WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

Kinostart 29. Dezember 2022

In einem kleinen Dorf im Westerwald tragen sich seltsame Dinge zu: Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Ort. Selmas Enkelin Luise lügt und im gleichen Moment fällt etwas von oben herab. Martin kann im Zug mit geschlossenen Augen sehen, wo die Bahn gerade entlangfährt. Überhaupt das Sehen. Selma sieht nicht, dass der Optiker in sie verliebt ist, obwohl das ganze Dorf Bescheid weiß. Und Luises Vater will nicht sehen, dass seine Frau nicht mehr ihn, sondern den Eisverkäufer liebt.

Das ganze Leben in seiner schleierhaften Sinnlosigkeit

So viele Figuren, so viele Details. Eine Miniserie wäre vielleicht die adäquatere Form für die filmische Umsetzung von Mariana Lekys Bestseller gewesen. Denn über mehrere Folgen erzählt, kann eine Geschichte mal hierhin, mal dorthin abschweifen, während ein Spielfilm komprimieren und notfalls auch Figuren weglassen muss. 

Doch in Lekys Buch geht es ohnehin weniger darum, was, sondern wie es erzählt wird. Regisseur Aron Lehmann hat den Ton des Romans mit der richtigen Mischung aus wunderlicher Verschrobenheit und nötiger Ernsthaftigkeit kongenial eingefangen. Wann immer die Geschichte ins zu Niedliche abzurutschen droht, zieht Lehmann verlässlich die Notbremse und kontert mit trockenem Humor.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein mit Luna Wedler, Corinna Harfouch und Karl Markovics ausgezeichnet besetzter Film über Liebe, Tod und überhaupt das ganze Leben in seiner Sinnhaftigkeit und manchmal schleierhaften Sinnlosigkeit. Irgendwo zwischen französischer „Amelie“-Leichtigkeit und deutscher Märchenhaftigkeit, herzenswarm und frei von Kitsch inszeniert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
109 min
Regie Aron Lehmann

alle Bilder © STUDIOCANAL

ALLES ÜBER MARTIN SUTER. AUSSER DIE WAHRHEIT.

Kinostart 06. Oktober 2022

Die große Zeit des Martin Suter scheint vorbei, nach ein paar genialen Werken um die Jahrtausendwende waren seine letzten Bücher zunehmend banal und enttäuschten sowohl Leser als auch Kritiker. Nun hat Regisseur André Schäfer dem Schweizer Romancier ein filmisches Denkmal gesetzt, in dem – der von Suter selbst erfundene Titel lässt es erahnen – alles und nichts über den Autoren verraten wird.

In der fiktionalen Dokumentation kommen Suter und seine Weggefährten zu Wort, vermischt mit nachgestellten Szenen aus den Romanen „Small World“ und „Die dunkle Seite des Mondes“. Der Autor selbst taucht dabei als stiller Beobachter auf, sozusagen als Schöpfer, der Teil seines Werks wird. Bei der visuellen Umsetzung wird dabei nicht gerade auf die Fantasie der Zuschauer vertraut. Heißt es im von Andreas Fröhlich gesprochenen Off-Text beispielsweise: „Er zündete sich eine Zigarette an und blickte aus dem Fenster“, dann – ja genau – sieht man eben das. Meta ist das nicht. Auch von den Zwängen und Mechanismen des Autorendaseins erfährt man nicht allzu viel. Die fast fiktiv wirkende Figur des brillantinefrisierten „Mannes von Welt“ Suter bleibt so unnahbar wie eine erfundene Figur in einem Roman. Nur in wenigen Szenen, wie der mit seiner Adoptivtochter oder bei den gemeinsamen Bühnenauftritten mit Musikerfreund Stephan Eicher blitzt der Mensch Martin Suter durch.

Schwer zu sagen, ob „Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit“ ein adäquates Bild des Bestsellerautors zeichnet, immerhin ist es eine unterhaltsame Annäherung an das Phänomen Suter. Dass man am Ende des Films noch mal einen der frühen Romane des Autors lesen möchte, ist ja nicht das schlechteste Zeichen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Schweiz 2022
90 min
Regie André Schäfer

alle Bilder © DCM

JIM KNOPF UND DIE WILDE 13

Warum lassen sich die Romane von Michael Ende so schwer verfilmen? Bei „Die unendliche Geschichte“ konnte man die Enttäuschung über das Kitschfest noch auf die damals begrenzten tricktechnischen Möglichkeiten schieben. Doch die Zeiten ändern sich und „Jim Knopf und die wilde 13“ bietet Bild- und Soundeffekte auf hohem internationalem Niveau. Nicht nur der Wolkenflug durch das dreidimensionale Warner-Logo zu Beginn des Films erinnert an die Harry-Potter-Filme.

Nachdem Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer im ersten Teil den Drachen Frau Mahlzahn besiegt haben, sinnt die Piratenbande „Die wilde 13“ auf Rache. Mit ihren Dampfloks begeben sich die beiden Helden auf eine abenteuerliche Reise, auf der Jim endlich die Wahrheit über seine Herkunft herausfinden möchte. 

Lummerland 2020 – das ist natürlich Lichtjahre von der Augsburger Puppenkiste entfernt. Dank magischer CGI-Effekte entstehen die von Michael Ende erdachten Figuren und Länder ganz so, wie man das bei einem modernen Fantasyfilm erwartet. Doch genau in dieser Perfektion liegt das Problem: Bei Endes Romanen besteht der Hauptspaß darin, sich bei der Lektüre seine eigenen fantastischen Welten auszumalen. Filmgewordener Realismus würgt der Fantasie die Luft ab. Man hätte den Machern etwas mehr Mut zu Wes-Anderson-Schrägheit und etwas weniger Bestreben nach Hollywoodperfektion gewünscht.

Für junge Zuschauer ist der Film bestimmt ein großes Vergnügen, denn an visuellen Schauwerten und Spannung mangelt es nicht. Hauptsache, die Kleinen lesen vorher das Buch und haben so die Chance auf ihr eigenes Kopfkino.

Deutschland 2020
109 min
Regie Dennis Gansel
Kinostart 01. Oktober 2020

DAS GEHEIME LEBEN DER BÄUME

Literaturkritiker Denis Scheck sagt über das gleichnamige, 2015 erschienene Buch: „Ein (…) unprätentiöses Sachbuch, das daran erinnert, warum es kein besseres Medium für den Transfer von Wissen gibt als das Buch.“

Da ist was dran. Ein Dokumentarfilm zum Thema Bäume schadet zwar auch nicht, fraglich allerdings, ob man sich diesen hier im Kino ansehen muss. 

Regisseur Jörg Adolph handelt die einzelnen Kapitel des Bestsellers uninspiriert ab und findet dabei weder eine stringente noch besonders aufregende Bildsprache für sein eigentlich interessantes Sujet. Die 96 Minuten sind mit ein paar Zeitrafferaufnahmen, elegischer Musik und sehr, sehr viel Peter Wohlleben gefüllt. Der Autor ist zwar eloquent und unterhaltsam, doch das Best-of all seiner Talkshowauftritte, Vorträge und Interviews trägt zur Vertiefung des Themas wenig bei. Hauptanliegen scheint eher Peter Wohllebens Vermarktung als das Wohl des Waldes zu sein. 

FAZIT

Wie so oft: Lieber das Buch lesen. Oder gleich festes Schuhwerk und Regenjacke anziehen und einen Waldspaziergang machen.

Deutschland 2020
96 min
Regie Jörg Adolph
Kinostart 23. Januar 2020

Vom Ende einer Geschichte – The Sense of an Ending

RÜHRENDE GESCHICHTE

Tony Webster (Jim Broadbent), Anfang 70, geschieden, Typ „knurriger Einzelgänger“. Von seiner schwangeren Tochter (Michelle Dockery) hat er sich schon seit Jahren entfremdet. Auch mit anderen Menschen versteht er sich im Allgemeinen nicht besonders gut. Einziges Hobby ist sein winzig kleiner Fotoladen. Eines Tages wird Tonys Dasein jedoch komplett infrage gestellt: durch einen Brief erfährt er, dass er das Tagebuch seines Jugendfreundes Adrian geerbt hat…

London, 1965. Der noch junge Tony (Billy Howle) verliebt sich in seine Kommilitonin Veronica (Freya Mavor). Die beiden werden ein Paar. Als sich Veronica allerdings in Tonys  besten Freund Adrian (Joe Alvin) verliebt, nimmt er das überraschend gelassen hin und gibt den beiden sogar scheinbar seinen Segen. Doch Monate später erfährt er, dass sich Adrian das Leben genommen hat. Als er nun, viele Jahre später, Veronica (jetzt Charlotte Rampling) wieder trifft, erinnert er sich an seine Taten, die er ein Leben lang verdrängt hat. Langsam beginnt er die tragischen Konsequenzen seines jugendlichen Handelns zu begreifen.

MACHART

Was wäre, wenn nicht immer alles so bleiben müsste, wie es ist? Wenn man sich, egal wie alt, noch ändern und noch glücklich werden könnte? Auf der Antwortsuche nach diesen Fragen nimmt „Vom Ende einer Geschichte“ viele unerwartete Wendungen. Das macht den Film bis zum Schluß überraschend und spannend. Was in einem Rückblick zunächst wie eine harmlose Erinnerung scheint, wird später, durch Fortführung derselben Szene, zu einer schicksalshaften Entscheidung. Diese kluge Verschachtelung der Zeitebenen macht „Vom Ende einer Geschichte“ besonders sehenswert.

FAZIT

Ein Film wie ein gutes Buch. Dazu brilliante Schauspieler in einer rührenden Geschichte. Was will man mehr?

GB, 2017
Regie Ritesh Batra
108 min