DIE UNSCHÄRFERELATION DER LIEBE

DIE UNSCHÄRFERELATION DER LIEBE

Ab 29. Juni 2023 im Kino

Ein Film kann auf der Klaviatur der Gefühle vieles spielen: Angst, Freude, Erstaunen, Neugierde. DIE UNSCHÄRFERELATION DER LIEBE klimpert dagegen nur einen penetranten Ton und löst damit schwerste Genervtheit aus.

Ach Berlin, dicke Perle an der Spree, watt biste schön. Der Glockenturm im Tiergarten spielt nachts Erik Satie, Männer küssen sich auf der Friedrichstraße, glückliche Paare rollern zu zweit auf E-Scootern durchs Bild. Und der Britzer Garten ist ein menschenleeres Idyll an einem goldenen Herbsttag. Könnte alles so schön sein – wenn da nicht Greta wäre.

Es nervt

Die aufgedrehte Mittfünfzigerin gibt an einer Bushaltestelle dem Fleischermeister Alexander „versehentlich“ einen Kuss. Sie habe ihn mit ihrem verstorbenen Mann verwechselt. Nach dieser verwirrenden Erklärung heftet sie sich an die Fersen des bedauernswerten Singles und kaut ihm ein Ohr ab. Folgt ihm in die U-Bahn. Läuft ihm auf der Straße hinterher. Besucht ihn in seiner Metzgerei. Und quasselt dabei pausenlos Banalitäten, stellt übergriffige Fragen ohne Punkt und Komma. Wäre das verbale Dauerfeuer wenigstens charmant oder lustig. Aber es nervt. Sehr. Nicht nur Alexander, der einfach seine Ruhe haben will – sondern in erster Linie den Zuschauer.

Besonders bedauerlich ist die Verschwendung der guten Schauspieler. Vor allem um Burghart Klaußner ist es schade. Aber auch Caroline Peters hat man schon in anderen Rollen weitaus weniger nervtötend gesehen. Es muss also an der Regie liegen. Lars Kraume und sein Kameramann Jens Harant schaffen es nicht, die Vorlage von Simon Stephens inspiriert von der Theaterbühne zu lösen. Die Schauspieler stehen oft verloren nebeneinander und beten ihre Dialoge – oder vielmehr Monologe – herunter, als hätten sie eine Leseprobe am Theater. Der Funke springt nicht über und man wünscht sich von der ersten bis zur letzten Einstellung, Greta möge einfach die Klappe halten und den armen Alexander in Ruhe lassen. Nein, das anzusehen macht keinen Spaß und unterhaltsam ist das auch nicht. Und nein, da kommt nix mehr, außer: Schade um die schönen Fördergelder – nervigster deutscher Film seit langem.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
89 min
Regie Lars Kraume

alle Bilder © X Verleih

ASTEROID CITY

ASTEROID CITY

Ab 15. Juni 2023 im Kino

Nichts Neues aus der absurden Welt des Wes Anderson. ASTEROID CITY ist eine schräge-schlaue Komödie in Technicolor mit Starbesetzung.

Wer Wes Anderson bestellt, der bekommt Wes Anderson. Der Regisseur, der seit vielen Jahren gefühlt den immer gleichen Film in wechselnden Settings dreht, liefert mit ASTEROID CITY ein gewohnt liebenswert-spinnertes, überartifiziell inszeniertes Theaterstück. Die Besetzung liest sich wie das who is who von Hollywood. Es wäre wahrscheinlich einfacher, die Stars aufzuzählen, die NICHT in ASTEROID CITY mitspielen. Achtung, jetzt kommt eine lange Liste:

Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Steve Carell, Matt Dillon, Willem Dafoe, Margot Robbie, Jeff Goldblum und und und.

Dauert das noch lange?

Als Rahmenhandlung dient eine von Bryan Cranston moderierte Fernsehsendung aus den Fünfzigerjahren, die in Asteroid City, irgendwo in der amerikanischen Wüste spielt. Dort landet ein Außerirdischer, klaut den namensgebenden Mini-Asteroiden und haut mit seiner fliegenden Untertasse in den Nachthimmel ab. Die Kleinststadt wird darauf vom Militär zur Sperrzone erklärt, und so werden eine Reihe eigenwilliger Charaktere für ein paar Tage zur Zwangsgemeinschaft verdonnert. Keine Angst, Science-Fiction ist ASTEROID CITY nicht.

Wie so oft hat Anderson auch seinen neuen Film in Kapitel inklusive Zwischentafeln unterteilt. Die Struktur bewirkt, dass man sich spätestens nach dem zweiten Akt unweigerlich fragt: Dauert das noch lange? Denn die detailverliebten Sets und furztrocken ironisch agierenden Figuren kennt man bis zum Überdruss aus anderen Werken des Regisseurs. Jammern auf hohem Niveau: Die Schauspieler sind natürlich alle in Topform, die Dialoge schnittig, die Kulissen schön bunt und es gibt immer wieder niedliche Szenen, die die Fans begeistern werden. Es ist halt wie immer: alles hübsch, alles clever, alles Anderson – und ein kleines bisschen ermüdend.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Asteroid City“
USA 2023
105 min
Regie Wes Anderson

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

DIVERTIMENTO – EIN ORCHESTER FÜR ALLE

DIVERTIMENTO – EIN ORCHESTER FÜR ALLE

Ab 15. Juni 2023 im Kino

Eine junge Frau mit Migrationshintergrund will gegen alle Widrigkeiten die Dirigentin eines Symphonie-Orchesters werden. Der bessere TÁR kommt am Donnerstag in die Kinos.

Wer kennt das nicht? Der Abend war lang, der Schlaf köstlich und dann klingelt der Wecker zu früher Stund um kurz nach acht. Das Plumeau wiegt noch herrlich schwer und der Gedanke, sich ins Kino zu schleppen, scheint ungut. Zumal es im angekündigten Film um klassische Musik und eine Dirigentin geht. Zu frisch ist die quälende Erinnerung an TÁR, das cineastische Äquivalent zu einem sonnigen Tag, an dem die Freunde draußen spielen und man selbst in der stickigen Wohnung einer todeslangweiligen Erwachsenenunterhaltung zuhören muss.

Ein vom ersten bis zum letzten Takt bewegender Film

Damit wäre der größte Unterschied zwischen TÁR und DIVERTIMENTO – EIN ORCHESTER FÜR ALLE zusammengefasst. Zwar handeln beide Filme von der Ausnahmeerscheinung „Dirigentinnen“ – weltweit sind es nur 6 % Frauen, die ein Sinfonieorchester leiten – doch das wars mit den Gemeinsamkeiten. Während Cate Blanchetts schauspielerische Tour de Force den Zuschauer in monochromer Erstarrung zurücklässt, ist Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar ein vom ersten bis zum letzten Takt bewegender Film gelungen.

Sie ist 17 und hat einen Traum: Zahia Ziouani will Dirigentin des Schulorchesters an einem Pariser Konservatorium werden. Doch das Mädchen aus der Vorstadt wird von den meisten ihrer elitären Mitschülerinnen und Mitschüler nicht ernst genommen. Falsche Herkunft, falsches Geschlecht, zu jung! “Dirigent sein ist kein Beruf für eine Frau“ bescheinigt ihr auch Sergiu Celibidache, bevor der berühmte Orchesterleiter sie doch unter seine Fittiche nimmt.

DIVERTIMENTO ist inspiriert von der wahren Geschichte Zahia Ziouanis, eine der wenigen Dirigentinnen weltweit. Die Besetzung (wunderbar: Oulaya Amamra und Lina El Arabi als musikalische Schwestern und Niels Arestrup als beinharter Mentor) überzeugt – kein Wunder, besteht sie doch größtenteils aus echten Musikern. Kleine Kritik: Die vielen unterschiedlichen Vignetten aus dem Alltag der jungen Zahia und ihrer Familie fügen sich nicht ganz rund zu einer flüssig erzählten Geschichte zusammen. Da hätte das ein oder andere weggelassen oder ein wenig ausführlicher erzählt werden können. Doch durch seine positive Botschaft und seine Herzenswärme schafft es DIVERTIMENTO, selbst klassischer Musik nicht sonderlich zugeneigten Zuschauern abwechselnd ein Tränchen ins Auge und ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ein unkitschiges Feel-Good-Movie.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Divertimento“
Frankreich 2022
114 min
Regie Marie-Castille Mention-Schaar

alle Bilder © Prokino

THE ADULTS

THE ADULTS

Ab 08. Juni 2023 im Kino

Nicht immer stinken Besuch und Fisch nach drei Tagen, manchmal kommt ein Familientreffen dann erst richtig in Schwung. Wie in THE ADULTS, einem Erwachsenenfilm frei ab 12.

„Alle glücklichen Familien ähneln einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, wissen wir bereits seit Anna Karenina. Irgendwo dazwischen dürften die drei Geschwister anzusiedeln sein, deren muntere Mittelmäßigkeit die Dramedy THE ADULTS thematisiert.

Ein Film übers Erwachsen-geworden-sein

Als Pokerspieler Eric (Michael Cera) nach längerer Abwesenheit auf Stippvisite in seine Heimatstadt zurückkehrt, sind die Reaktionen gemischt. Seine mittlerweile geschiedene Schwester Rachel (Hannah Gross) wohnt wieder im Elternhaus und spart nicht mit Vorwürfen. Maggie (Sophia Lillis), die Jüngste, die sich durch Uni und Nebenjobs mäandert, charmiert und schmollt im Wechsel. Selbst die alte Zockerrunde lässt sich nicht ohne weiteres wieder zusammentrommeln.

Dass aus Kindern Leute werden, ist so banal wie anstrengend und selten so beiläufig und angenehm unaufgeregt im Kino dargestellt worden wie in THE ADULTS. Ein Film übers Erwachsen-geworden-sein, über Geschwisterliebe und verlorene Söhne.

Unter der Regie von Dustin Guy Defa entstand ein Psychogramm, das vor allem von seinen drei Hauptdarstellern getragen wird. Einzig die nachgeahmten TV-Dialoge, Teenietänzchen und Insiderspäßchen sind überdosiert und nervtötend. Der fremde Familienknatsch – insbesondere für Einzelkinder – durchaus interessantes Anschauungsmaterial.

Text: Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Adults“
USA 2023
91 min
Regie Dustin Guy Defa

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

FUCKING BORNHOLM

FUCKING BORNHOLM

Ab 01. Juni 2023 im Kino

„Spürt den feinen Sand unter den Füssen, während Ihr die frische Meeresluft einatmet und die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut merkt – das ist Sommer auf Bornholm“ wirbt die besonders bei polnischen Urlaubern beliebte Ostseeinsel auf ihrer Homepage. Maja, Nina, Dawid und Hubert sehen das anders. Sie sind zum Streiten nach Bornholm gekommen.

Jede Beziehung hat ein Verfallsdatum. So die schlecht gelaunte Maja (großartig: Agnieszka Grochowska) zu ihrem Mann. Während die einen noch frisch verliebt sind, schmoren die anderen schon lange im Krisenmodus. Keine guten Voraussetzungen für einen Pärchenurlaub. Und dann auch noch in seiner maximal deprimierendsten Form: Camping. Auf Bornholm. Fucking indeed.

Das erinnert stark an Reuben Östlund

Die vier versuchen trotz Gruppen-Midlife-Crisis erst mal das Beste aus ihrer Situation zu machen und mit den Kindern eine entspannte Zeit zu verbringen. Doch nach einem unschönen Zwischenfall mit dem jüngsten Sohn ist es mit der Harmonie schlagartig vorbei. Zähneknirschend unterdrückte Konflikte brechen auf.

Die polnische Regisseurin Anna Kazejak wirft einen sehr weiblichen Blick auf die campenden Streithähne und insbesondere auf das Versagen der Männer. Form, Tonfall, Musik – das erinnert ansonsten stark an Reuben Östlund, ohne dessen schneidende Schärfe zu entwickeln. Kazejak entwickelt aus gut beobachteten Alltagssituationen eine stimmungsvolle, aber nie wirklich mitreißende Gesellschaftssatire.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Fucking Bornholm“
Polen 2022
96 min
Regie Anna Kazejak

alle Bilder © Arsenalfilm

SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE

SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE

Ab 01. Juni 2023 im Kino

Multiversum und kein Ende. Nach diversen Marvel-Filmen spinnt nun die langerwartete Fortsetzung des Überraschungserfolgs A NEW UNIVERS die komplizierten Parallelwelten weiter. Ist der zweite Teil so gut wie der erste?

Selbst Menschen, die sich einen feuchten Kehricht um Superhelden- oder Zeichentrickfilme oder gar beides scheren, müssten am Vorgängerfilm SPIDER-MAN: A NEW UNIVERS ihren Spaß gehabt haben. Das liegt zum einen an der packend inszenierten Story, einem bahnbrechenden visuellen Stil und vor allem dem mitreißenden Soundtrack, mit dem die Geschichte vom freundlichen Spinnenjungen Miles Morales erzählt wird. Bei den Academy Awards 2019 gewann A NEW UNIVERS sogar den Oscar für den besten animierten Film. Die Latte liegt also hoch.

Das bisherige Superhelden-Highlight des Jahres

Die Zeitspanne zwischen Pressescreening und Kinostart wird immer kürzer. Zu kurz, um sich eine humorige Analyse aus den betäubten Fingern zu saugen. Zudem hat der Verleih um inhaltliches Stillschweigen gebeten. Die Sorge ist unbegründet, denn um zu spoilern, müsste man die Handlung wiedergeben, und um die mit all ihren Querverweisen und Eastereggs zu verstehen, müsste man mindestens zehn Semester Comicologie studiert haben.

Miles Morales muss sich diesmal mit noch mehr Spider-People herumplagen, das wird schon im Trailer verraten. Wie die (drei!) Regisseure 60 Jahre Spider-Man-Historie in den Film packen und dabei nie das große Ganze aus dem Blick verlieren, das ist schon meisterhaft. Zudem trägt ACROSS THE SPIDER-VERSE vielleicht als erster Film seinen Comic-Wurzeln zu 100 % Rechnung.

Kurz und knapp und spoilerfree: Mindestens so gut wie der Vorgänger. 140 Minuten vergehen wie ein Flug durch Hochhausschluchten. Und mittendrin ist‘s schon vorbei. Die Fortsetzung folgt im nächsten Jahr. SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE: Das bisherige Superhelden-Highlight des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Spider-Man: Across the Spider-Verse“

USA 2023

140 min

Regie Joaquim Dos Santos, Kemp Powers und Justin K. Thompson 

alle Bilder © Sony Pictures