine Sachen gestohlen. Tom Mercier spielt Yoav, einen unzufriedenen jungen Mann, der aus Tel Aviv nach Paris flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen. Er will seine Wurzeln kappen, nichts soll ihn an seine Vergangenheit erinnern. Yoav weigert sich, auch nur ein einziges hebräisches Wort zu sprechen. Sein ständiger Begleiter ist ein französisches Wörterbuch. So kommuniziert er mit den verschiedenen Menschen, die seinen Weg kreuzen. Wie er mit seinem niedlich-debil-geilen Gesichtsausdruck, französische Vokabeln brabbelnd, durch die Straßen von Paris irrt, erinnert er fast ein bisschen an Trash-König Joey Heindle, der sich verlaufen hat. 

Ein Pluspunkt des Films ist sein trockener Humor. Nervig dagegen ist das unüberhörbare Rascheln der Drehbuchseiten. Das Verhalten der Figuren dient oft nur der Geschichte, wirkt dadurch artifiziell und zu gewollt. „Synonymes“ basiert auf den eigenen Erfahrungen von Autor und Regisseur Nadav Lapidist. Eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, manche geglückt, manche weniger. 

FAZIT

Die Berlinale-Jury entschied, „Synonymes“ sei der beste Films des Festivals 2019 und verlieh ihm den Goldenen Bären.

Originaltitel „Synonyms“
Frankreich / Israel / Deutschland 2019
123 min
Regie Nadav Lapid 
Ab sofort als VoD auf Grandfilms für 9,99 €

THIS IS NOT BERLIN

Ein Junge mit langen Haaren steht verloren inmitten einer heftigen Massenschlägerei. Der Blick geht ins Leere, er fällt in Ohnmacht. 

Mexiko City, 1986. Ein Außenseiter in der Schule, zu Hause nervt seine in Depressionen versunkene Mutter: der 17-jährige Carlos gehört nirgendwo richtig dazu. Das mit dem in Ohnmacht fallen ist zwar uncool, dafür ist er am Lötkolben ein Held. Der kleine Daniel Düsentrieb bastelt in seiner Freizeit die verrücktesten Maschinen zusammen. Als er den Synthesizer einer Band repariert und damit deren Auftritt rettet, wird er zum Dank mit in den angesagten Klub „Azteca“ genommen. Während ganz Mexiko der WM entgegenfiebert, entdeckt Carlos dort zusammen mit seinem besten Freund Geza die Welt der Subkultur: Video-Art, Punk-Performance, sexuelle Ambivalenz und Drogen. 
Klingt wie ein gewöhnliches Abendprogramm im Berlin der 80er Jahre. But this is not Berlin, it’s Mexiko! Wer hätte gedacht, dass es da vor 35 Jahren genauso wild und künstlerisch aufregend zuging, wie in der damals noch geteilten Hauptstadt? Die Underground-Kultur der Zeit haben Regisseur Sama und sein Kameramann Altamirano perfekt wieder zum Leben erweckt. Sexuell freizügige Nacktkunst-Aktionen und Jeder-mit-jedem-Herumgeschlafe sind erfrischend offen und unverklemmt inszeniert.

„This is not Berlin“ mischt sehr viel – ein bisschen zu viel – schräge Kunst mit einer etwas generischen Coming-Of-Age-Story über einen Jungen, dem die Augen für eine neue Welt geöffnet werden. Am Ende verstolpert sich die Handlung zu sehr in Klischees von Eifersucht und betrogener Freundschaft, das hätte es gar nicht gebraucht. Bis dahin ist „This is not Berlin“ ein unkonventioneller Film über Selbstfindung, Freundschaft, Liebe und das Erwachsenwerden.

FAZIT

Interessante Zeitreise in die 80er – wurde bereits auf mehreren Festivals ausgezeichnet.

Originaltitel „Esto no es Berlín“
Mexiko 2019
109 min
Regie Hari Sama
Spanische OF mit deutschen UT
Ab 09. April als VoD auf Club Salzgeber für 4,90 €

Weekly Update 02

Toilettenpapierwitze kann jetzt langsam auch keiner mehr hören. Desgleichen Klagen über zu wenig Nudeln, Mehl oder Hefe im lokalen Supermarkt. Ist jetzt halt so, kauft euer Brot doch einfach weiter beim Bäcker, so wie in den letzten 50 Jahren vor Corona.

Ein viel größeres Problem (für framerate) sind die weiterhin geschlossenen Kinos. Die Verleiher gehen aber mittlerweile dazu über, vor allem kleinere Filme nicht mehr irgendwann im Kino, sondern jetzt online zu zeigen – per Video On Demand. Zum Glück, denn die schon vor Wochen verfassten Kritiken würden sonst in der Schublade verschimmeln – und das wäre ja schade.

Den Anfang macht „Kopfplatzen“, den die Edition Salzgeber in ihrem neu gegründeten „Salzgeber Club“ ab 2. April anbietet.

Auch lohnenswert ist der bereits besprochene Horrorthriller „Der Unsichtbare“ – den gibts im deutschen iTunes-Store ab sofort für schlappe 17,99 € zu leihen.

KOPFPLATZEN

Grau, grau, grau sind alle meine Kleider,
grau, grau, grau ist alles, was ich hab’.
Wie viele Shades of Grey gibt es eigentlich? More than 50? „Kopfplatzen“ zeigt sie alle. Vom Hemd über die Wandfarbe bis zur allgemeinen Grundstimmung. Grau auch das Befinden des Zuschauers. Wenn draußen die Welt untergeht, warum sich nicht mal zwei extra-düstere Stunden zu Hause machen?

Der 29-jährige Markus ist Architekt, hat schöne blaue (!) Augen, ist immer schick gekleidet. Ein netter Kerl, der auf Kinder steht. Auf kleine Jungs, um genauer zu sein. Er kann den ganzen Tag an nichts anderes denken, fotografiert sie im Schwimmbad, wirft ihnen verstohlene Blicke im Bus zu, läuft ihnen im Park hinterher. Er leidet unter seiner Veranlagung, sucht Hilfe.
„Verlassen Sie sofort meine Praxis!“ Sein Hausarzt will mit so einem wie ihm nichts zu tun haben. Und auch der Psychiater macht wenig Hoffnung. Heilbar sei die Neigung leider nicht. Da erscheint es als verheerender Wink des Schicksals, dass Jessica mit ihrem achtjährigen Sohn in die Nachbarwohnung einzieht. Der Mann und der Junge freunden sich an, die Mutter verliebt sich in den hilfsbereiten Markus.

Die Dialoge hören sich zwischendurch wie die vorgetragenen Protokolle einer Sitzung beim Psychotherapeuten an. Und auch wenn der Film immer wieder auf klischeehafte Symbolik zurückgreift, schauspielerisch ist „Kopfplatzen“ herausragend. Hauptdarsteller Max Riemelt sagt im Interview lakonisch, dass es keinen Unterschied mache, ob er einen Mörder, einen Nazi oder einen Pädosexuellen spiele. Stimmt, denn in Rollen schlüpfen ist schließlich sein Job. Trotzdem verdient er großes Lob für seinen Mut und die Intensität, mit der er diese Figur spielt. Savaş Ceviz‘ Drama fällt kein Urteil, bleibt ambivalent. Es wäre einfacher, käme Markus als aufgedunsenes, schwitzendes Ekelpaket daher, das im Campingwagen kleine Kinder verführt. Riemelt erzeugt mit der Darstellung des einsamen, bindungsunfähigen Markus verstörenderweise Mitgefühl, ohne eine mögliche Schuld zu verharmlosen.

FAZIT

Kein heiteres Thema, kein heiterer Film.

Deutschland 2019
99 min
Regie Savaş Cevizn 
Ab sofort als VoD im Salzgeber Club für 4,90 €

DER UNSICHTBARE

Universal Pictures hat seine Pläne, ein „Dark Univers“ mit Vampiren, Werwölfen und anderen Monstern zu kreieren nach dem Tom-Cruise-Flop „The Mummy“ zu Grabe getragen. Nun hat sich das Studio zu einem kompletten Reboot entschieden. Und so wie es aussieht, war das eine goldrichtige Entscheidung. Die Neuverfilmung des H. G. Wells Romans „Der Unsichtbare“ ist ein sehr gelungener Horrorthriller geworden, extrem spannend von der ersten bis zur letzten Minute. 

Cecilia Kass (Elisabeth Moss) flieht mitten in der Nacht aus dem Haus ihres kontrollsüchtigen Freundes Adrian. Sie taucht bei ihrem Kindheitsfreund James und dessen Tochter unter. Zwei Wochen später erfährt sie, dass ihr millionenschwerer Ex Selbstmord begangen hat. Doch Cecilias Erleichterung währt nicht lange. Bald ist sie sicher, von einem unsichtbaren Mann verfolgt zu werden. Natürlich glaubt ihr niemand, sie wird für verrückt erklärt.

Die Idee des Films, statt der Geschichte des Unsichtbaren die seines Opfers in den Mittelpunkt zu stellen geht voll auf. Der Perspektivenwechsel lässt den oft erzählten Horrorklassiker neu und frisch wirken. Ganz nebenbei zeigt Regisseur und Drehbuchautor Whannell glaubhaft die Angst und Auswirkungen einer Beziehung des Missbrauchs. Elisabeth Moss liefert als drangsalierte Ex-Freundin wieder mal eine Top-Leistung ab. Der Score von Benjamin Wallfisch ist  wirkungsvoll, Ausstattung und Kamera auf dem Punkt. Unglaublich, dass der Film mit einem Minibudget von 7 Millionen Dollar realisiert wurde.

FAZIT

Nervenaufreibend.

Originaltitel: „The Invisible Man“
USA 2020
110 min
Regie Leigh Whannell
Ab sofort als VoD auf iTunes für 17,99 €