WIE IM ECHTEN LEBEN

Kinostart 30. Juni 2022

Juliette Binoche macht den Günter Wallraff und mischt sich inkognito unter die sozial Benachteiligten Frankreichs. Klos schrubben, Betten beziehen, Böden wischen. Und das bitte im Akkord, denn Zeit ist Geld. Marianne muss sich an das harte Arbeitsleben gewöhnen, denn bisher war sie „nur“ Hausfrau und Mutter, hat für ihren vermögenden Mann die Buchhaltung gemacht. Doch der hat sie betrogen und nun muss sie bei null anfangen. So wenigstens ihre gut erfundene Biografie.

Tatsächlich ist Marianne eine erfolgreiche Autorin, die ein Buch über den Alltag der Geringverdiener schreiben will. Und weil Erlebnisse aus erster Hand immer am besten sind, taucht sie mit falscher Identität in die Welt der Hilfsarbeiterjobs ein. Besonders mit Christele, einer toughen jungen Frau, die sich mit drei Kindern durchs Leben schlägt, verbindet sie bald eine enge Freundschaft.

In unkundiger Hand wäre die Geschichte von der sensiblen Autorin und ihren neuen Freundinnen aus dem Prekariat wahlweise ultradeprimierend oder vor Kitsch triefend geraten. Doch der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Regisseur Emmanuel Carrère weiß genau, wie es geht: kein falscher Ton, keine forcierte Gefühlsduselei. Bei seinem zweiten Spielfilm kann er sich auf ein ausgezeichnetes Ensemble verlassen, mit einer wunderbaren Juliette Binoche in der Hauptrolle und einer ganzen Reihe umwerfender Laiendarstellerinnen an deren Seite. Guter Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ouistreham“
Frankreich 2021
106 min
Regie Emmanuel Carrère

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

DER BESTE FILM ALLER ZEITEN

Kinostart 30. Juni 2022

Die Frage aller Fragen am Ende: Was bleibt von mir? Da Geld keine Rolle spielt, könnte der 80-jährige Milliardär Humberto Suarez eine Brücke bauen lassen, die seinen Namen trägt. Oder vielleicht einen Film produzieren? Aber nicht irgendeinen, sondern den besten Film aller Zeiten. Dazu heuert er die berühmte Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) und zwei noch berühmtere Schauspieler an. Ein Clash der Egos: Hollywood-Star Félix Rivero (Antonio Banderas) trifft auf Theatermimen Iván Torres (Oscar Martínez). Um ihre beiden Hauptdarsteller auf den Dreh vorzubereiten, hat sich die Regisseurin eine Reihe von exzentrischen Übungen ausgedacht: unter anderem lässt sie Iván und Félix ihre Texte lesen, während über ihren Köpfen ein fünf Tonnen schwerer Felsbrocken baumelt.

Die im Original ganz unbescheiden „Competencia oficial“ (Offizieller Wettbewerb) genannte Satire des Regieduos Duprat & Cohn macht den Zuschauern ebenso großen Spaß wie den Schauspielern, die sich selbst und ihre Eitelkeiten gehörig auf die Schippe nehmen. Der wahre Superstar ist (neben Antonio und der für immer schönen Penélope) das Anwesen, in dem gedreht wurde. In seiner strengen Sachlichkeit erinnert es an ein Lovechild von Frank Gehry und Mies-van-der-Rohe – Architekturstudenten werden feuchte Augen bekommen. Schöne Menschen, schöne Location, schöne Bilder: Kameramann Arnau Valls Colomer setzt den bissigen Inhalt in perfekt kadrierte, fabelhafte Bildkompositionen um.

Selbstgespräche mit einem Staubsaugerrohr. „Der beste Film aller Zeiten“ ist ein cleveres Spiel mit falschen Fährten. Was im Moment noch nebensächlich erscheint, bekommt erst später eine tiefere Bedeutung. Die Regisseure wissen genau, wie sie den Gedankenfluss der Zuschauer manipulieren können. Einziger Wermutstropfen: Emotional bleibt der Film unterkühlt. Das liegt an seiner Struktur: Statt einer Handlung reihen sich amüsante Sketche aneinander, die oft genial, aber manchmal ein bisschen zu vorhersehbar sind.

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Originaltitel „Competencia oficial“
Spanien 2021
114 min
Regie Gaston Duprat und Mariano Cohn

alle Bilder © STUDIOCANAL

ELVIS

Kinostart 23. Juni 2022

Er war Superstar
Er war populär
Er war so exaltiert
Because er hatte Flair
Er war der wahre King, der größte Rock’n Roll Star aller Zeiten.
Bis heute hat kein Solokünstler mehr Musikträger verkauft als Elvis Presley.

Baz Luhrmann ist einer der Regisseure, deren Handschrift man schon nach wenigen Einstellungen erkennt. Diesmal dauert es nicht einmal eine Sekunde, denn schon das diamantenfunkelnde 3D-Logo von Warner Brothers zeigt, wohin die Reise geht. Getreu dem Liberace-Motto „Too much of a good thing is wonderful“ schöpft der Regisseur aus dem Vollen. Alles ist überinszeniert, gefiltert und auf maximale Wirkung inszeniert. Wer Luhrmanns Arbeiten kennt, weiß, dass bei ihm Form vor Inhalt geht. Das sieht alles erwartungsgemäß toll aus, Catherine Martins Kostüme und das Produktionsdesign sind eine Hommage an Presleys Blütezeit von den 1950er bis zu den 1970er-Jahren.

Doch unter all dem Glamour und Glitter verbirgt sich eine komplexe Geschichte. Der Film beleuchtet das Leben und die Musik des Superstars durch das Prisma seiner schwierigen Beziehung zu seinem berüchtigten Manager Colonel Tom Parker, mit reichlich Fettprothesen schön ölig von Tom Hanks gespielt.

Egal, ob man Luhrmanns trailerartiges Schnittgewitter nun mag oder nicht, sein opulentes Biopic ist vor allem eins: A superstar in the making. Austin Butler gibt mit sexueller Dynamik alles, shakes, rattles and rolls mit so viel Hingabe, dass er nach Ende der Dreharbeiten für zwei Wochen mit Erschöpfungssymptomen ins Krankenhaus musste. All die Mühe hat sich gelohnt, denn sogar Elvis-Witwe Priscilla ist begeistert: Kein anderer Film habe „Elvis jemals besser dargestellt“ als dieser.

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Originaltitel „Elvis“
USA 2022
159 min
Regie Baz Luhrmann

alle Bilder © Warner Bros. Entertainment Inc.

SHIVER – DIE KUNST DER TAIKO TROMMEL

Kinostart 23. Juni 2022

Schnell die Koffer packen und sich auf eine Reise nach Japan begeben. Genauer nach Sado. Wild, ursprünglich und faszinierend schön sieht die von dramatischem Ozeanwellen umgebene Insel in Toyoda Toshiakis Film aus.

Schönheit beflügelt Kreativität. In „Shiver – Die Kunst der Taiko Trommel“ bildet Sado die Kulisse für ein außergewöhnliches Experiment: Der japanische Elektro-Musiker Koshiro Hino trifft auf das Taiko Performing Arts Ensemble Kodo. Die Gruppe besteht seit über 40 Jahren und erzeugt mit einer Vielzahl exotischer Schlaginstrumente ihren mittlerweile weltberühmten Sound.

Aus der Kollaboration zwischen Hino und Kodo entstand ein faszinierendes audiovisuelles Ereignis, das ganz ohne Dialoge auskommt. Zwischen Kontemplation und purer Kraft: Der Dokumentarfilm „Shiver“ ist ein verrücktes, magisches und philosophisches Event.

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Originaltitel „Senritsu seshimeyo“
Japan 2020
89 min
Regie Toyoda Toshiaki 

alle Bilder © Rapid Eye Movies

PRESS PLAY AND LOVE AGAIN

Kinostart 16. Juni 2022

Eine berühmte Anekdote: Billy Wilder erzählte einmal, er habe im Schlaf immer die besten Drehbuchideen. Eines Nachts machte er sich nach einem besonders lebhaften Traum Notizen. Als er am nächsten Morgen den Zettel las, stand da: Boy meets girl.
So ähnlich muss auch das Drehbuch zu „Press Play and Love again“ entstanden sein.

Laura verliebt sich in Harrison. Harrison macht Laura ein Mixtape. Harrison stirbt (sorry, SPOILER). Laura hört sich ein paar Jahre später die Musikkassette an und wird wie durch Zauberhand in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Zukunfts-Laura versucht Vergangenheits-Harrison zu retten.

Multiversum ist gerade das neue Schwarz. Warum nicht eine banale Lovestory mit Zeitreise und verschiedenen Schicksalsvarianten kreuzen? Kann man machen, sollte nur abgedrehter umgesetzt werden. „Everything Everywhere All at Once“ und „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ zeigen gerade, wie es richtig geht. Greg Björkmans Film ist seichte Konfektionsware, erinnert in seinen besten Momenten an eine laue Black-Mirror-Episode. Zu vorhersehbar spult sich die Geschichte ab, die beiden Hauptdarsteller Clara Rugaard und Lewis Pullman sind blass und langweilig. Dass der Film von der ersten bis zur letzten Minute mit klimpriger Musik zugekleistert ist, macht das Ganze auch nicht besser. Einzig die Location entschädigt: Die hawaiianische Insel Oahu sieht gut aus, da könnte man auch mal hin.

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Originaltitel „Press Play“
USA 2022
85 min
Regie Greg Björkman

alle Bilder © splendid film

DIE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT – LEICHT GEKÜRZT

Kinostart 16. Juni 2022

1977 schickt die NASA die Raumsonde Voyager auf ihre unendliche Reise in den Weltraum. An Bord eine goldene Bildplatte, auf der Dr. Gerhard Friedle (Christoph Maria Herbst) die wichtigsten Stationen der Menschheitsgeschichte erklärt.

Da ist er – der schlechteste Film des Jahres!
Regisseur und Drehbuchautor Erik Haffner versucht sich in Monty Python-Humor und scheitert dabei kläglich oder grandios, ganz wie man es nimmt. Beeindruckend, wie er mit einem Best of deutsche Comedy-Cast (Bastian Pastewka, Carolin Kebekus, Axel Prahl, Ulrich Tukur, Kostja Ullmann, Max Giermann, Tom Schilling u.v.m.) einen so unlustigen Murks fabrizieren konnte. 

„Die Geschichte der Menschheit“ reiht einen Kalauer an den nächsten und verweigert sich dabei jeglichem komödiantischen Timing. Den halben Stern gibt es für eine im Vergleich halbwegs funktionierende Musicalnummer mit Bela B. als Joseph-Ignace Guillotine, dem Erfinder der gleichnamigen Enthauptungsmaschine und die komplett fehl am Platz wirkende (weil in ihrer Loriothaftigkeit lustige) Szene mit Tom Schilling als Graf von Stauffenberg. Der Rest ist unterster Provinztheater-Schrott.

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Deutschland 2022
96 min
Regie Erik Haffner

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

LIGHTYEAR

Kinostart 16. Juni 2022

Dass wir in düsteren Zeiten leben, zeigt folgende Meldung: In Saudi-Arabien wird „Lightyear“ verboten, weil er einen Kuss zwischen zwei Frauen zeigt. Herr im Himmel!

Jetzt wird’s kompliziert: „Lightyear“ ist weder Prequel oder Sequel, sondern ein Film im Film. In „Toy Story“ besitzt der Junge Andy ein Spielzeug namens Buzz Lightyear. Diese Actionfigur basiert auf dem Kinofilm „Lightyear“, der in der fiktiven Toy-Story-Welt ein Kassenschlager war. Franchise auf Metaebene sozusagen.

Man muss das alles nicht verstehen und auch die Pixar-Trilogie muss man nicht kennen, um an „Lightyear“ großen Spaß zu haben. Für Nerds gibt es unzählige Zitate und Querverweise auf beinahe alle Science-Fiction-Klassiker der Filmgeschichte, von Alien über Kampfstern Galactica, bis zu 2001, Star Wars und Trek. Doch auch ohne Hintergrundwissen bietet die Geschichte vom zeitreisenden Space Ranger und seiner Trümmertruppe den Zuschauern jede Menge Spannung, Herz und Humor.
Kein neuer Pixar-Klassiker, aber sehr gut gemachte Unterhaltung. Diese Woche der mit Abstand empfehlenswerteste Filmstart.

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Originaltitel „Lightyear“
USA 2022
105 min
Regie Angus MacLane

alle Bilder © Walt Disney Motion Pictures Germany

A E I O U – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE

Kinostart 16. Juni 2022

Age is just a number: Die 60-jährige Schauspielerin Anna und ihr 17-jähriger Schüler Adrian verlieben sich ineinander. 

Niemand kann rational beweisen, dass ein bestimmtes Geschmacksempfinden das richtige ist: Dem einen gefällt Helene Fischer, der andere mag Toast Hawaii. Auf die Qualität des deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrags „A E I O U“ kann man sich hingegen problemlos einigen: Der ist einfach schlecht, oder?

Abgesehen von einem wirren Drehbuch, das nur eine halbe Handvoll guter Momente hat, war wohl selten ein talentfreierer Jungmime als Milan Herms in einer Hauptrolle zu sehen. Niedliches Aussehen allein reicht eben nicht. Wenigstens befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch Udo Kier war immer schon mehr „Typ“ als begnadeter Schauspieler. Nö, das kann nicht mal Sophie Rois retten. Nach der Premiere gabs trotzdem tosenden Applaus. Vielleicht kann man sich über Geschmack ja doch streiten?

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Deutschland / Frankreich 2022
104 min
Regie Nicolette Krebitz

alle Bilder © Port au Prince Pictures

ZWISCHEN UNS

Kinostart 16. Juni 2022

Mundwinkel hoch heißt Freude.
Mundwinkel runter heißt Trauer.
Eva und ihr Sohn Felix üben das vor dem Spiegel.
Ist ja nicht so schwer normalerweise. Für den autistischen Jungen hingegen schon, denn Emotionen zu lesen ist für ihn ein Ratespiel.

In Max Feys Drama „Zwischen uns“ geht es um einen 13-jährigen Jungen mit Asperger-Syndrom. Dessen Mutter Eva versucht alles Menschenmögliche, ihren Sohn zu integrieren, doch immer wieder kommt es zu Problemen in der Schule. Nur beim Nachbarn, dem Fischhändler Pelle, blüht Felix auf.

Wenn es um das sehr begrenzte Genre „gestörte Terrorkinder“ geht, hat „Systemsprenger“ die Latte vor drei Jahren sehr hoch gehängt. Nicht zu Unrecht durfte die geniale Hauptdarstellerin Helena Zengel anschließend sogar mit Tom Hanks drehen.

Neben einer wunderbaren Liv Lisa Fries, die hier endlich mal ihr 20er-Jahre Berlingören-Image ablegen darf und dem grundsympathischen Thure Linhardt spielt Jona Eisenblätter die Hauptrolle. Vielleicht fehlt Regisseur Fey bei seinem Debütfilm noch die nötige Erfahrung, Kinder richtig zu inszenieren. Vielleicht gibt es aber auch wenige Jungschauspieler, die eine so schwierige Rolle meistern können. Richtig glaubwürdig ist die Darstellung des autistischen Kindes zwischen schmollendem Starren und Schreianfällen jedenfalls nicht. So bleibt „Zwischen uns“ nur dank seiner zurückhaltend spröden Inszenierung und der erwachsenen Darsteller sehenswert.

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Deutschland 2022
86 min
Regie Max Fey

alle Bilder © Wild Bunch Germany

MIT HERZ UND HUND

Kinostart 09. Juni 2022

Es ist mehr als nur eine urbane Legende, dass so manche Zweibeiner-Liebe beim Gassigehen ihren schnuppernden Anfang nahm. Selbst im Zeitalter von Tinder und Parship werden immer noch – alte Hundeschule – schwanzwedelnd die besten Kontakte geknüpft. Wie bei Dave und Fern, zwei Londoner Ü60-Rentnern, deren Romanze ab dem 9. Juni in dreiundzwanzig Spaziergängen ihren Lauf mit Hindernissen nimmt. „23 Walks“ – Auf Deutsch wie üblich verniedlicht „Mit Herz und Hund“.

Der naturliebende, freimütige Pensionär Dave mit seiner ebenso unangeleinten Schäferhündin erregt zunächst eher den Unmut der resoluten Fern und ihres Yorkshire-Terriers. Bei zwangsläufigen Wiederbegegnungen in den örtlichen Auslaufgebieten bemerkt die Scheidungsgeschädigte jedoch bald, dass der Ex-Krankenpfleger über viel Herz und andere Qualitäten verfügt. Anders als die gewohnt treue Zuneigung des tierischen Ersatzpartners verursacht menschliches Begehren jenseits der Lebensmitte ein unverhofftes Gefühlschaos von mopsfidel bis hundeelend.

Bevor es zum finalen Walk kommt, durchlebt der Zuschauer mit Herrchen und Frauchen, ihrem menschlichen Anhang und den beiden Wuffkes eine universelle Liebesgeschichte, die überall in der ersten Welt spielen könnte. Von Regisseur Paul Morrison launig-liebenswert inszeniert und dank der harmonierenden Performance von Alison Steadman und Dave Johns eine empfehlenswerte Coming-of-Best-Age Tragikomödie, die Lust macht, den inneren Schweinehund zu überwinden.

Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „23 Walks“
Großbritannien 2020
97 min
Regie Paul Morrison

alle Bilder © Weltkino Filmverleih

JURASSIC WORLD: EIN NEUES ZEITALTER

Kinostart 08. Juni 2022

„Die Dinosaurier werden immer trauriger
Denn die Saurier dürfen nicht an Bord“
In Lonzos abscheulichem Lied von 1980 durften sie nicht auf die Arche Noah und mussten deshalb jämmerlich ertrinken. Nun haben die Dinos tatsächlich Grund zur Trauer, denn mit dem überfrachteten Finale der Jurassic-World-Trilogie schlägt zumindest im Kino ihr endgültig letztes Stündlein.

„Jurassic Park war das Wichtigste, was der Paläontologie in den letzten Jahrzehnten widerfahren ist, denn dieser Film erweckte die Dinosaurier für eine neue Generation wieder zum Leben“, sagt Stephen Brusatte, Professor an der University of Edinburgh. 
Folgerichtig beginnt der mittlerweile sechste Teil der Saurierserie fast so wissenschaftlich wie eine Dokumentation auf dem National Geographic Channel: Eine Reporterin fasst für Neueinsteiger noch einmal zusammen, was bisher geschah. Eine von vielen uneleganten Ideen, die das holprige Drehbuch parat hält.

Seit die fossilen Tierchen im letzten Teil versehentlich in Freiheit gelangten, leben sie nun über den ganzen Planeten verteilt. „Ein gigantisches Ringen um die Herrschaft zwischen Mensch und Dinosaurier beginnt.“, wie es im bedrohlichen Marketingjargon heißt. Ein an Steve Jobs angelehnter Bösewicht (eine weitere lazy Scriptidee) plant den ökologischen Supergau. Es drohen also nicht nur T-Rex und Co sondern auch kapitalistischer Größenwahn. Für die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung braucht es deshalb die vereinten Kräfte der Generationen: Chris Pratt und Bryce Dallas Howard kämpfen an der Seite der Originalbesetzung Laura Dern, Sam Neill und Jeff Goldblum.

Ob den Spitzenplatz in der Nahrungskette am Ende der Mensch oder der Saurier gewinnt, soll hier nicht verraten werden. Der Weg dahin ist eine feist produzierte, doch zu oft gesehene Blockbusterreise. Eine sechste Fahrt durch die immer gleiche Geisterbahn verliert eben irgendwann ihren Schrecken. Die Effekte sind top, nur die Geschichte scheint endgültig auserzählt, „Ein neues Zeitalter“ ist eine Zitatensammlung anderer Abenteuer-Action-Filme – gab’s schon, kennt man. Höchste Zeit, den Dinos mal wieder ein paar Millionen Jahre Pause zu gönnen.

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Originaltitel „Jurassic World: Dominion“
USA 2022
147 min
Regie Colin Trevorrow

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

FRANCE

Kinostart 09. Juni 2022

„France“ ist peinlich. Es fängt schon furchtbar an: In einer Montage aus inszeniertem Material und einer echten Pressekonferenz fragt die Starjournalistin France de Meurs den französischen Präsidenten, ob er achtlos oder hilflos sei. Während Macron geduldig antwortet, blödeln France und ihre Produzentin mit obszönen Beckenbewegungen und Züngeleien derart hemmungslos, dass man sich kurz nach der Seriosität von „Dumm und Dümmer“ sehnt.

„France“ ist nicht lustig. Ein ganz banaler Verkehrsunfall: France fährt einen jungen Mann über den Haufen, anschließend entdeckt sie, dass ihre Tränendrüsen funktionieren. Fortan weint sie in fast jeder Szene. Gegen ihre aufgewühlten Emotionen hilft nur eine Kur im Sanatorium. Dort, im Liegestuhl auf die Berge blickend, folgt das nächste Highlight der „genialen Mediensatire“: Eine völlig überdrehte Juliane Köhler schnattert sich über die Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin in Rage, nur deren Namen will ihr partout nicht einfallen. Es ist – SPOILER – Angela Merkel.

„France“ hat auch ein paar gelungene Szenen. Die zeigen France als überambitionierte Kriegsreporterin, die ihr Kamerateam und sich für die perfekte Einstellung in Lebensgefahr bringt. Wag the dog – Wenn die Realität zu harmlos aussieht, schubst die Journalistin schon mal aufständische Einheimische durchs Bild, bis die Dramatik passt. Paul Ronzheimer gefällt das.

„France“ kann man sich sparen. Zum Thema „Journalismus im Film“ gibt es unzählige Werke, aber mit Sicherheit war keines so schlecht gemacht und unrealistisch wie dieses. Satirisch ist daran gar nichts, höchstens unfreiwillig komisch. Die pseudomoralische Metamorphose von der kalten Journalistin zum empathischen Menschenkind ist komplett unglaubwürdig. Nicht mal eine bessere Schauspielerin hätte das retten können. Schon gar nicht Léa Seydoux, die sich hier auf einen einzigen Gesichtsausdruck beschränkt – wahlweise mit und ohne Tränen. Ca vaut pas la peine!

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Originaltitel „France“
Frankreich / Deutschland / Belgien / Italien 2021
133 min
Regie Bruno Dumont

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution

RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

Kinostart 09. Juni 2022

Pilateslehrerin Kathrin braucht eine neue Niere. Ihr egozentrischer Mann Arnold käme als Spender infrage, quält sich aber keine eindeutige Zusage ab. Ganz anders der gemeinsame Freund Götz. Aus dem dicken Bauch heraus erklärt er sich bereit, Kathrin eine seiner Nieren abzutreten. Diese Großzügigkeit stößt seiner Frau Diana sauer auf.

Sollte man der Ehefrau eine Niere spenden, obwohl das ein großes gesundheitliches Risiko bedeuten könnte? Wäre es nicht besser, auf einen verstorbenen Spender zu warten oder gar eine Niere im Darknet zu kaufen? Highlight des Films ist Samuel Finzi als handlungsgehemmter Gatte: Er würde, hätte, wollte – und macht dann doch nicht.

Michael Kreihsls Komödie basiert auf einem Theaterstück und das merkt man ihm deutlich an. Auf der Bühne auf vier Personen beschränkt, wurden fürs Kino noch unnötige Nebenrollen hinzugefügt, die vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenken. Die mäßig lustige Komödie ist nach gut einer Stunde auserzählt,  wird aber durch eine wenig glaubwürdige Wendung noch weiter in die Länge gestreckt. Die Schauspieler geben ihr bestes, doch gegen die biedere TV-Inszenierung kommen sie nur schwer an. Boulevardkomödie, die aus ihrem Thema zu wenig macht.

INFOS ZUM FILM

Österreich 2021
93 min
Regie Michael Kreihsl

alle Bilder © Filmwelt Verleihagentur GmbH

EIN GROSSES VERSPRECHEN

Kinostart 09. Juni 2022

Juditha und Erik planen ihren erfüllten gemeinsamen Lebensabend, denn mit der Pensionierung des engagierten Universitätsprofessors soll endlich Zeit für die schönen Dinge sein. Tanzen im Garten, Vögel füttern und mit dem Segelboot fahren – so was halt. Doch Juditha leidet unter MS, und gerade jetzt macht die tückische Nervenkrankheit einen heftigen Schub. Ungut auch, dass sie die sturste Frau auf Gottes Erden ist. Hilfe, egal von wem, lehnt sie rigoros ab. Das macht das Zusammenleben nicht gerade einfach. Erik bedrückt die häusliche Enge zusehends, und dass die beiden sich immer noch lieben, macht es nur noch schlimmer. Denn wer will seine Liebe schon leiden sehen?

Dazu muss man in Stimmung sein: Wendla Nölles Drama macht wenig Hoffnung, von schlimm wird es nur noch schlimmer. Stellt sich zwischen den Depressionsschüben, die man als Zuschauer erleidet, die Frage: Warum soll man sich das anschauen? Nichts gegen schicksalshafte Geschichten über andere Menschen, aber der immer bockiger werdenden Juditha und ihrem hilflos leidenden Erik beim gemeinsamen Untergang zuzuschauen ist quälend.

Sehenswert machen den offensichtlich für das Fernsehen gedrehte Film – die klassische 90-Minuten Laufzeit und der NDR als Produzent lassen keinen Zweifel, dass „Ein großes Versprechen“ schon bald am FilmMittwoch um 20.15 Uhr im Ersten laufen wird – die fabelhaften Schauspieler. Der bei uns vor allem als Kurt Wallander bekannte Rolf Lassgård überzeugt als sensibler, aber gänzlich überforderter Ehemann und die ohnehin immer famose Dagmar Manzel rührt und nervt gleichermaßen als an ihrer Krankheit zugrunde gehende Juditha.

Harte Kost, aber der Film hütet sich vor Rührseligkeiten und bietet eine ehrliche, beeindruckend gespielte Auseinandersetzung mit der Angst vor Krankheit und Vereinsamung im Alter, getragen von zwei hervorragenden Schauspielern.

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Deutschland 2021
90 min
Regie Wendla Nölle

alle Bilder © Filmperlen

ERWARTUNG – DER MARCO EFFEKT

Kinostart 02. Juni 2022

„Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist ein ganz offensichtlich fürs Fernsehen (Co-Produzent ist das ZDF) gedrehter Thriller, der nun bei uns in den Kinos landet. Ein bisschen mehr cineastische Größe und etwas weniger biedere TV-Stangenware hätte es schon sein dürfen. Jede Einstellung atmet hier Fernsehen, trotz des oscarprämierten Regisseurs. Ein typischer Sonntag-Abend-Krimi, nur dass es hier nicht nach 90 Minuten vorbei ist – Die dünne Story voller Zufälle dehnt sich auf über zwei Stunden.

Kurt Wallander heißt jetzt Carl Mørck und kommt aus Dänemark. Wie sein schwedisches Vorbild wandelt auch dieser Kommissar stets am Rande einer Depression. Eines trüben Morgens landet ein seit Jahren abgeschlossener Fall auf seinem Schreibtisch. Der Reisepass eines seit vier Jahren verschwundenen Familienvaters wurde im Besitz des 14-jährigen Roma-Jungens Marco gefunden, als dieser illegal über die dänische Grenze wollte. Kommissar Mørck und sein Team kommen einer finsteren Verschwörung auf die Spur, die bis ganz nach oben reicht – und deren unfreiwillige Schlüsselfigur der junge Marco ist. 

Harry, fahr den Wagen vor. „Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist konventionelle, einigermaßen solide gemachte Unterhaltung, ohne Tränensäcke und ohne große Überraschungen. Den Todesstoß besorgt wie immer die deutsche Synchronisation. Für Dutzendware wie diese lohnt nicht der Weg ins Kino, so was läuft auch ständig in den Öffentlich Rechtlichen. Schrott-Krimiautor Jussi Adler-Olsen liefert die Vorlage, dies ist bereits der fünfte Film, der auf seiner Romanserie basiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Marco effekten“
Dänemark / Deutschland / Tschechien 2021
125 min
Regie Martin Zandvliet

alle Bilder © Koch Films