AMSTERDAM

Kinostart 03. November 2022

Anstrengend! Überladen! Nicht so clever, wie er glaubt zu sein! Selten wurden große Stars derart verheizt! Keine Chemie! Totalausfall! Die Kritik ist sich in ihrem vernichtenden Urteil ziemlich einig: David O. Russells neuer Film ist ein kolossaler Flop.

Drama, Screwball-Komödie, Thriller

Die Geschichte von den beiden verwundeten Soldaten, die am Ende des Ersten Weltkriegs eine Krankenschwester kennenlernen, um dann mit ihr gemeinsam eine unvergessliche Jules und Jim-Zeit in Amsterdam zu verbringen, sei von Anfang an von allem zu viel. Drama, Screwball-Komödie, Thriller, Kriegsfilm: Wie soll das zusammenpassen? Erst als sich die Handlung ins New York der 1930er-Jahre verlegt und die drei Freunde einer (wahren) Verschwörung auf die Spur kommen, die das Schicksal der ganzen Welt beeinflussen könnte, finde der Film Tritt, aber dann sei es schon zu spät. So die seltsame, nicht nachvollziehbare Meinung der Kritiker.

Der Film erzählt eine Geschichte – und dass die mal lustig, mal dramatisch ist und auch einmal kurz im Krieg spielt – na und? Sicher, ein paar Kürzungen hätten nicht geschadet, denn 134 Minuten klingen nicht nur lang, sie sind es auch. Aber sich über eine abwechslungsreiche Handlung zu echauffieren, das klingt eher wie eine persönliche Abrechnung mit dem Regisseur.

„Amsterdam“ beginnt stark, schwächelt ein bisschen in der Mitte und fängt sich dann wieder zum Ende. Die Namen aller mitspielenden Stars aufzulisten, würde zu weit führen, aber Christian Bale, John David Washington, Margot Robbie und Chris Rock seien genannt. Und natürlich Robert DeNiro, Rami Malek und Anya Taylor-Joy. Und nicht zu vergessen Taylor Swift. Russel hat große Namen zusammengetrommelt und liefert einen stellenweise lustigen, fast hitchcockschen Thriller mit herausragender Ausstattung, toller Kamera und einem spielfreudigen Mega-Cast.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Amsterdam“
USA 2022
134 min
Regie David O. Russell 

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

LE MANS 66 – GEGEN JEDE CHANCE

Ein Phänomen, in vielen Konzernen zu beobachten: Will man etwas erreichen, muss man direkt mit dem Chef sprechen. Meist ist der aber von Neinsagern und Speichelleckern abgeschirmt, die gute Ideen und innovative Vorschläge so lange verwässern, bis nur noch Unsinn übrig bleibt. Mit diesem zeitlosen Problem hat auch der amerikanische Autodesigner Carroll Shelby (Matt Damon) Anfang der 60er-Jahre zu kämpfen. Gemeinsam mit dem hitzköpfigen Rennfahrgenie Ken Miles (Christian Bale) soll er das angestaubte Image der US-Automarke Ford aufbessern. Dazu müssen die beiden erst mal den schnellsten Rennwagen der Welt entwickeln, um damit das prestigeträchtige 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Bedenkenträger bei Ford und des übermächtigen Gegners Enzo Ferrari.

Mangolds Film, im Original passender „Ford v Ferrari“ betitelt, spielt zu einer Zeit, als Meinungsverschiedenheiten zwischen Männern noch mit einer anständigen Prügelei aus der Welt geräumt wurden. Gut gegen Böse, die Suche nach unbedingter Freiheit – „Le Mans 66“ erinnert an einen modernen Western, der galoppierende Pferde auf staubigen Pfaden gegen Rennautos auf dem Asphalt ausgetauscht hat. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, weshalb Method-Actor Christian Bale für seine Rolle wieder mal etliche Kilos abgespeckt hat. Wie oft kann so ein armer Körper das ständige Zu- und wieder Abnehmen eigentlich aushalten, bevor die Haut in großen Lappen herunterhängt? Matt Damon spielt das, was er am besten kann: den leicht angeschlagenen, netten Kerl von nebenan, der unaufgeregt die Fäden in der Hand behält.

FAZIT

Erstaunliche Erkenntnis nach zweieinhalb Stunden: Im Kreis fahrende Fahrzeuge können spannend sein. Selbst wenn man sich kein bisschen für Autorennen interessiert – „Le Mans 66“ ist ein packender, im besten Sinne altmodischer Film.

Originaltitel „Ford v Ferrari
USA 2019
152 min
Regie James Mangold
Kinostart 14. November 2019

Répertoire des villes disparues ● Vice ● Skin ● Gospod postoi, imeto i’e Petrunija

Die Berlinale-Götter ausgetrickst! Kosslick sei Dank, gibt’s ja mehrere Chancen, die Wettbewerbsfilme zu sehen: in der Wiederholung dann doch den gestern versäumten Gospod postoi, imeto i’e Petrunija geschaut!
Dafür heute Kız Kardeşler (A Tale of Three Sisters) verpasst. Dann gewinnt halt der.
Schnee, Frost, Winter – nicht bei der Berlinale, aber immerhin im Kino, zum Beispiel bei:

Répertoire des villes disparues (Ghost Town Anthology)

„Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, werden die Toten auf der Erde wandern.“ So reißerisch wie die Werbung 1978 zu George A. Romeros „Dawn of the Dead“ ist dieser kanadische Low-Budget-Film nicht geworden. Dafür umso ungruseliger. Man kann den Titel „Ghost Town Anthology“ durchaus wörtlich nehmen: Die kleinen Käffer auf dem Land sind so verlassen, dass sie zu Geisterstädten werden. Damit es nicht ganz so leer ist, kommen immerhin die Toten zurück, stehen dann aber nur in der Gegend rum und schauen. Das erinnert sehr an die erste Staffel der französischen Serie „Les Revenants“.  Im Gegensatz zur brillanten Serie wirkt Répertoire des villes disparues mit seinem handgemachten Krissellook sehr unfertig, mehr wie das Layout zu einem Kinofilm. Passenderweise auf 16mm gedreht, da lacht das Cineastenherz.

Kanada 2018
96 min
Regie Denis Côté

Vice  (Vice – Der zweite Mann)

Vice erzählt die Geschichte von Dick Cheney, der vom kleinen Bürokraten zu einem der einflussreichsten Männer der Welt aufstieg. Als erster US-Vizepräsident hatte er fast mehr Macht als der Präsident selbst. Vice ist vor allem ein Christian Bale-Film. In guter alter Method-Tradition hat sich der Schauspieler für die Titelrolle etliche Pfunde angefuttert und sieht dem Original – Dank ausgezeichneter Maske – verblüffend ähnlich. Verdienterweise gab’s dafür schon den Golden Globe als Hauptdarsteller in einer Komödie. Vice ist ein seltsamer Zwitterfilm. Einerseits nicht spannend genug für ein Drama und andererseits in seinem Humor zu unentschlossen, um als bissige Satire durchzugehen. Das käme wohl dabei heraus, würde man Michael Moore ein Big Budget-Movie anvertrauen und ihm dann zu viel rein quatschen.

USA 2019
132 min
Regie Adam McKay

Skin

Tattoos sind Scheiße. Das Stechen tut weh, das Entfernen noch mehr. Diese Wahrheit muss Bryon am eigenen Leib erfahren. Nach seinem Entschluss, sich von seinen rassistischen White-Supremacy-Freunden loszusagen, wartet eine schmerzhafte Enttintungsprozedur auf ihn. Bei seinem Weg ins neue Leben helfen ihm ausgerechnet schwarze Menschenrechtsaktivisten und natürlich die Liebe, denn Freundin Julie hat mit dem Nazipack ebenso abgeschlossen. Die Geschichte vom Monster, das sich befreien will und es kaum schafft, seine Vergangenheit loszuwerden, ist spannend erzählt und geht unter die Haut (haha). Hervorragend besetzt, vor allem Jamie Bell (ja, der aus „Billy Elliot“) überzeugt als bekehrter Rassist. Skin basiert auf der wahren Lebensgeschichte von Bryon Widner.

USA 2019
117 min
Regie Guy Nattiv 

Gospod postoi, imeto i’e Petrunija (God Exists, Her Name Is Petrunya)

Petrunija ist komplett überqualifiziert – aber wer ist das heutzutage nicht? Ein abgeschlossenes Studium der Geschichte interessiert niemand, die Jobsuche bleibt erfolglos. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als am Dreikönigstag, wie jedes Jahr, die jungen Männer nach dem heiligen Kreuz tauchen, das der Pfarrer in den eisigen Fluss geworfen hat. Petrunija macht spontan mit, ist schneller als alle anderen und holt sich die Trophäe. Aber sie hat nicht mit dem verletzten Stolz der Verlierer gerechnet. Die Machomeute tobt!
Macht diese Inhaltsangabe Lust den Film zu sehen? Nein? Zu Arthouse?
Überraschung: Tenor Strugar Mievska ist eine teils melancholische, teils wütende Satire über den heutigen Zustand der mazedonischen Gesellschaft gelungen. Und damit ein richtig guter Film – lustig, traurig und nachdenklich machend. Zum Glück doch noch gesehen!

Mazedonien / Belgien / Slowenien / Kroatien / Frankreich 2019
100 min
Regie Teona Strugar Mitevska