INFINITY POOL

Brandon Cronenbergs neuer Horrorfilm - Papa David wäre stolz

Ist ein Konditorensohn, der das Geschäft seines Vaters übernimmt und weiter dessen Rezepte verwendet, ein Kopist? Oder ist er ein Traditionalist? Und was ist Brandon Cronenberg, dessen neuer Film voller Anleihen an die Werke seines Vaters steckt? Sperma, Urin, Blut, Kotze, Muttermilch – das Best of Körperflüssigkeiten kennt man bereits aus David Cronenbergs Werken, inklusive destruktiver Veränderungen der Physis und surreal bunt gefilterter Traumsequenzen. Kopie als höchste Form der Anerkennung?

THE WHITE LOTUS, aber für Kranke

Strand, Sonne, diensteifriges Personal: James (Alexander Skarsgård) und Em (Cleopatra Coleman) genießen den perfekten Urlaub. Doch als die beiden mit dem befreundeten Paar Gabi (Mia Goth) und Alban (Jalil Lespert) das Areal des Luxusresorts verlassen, kommt es zu einem tragischen Unfall. Schnell eskaliert die Situation. Die Null-Toleranz-Politik, mit der die Insel gegen Kriminalität vorgeht, stellt James vor die Alternative: hingerichtet werden oder – sofern er bezahlt – seinem Doppelgänger beim Sterben zusehen.

Der Ferientrip in die Hölle ist zumindest gut besetzt. Auf Horror versteht sich Mia Goth spätestens seit X und PEARL. Zusammen mit Alexander Skarsgård trippt sie sich durch den irrwitzigen INFINITY POOL und macht dabei eine ausgezeichnete Figur. Leider geht dem rich-people-bashing gegen Ende in psychedelischem Ballaballa die Luft aus. Was anfangs noch schockt, wirkt auf Dauer nur noch ermüdend. Ein tieferer Sinn lässt sich ohnehin nicht ausmachen.

Empfehlenswert für alle, denen TRIANGLE OF SADNESS zu laff war. INFINITY POOL bedient sich aus demselben Genpool, verzichtet aber weitestgehend auf den beißenden Humor Ruben Östlunds zugunsten übelkeitserregendem Body-Horror. Und weil man es nicht besser zusammenfassen kann, hier ein Zitat aus der US-Presse: „Brandon Cronenberg’s THE WHITE LOTUS for sickos“

Originaltitel „Infinity Pool“
Kanada / Kroatien / Ungarn 2022
118 min
Regie Brandon Cronenberg 

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

HATCHING

Kinostart 28. Juli 2022

Eine Krähe fliegt ins Wohnzimmer. Wie mit Absicht fegt sie sämtliche Vasen vom Regal, schmeißt Lampen um und lässt zu guter Letzt sogar den Kristalllüster auf den Glastisch stürzen. Die Strafe folgt auf den Fuß: Mutter zerquetscht dem Federvieh den Kopf mit bloßen Händen. Der Kadaver wird fachgerecht in der Biotonne entsorgt. Doch am nächsten Morgen ist er verschwunden. Die 12-jährige Tochter Tinja findet den jämmerlich krächzenden Vogel im Wald. Daneben liegt ein verwaistes Ei im Nest, das das Mädchen mit nach Hause nimmt und zur Brut unter ihren Stoffbären legt. Nach ein paar Tagen ist das Ei auf Gymnastikballgröße angewachsen. Etwas Ungeheuerliches bricht sich durch die Schale.

Der Debütfilm der finnischen Regisseurin Hanna Bergholm ist ein schräges kleines Creature-Feature. Aus dem Ei schlüpft ein gruselig anzusehender Vogelmensch, eine monströse Schimäre, die die unterbewussten Gedanken des Mädchens mit brutaler Gewalt in die Tat umsetzt. Die Blutgier steigert sich: Zunächst muss der bellende Hund der Nachbarn dran glauben, anschließend steht Tinjas nerviger kleiner Bruder auf der Abschussliste.

Doch das wahre Monster in „Hatching“ ist Tinjas Mutter. Bitte recht freundlich – in ihrem Videoblog „Lovely Everyday Life“ spielt die blonde Perfektionistin ihren Followern eine heile Welt vor, die es in Wahrheit nicht gibt. Ihren Mann betrügt sie vor dessen Nase, für ihren Sohn empfindet sie keine Liebe und Tinja muss als gepeinigte Profiturnerin die unerfüllten Träume ihrer Mutter ausleben. Ein düsterer Blick auf die Gesellschaft – so widerlich ist es, wenn Mutti Influencerin spielt.

Visuell macht „Hatching“ großen Spaß: Die Effekte sind schön analog, erinnern an Jim Hensons Figuren aus „The Dark Crystal“. Das animatronische Monster wird ausgesprochen wirkungsvoll eingesetzt, und auch die langsame Verwandlung vom skelettartigen Vogel zur menschlichen Doppelgängerin des Mädchens ist mit viel Liebe zum ekligen Detail realisiert.

Body-Horror meets Coming-of-Age: Die Fabel von der Vogelbrut und dem pubertierenden Menschenmädchen hat viele gute Momente, wenn auch das Drehbuch etwas zu plump die Metaphernkeule schwingt. Das aus Liebe und Wut erschaffene Monster als Symbol für den Groll der Tochter gegenüber der emotionalen Missachtung ihrer Mutter – oder so ähnlich. Echter Horror will sich da nicht einstellen, aber ein permanentes Gefühl von Bedrohung und ein paar wahrlich abscheuliche Überraschungen hält „Hatching“ bereit.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Pahanhautoja“
Finnland / Schweden 2022
87 min
Regie Hanna Bergholm

alle Bilder © Capelight Pictures