BERLINALE 2024 – TAG DREI
Das Gerücht geht um, dass Andreas Dresens neuer Film ursprünglich in der Sektion Panorama versteckt werden sollte. Sein letzter Berlinale-Film RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH gewann 2022 immerhin zwei Bären. Der Regisseur drohte daraufhin, IN LIEBE, EURE HILDE vom Festival zurückzuziehen. Nun läuft er doch im Wettbewerb. Verdient oder unverdient?
Wettbewerb
IN LIEBE, EURE HILDE
Andreas Dresens IN LIEBE, EURE HILDE ist der erste deutsche Wettbewerbsfilm in diesem Jahr. Die bereits achte gemeinsame Arbeit des Regisseurs und der Drehbuchautorin Laila Stieler erzählt eine Liebesgeschichte inmitten der Kriegszeit 1942. Hilde (Liv Lisa Fries) und Hans (Johannes Hegemann) sind ein Paar. Die beiden beteiligen sich an den eher harmlosen Aktionen der Gruppe, die später als „Rote Kapelle“ bekannt wurde. Als Hilde im achten Monat schwanger ist, werden sie und ihr Mann verhaftet und zum Tode verurteilt.
IN LIEBE, EURE HILDE erzählt fast nüchtern und ohne Kitsch die wahre Geschichte der zwei jungen Kommunisten im Widerstand, die vor allem in der ehemaligen DDR zu Volkshelden stilisiert wurden. Dabei erfindet Dresen mit seinem Biopic das Rad nicht neu, findet aber eine interessante Struktur: Die Zeit im Gefängnis verknüpft er mit der rückwärts erzählten Geschichte der Beziehung von Hans und Hilde. Es beginnt mit dem Ende durch die Verhaftung und schließt mit der ersten Begegnung auf einem Sommerfest. Vielleicht ein bisschen konventionell gemacht, aber um Klassen besser als vieles, was sich sonst noch im Wettbewerb tummelt – siehe unten.
INFOS ZUM FILM
Englischer Titel „From Hilde, with Love“
Deutschland 2024
124 min
Regie Andreas Dresen
Bild © Frederic Batier / Pandora Film
Wettbewerb
ANOTHER END
Ein weiterer Film aus der Reihe „wäre eine gute 45-Minuten-Black-Mirror-Episode“ geworden. Die Idee ist nicht neu, aber interessant: In naher Zukunft lassen sich die Erinnerungen und Charaktereigenschaften von Verstorbenen in sogenannten „Hosts“ implantieren. Die lassen sich ihre Dienste bezahlen, stehen dafür eine begrenzte Zeit lang als Wiedergänger zur Verfügung, um so den Angehörigen ein langsames Abschiednehmen zu ermöglichen.
Sal (Gael García Bernal) hat diese Dienste bitter nötig, denn nach dem Verlust seiner Frau Zoe steckt er in seinen Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben fest. Dank der neuen Technologie findet er Zoe auf diese Weise im Körper einer anderen Frau wieder.
Mutter oder Hure – dieses Frauenbild hält sich auch sieben Jahre nach #MeToo noch. Und da dies eine italienische Produktion ist, muss natürlich was mit Bunga Bunga rein. Aus Gründen, die wahrscheinlich weder Regie noch Drehbuch verstehen, streift Gael García Bernal im Laufe der Geschichte mit traurigem Blick durch Sexclubs, vorbei an halbnackten Frauen (und Männern) – Sinn macht das nicht. Aber immer noch besser als die drölfte langatmige Erklärung, weshalb, wieso und warum die Zeit mit den aus dem Totenreich zurückgekehrten Doppelgängern begrenzt ist. Man hat es schon nach dem zweiten Mal kapiert.
INFOS ZUM FILM
Italien 2024
125 min
Regie Piero Messina
Bild © Indigo Film
Wettbewerb
HORS DU TEMPS
Im April 2020 verbringen der Filmregisseur Etienne und sein Bruder Paul, ein Musikjournalist, zusammen mit ihren neuen Partnerinnen Morgane und Carole den Lockdown im Haus ihrer Eltern. Bei dem unfreiwilligen Gemeinschaftsurlaub wird viel geredet und es passiert so gut wie nichts.
Ein Haus auf dem Land mit herrlichem Garten? Während der Coronahochzeit konnte es einen schlimmer treffen. Die Beziehungs- und Alltagsproblemchen der Bohème lassen dementsprechend kalt. Zwei, drei nette Szenen – das war’s. Olivier Assayas‘ Nabelschau ist ein geschwätziges Stück Kino aus Frankreich, bei dem man sich wieder mal fragt, was das im Wettbewerb verloren hat. Carlo Chatrians Kino at it’s best. Das Ganze wirkt, als hätte es der späte Woody Allen an einem schlechten Tag inszeniert. Ausgesprochen langweilig.
INFOS ZUM FILM
Englischer Titel „Suspended Time“
Frankreich 2024
105 min
Regie Olivier Assayas
Bild © Carole Bethuel
Panorama
THE OUTRUN
Nora Fingscheidt bleibt mit ihrem neuen Film weiter am Thema „Frauen unter Druck“. Schrie und tobte sich in SYSTEMSPRENGER noch die neunjährige Benni durch eine ungerechte Welt, steht diesmal eine junge Frau im Mittelpunkt der Geschichte. Rona ist schwere Alkoholikerin und könnte glatt als erwachsene Version von Benni durchgehen. Wie so oft bei Trinkern ist sie nüchtern ein liebenswertes Wesen, verliert aber besoffen jede Kontrolle.
Die Verfilmung von Amy Liptrots Memoiren macht es den Zuschauern nicht leicht, die Handlung springt wild in den Zeiten zwischen Kindheit, Sucht und Entzug. Saoirse Ronan stürzt sich kopfüber in die dankbare Rolle, überschreitet dabei nie die Grenze des Überspielens. Nora Fingscheidt ist fünf Jahre nach SYSTEMSPRENGER wieder ein starker Film gelungen, der – hätte er seine Premiere nicht vor kurzem beim Sundance Film Festival gefeiert – besser im Wettbewerb aufgehoben wäre.
INFOS ZUM FILM
Originaltitel „The Outrun“
Vereinigtes Königreich / Deutschland 2024
117 min
Regie Nora Fingscheidt
Bild © The Outrun
Panorama
SEX
Klingt wie der Anfang von einem schlechten Witz: Zwei Schornsteinfeger unterhalten sich über Sex. Wenn es in einem zweistündigen Film nur zehn unterhaltsame Minuten gibt, dann kann man sicher sein, dass es sich um einen Berlinale-Beitrag a.d. Kosslick handelt. Nichts gegen Gespräche über Geschlechterrollen und das Infragestellen von gelernter Sexualität, doch Regisseur und Drehbuchautor Haugerud regt mit seinem Film nicht zum Nachdenken an, sondern erzeugt vor allem eins: gepflegte Langeweile.
INFOS ZUM FILM
Originaltitel „Sex“
Norwegen 2024
125 min
Regie Dag Johan Haugerud
Bild © Motlys
Panorama
JANET PLANET
Und noch ein Film aus der Sektion „Muss man nicht gesehen haben“. Der Anfang ist noch ganz lustig, weckt die Hoffnung, es ginge um ein böses kleines Mädchen, das seine Umwelt terrorisiert. Doch dann stellt sich heraus, dass die elfjährige Lucy nur gerne Lindor-Kugeln isst (wer tut das nicht?) und aus dem Stanniolpapier Hüte für ihre Puppen bastelt. Ach ja, und ihrer Mutter Janet und deren wechselnden Partner:innen macht sie hin und wieder das Leben schwer. Da nicht ganz klar wird, was der Sinn dahinter ist, soll das Presseheft erklären: „In ihrem Filmdebüt beobachtet die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Dramatikerin Annie Baker, wie ein Kind das Vergehen der Zeit erlebt, und zeigt den Prozess, mit dem eine Tochter sich von ihrer Mutter entliebt.“ Ach so.
INFOS ZUM FILM
USA / GB 2023
110 min
Regie Annie Baker
Bild © A24
Generation Kplus
LOS TONOS MAYORES
Die 14-jährige Ana trägt seit einem Unfall eine Metallplatte im Arm. Damit empfängt sie rätselhafte Morsesignale. Ihre Suche nach dem Absender ist genauso langatmig, wie die Auflösung langweilig. Welchen Jugendlichen soll das in rasenden TikTok-Zeiten hinter dem Handy hervorlocken? Schnarch.
INFOS ZUM FILM
Englischer Titel „The Major Tones “
Argentinien / Spanien 2023
101 min
Regie Ingrid Pokropek
Bild © Gong Cine / 36 Caballos