Chantal im Märchenland

CHANTAL IM MÄRCHENLAND

Chantal im Märchenland

CHANTAL IM MÄRCHENLAND

Chanti is bäck und man fragt sich unweigerlich: Warum? Hat die Dumpfbacke aus FACK JU GÖHTE 1-3 ein Spin-Off verdient?

Ab 28. März im Kino

Das sehr dumme Mädchen ist mittlerweile zu einer sehr dummen jungen Frau herangereift (Schauspielerin Jella Haase ist immerhin schon 31) und trudelt als Möchtegern-Influencerin planlos durchs Leben. Eines Tages wird sie mit ihrer besten Freundin Zeynep in einen Zauberspiegel gesogen. Auf der anderen Seite landen die beiden in einer Märchenwelt – Frösche, Drachen und Hexen inklusive. Chantal ist Prinzessin, isch schwöre!

CHANTAL IM MÄRCHENLAND basiert auf genau einer Idee: dem Culture Clash zwischen Realität und Märchenwelt. Oder: Social Media trifft auf Gebrüder Grimm. Daraus ergeben sich zwei, drei halbwegs gute Gags, doch auf zwei Stunden gestreckt ist das viel zu dünn. Die Trefferquote der Witze ist erschreckend niedrig. Besonders ärgerlich: Werbung nimmt hier bisher unbekannte Ausmaße an. McDonalds und Samsung werden schamlos und mit von den Figuren gesprochenen Werbetexten in die Handlung eingebaut. Bei einem Film, der sich auf dem Niveau einer RTL-2-Sendung bewegt, passt das ja auch irgendwie.

Mit Frederick Lau, Nora Tschirner, Max von der Groeben und vielen anderen, teils in nur sekundenlangen Cameos auftretenden Schauspielstars ist das Fremdschäm-Märchen überraschend prominent besetzt. Dazu ein bisschen LGBTQ, ein bisschen Girlpower, ein bisschen Botschaft: „Freundschaft zählt mehr als Gold und Juwelen“ – na ja. Neben schwachem Inhalt enttäuscht CHANTAL auch visuell, die miesen Spezialeffekt können nicht mal ansatzweise mit internationalen Produktionen mithalten.

Das vermutlich größte Manko dürfte das Auseinanderleben des Zielpublikums und der Hauptfigur sein. FACK JU GÖHTE 3 (ein ebenfalls extrem unlustiger Film) kam vor immerhin 7 Jahren in die Kinos. Ob so was heute noch Erfolg hat? Hoffentlich nicht. Vielleicht überschätzen die Macher schlicht den Kultfaktor von Chantal.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
114 min
Regie Bora Dagtekin

alle Bilder © Constantin Film

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BIS WIR TOT SIND ODER FREI

BIS WIR TOT SIND ODER FREI

Kinostart 31. März 2022

Otto Schily und Hans-Christian Ströbele: Zwei Anwälte, die in den 1980er-Jahren den Gerichtssaal als politische Bühne nutzen, um ihrer Sache die gewünschte mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Anwältin Barbara Hug will ihren Vorbildern nacheifern und mit den gleichen Mitteln das rückständige Schweizer Justizsystem umkrempeln. Ihre Klientel sind hauptsächlich Linksautonome, die bei Demos in Polizeigewahrsam genommen werden. Nun sucht der Berufskriminelle Walter Stürm ihre Hilfe. Nach zahlreichen Straftaten und wiederholten Ausbrüchen sitzt er in Isolationshaft. Die Anwältin und der Ganove: Da treffen zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander, die der Wunsch nach Freiheit eint. Während es Hug eher um die theoretische Auslegung des Begriffs geht, ist für Stürm Freiheit etwas Greifbares, Konkretes: Er will sich keine Vorschriften machen lassen, will sich von den Fesseln seiner beengten bürgerlichen Herkunft befreien.

Kaum vorstellbar, dass das Leben in einem Schweizer Knast so hart sein soll. Ausgerechnet im Ursprungsort der Genfer Konventionen. Tatsächlich hat Amnesty International das Chuchichäschtli-Land in den 1980er-Jahren wegen Verletzung der Rechte von Gefangenen angeprangert. Schlimmer gehts immer – „Bis wir tot sind oder frei“ ist ein echter Problemfilm: Vater-Sohn-Konflikte, lieblose Eltern, Straßenkampf, kaputte Nieren, unerfüllte Liebe, brutaler Polizeistaat, Morphiumsucht, das Schweinesystem ganz allgemein, alte Faschisten gegen junge Revoluzzer, Waffenhandel – stöhn, es ist für jeden was dabei.

Die Geschichte beruht zwar auf wahren Begebenheiten, doch in der Nacherzählung von Regisseur Oliver Rihs finden sich wenig wahrhaftige Momente. An den Schauspielern liegt es nicht, vor allem Marie Leuenberger überzeugt als körperliches und seelisches Wrack, das sich zwischen Dialyse und Klassenkampf aufreibt. Mal von den zahllosen schlechten Perücken abgesehen und allerhand Fehlern in der Ausstattung (der Film spielt zwischen 1980 und 1999), killt vor allem die deutsche Synchronisation jede Authentizität. Ein Original im Schwyzerdütsch mit Untertiteln mag eine ganz andere Kraft und Wirkung entfalten, man weiß es nicht. Tipp vom Fachmann: Flug nach Zürich buchen, dort ins Kino gehen, danach ein schönes Käsefondue genießen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Stürm: Bis wir tot sind oder frei“
Schweiz / Deutschland 2020
118 min
Regie Oliver Rihs

alle Bilder © Port au Prince

LIEBER THOMAS

LIEBER THOMAS

Die Komödien „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“ erwecken den Eindruck, das Leben jenseits des antifaschistischen Schutzwalls sei bunt und fröhlich gewesen. Gut 30 Jahre nach Mauerfall zeichnen Filme wie „Gundermann“ oder der im August gestartete „Nahschuss“ ein realistischeres Bild der Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Schluss mit lustig.

Zwei, die von Anfang an nicht zueinander passen: Die DDR und Thomas Brasch. Mit seinem Vater Horst, SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur, ist er in Hassliebe verbunden. Aus Thomas soll ein braver Staatsbürger werden, doch schon früh fühlt er sich zum Schriftsteller berufen. Als 1968 sowjetische Panzer den Prager Frühling niederwalzen, protestieren Thomas und seine Freunde mit einer Flugblattaktion in Berlin. Der junge Autor wird von seinem Vater verraten, kommt ins Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, arbeitet Brasch zunächst als Fräser in einer Transformatorenfabrik. 1978 darf er mit seiner Frau in den Westen ausreisen. Dort dreht er mehrere Kinofilme, wird sogar nach Cannes eingeladen.

War „Das Leben der Anderen“ noch eine hollywoodgerechte Aufarbeitung des Stasi-Staates, so wählt Andreas Kleinert für „Lieber Thomas“ eine poetischere, künstlerisch freiere Herangehensweise. Das in strengem Schwarzweiß gedrehte Drama legt sich nicht auf Wahrheit oder Fiktion fest, wechselt fließend zwischen Traum und Wirklichkeit. Fast könnte man meinen, der Film sei zu DDR-Zeiten gedreht worden, so stimmig wirkt die Atmosphäre.

Intensivtäter Albrecht Schuch (wer sonst?) verkörpert die deutsch-deutsche Zerrissenheit des 2001 verstorbenen Autors und Regisseurs kongenial. Neben der großartigen Besetzung (Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider) sind vor allem die Szenen mit Brasch als Malocher in der Fabrik am stärksten. Die Bilder von Kameramann Johann Feindt erinnern hier an die gerade wiederentdeckten Aufnahmen des Fotografen Günter Krawutschke, der die Gesichter des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen einzigartigen Bildern verewigte.

„Lieber Thomas“ ist nach „Familie Brasch“ bereits der zweite Film, der sich mit dem Leben der schillernden Persönlichkeit Braschs auseinandersetzt. Ein Mann mit vielen Facetten: Jude, Dichter, Sozialist, Frauenheld, Träumer, eine unangepasste Künstlerseele.

FAZIT

Sehr sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
150 min
Regie Andreas Kleinert
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Wild Bunch Germany

KOKON

Bitch! Spermarutsche! – Es herrscht ein rauer Umgangston zwischen den Berliner Teenagern Nora (Lena Urzendowsky) und Jule (Lena Klenke). Die beiden Schwestern hängen mit ihrer besten Freundin im Jahrhundert-Sommer 2018 in Kreuzberg ab. Mittendrin, am Kottbusser Tor. Noras und Jules Mutter verbringt die Abende betrunken in der Eckkneipe, die Mädchen sind auf sich alleine gestellt. 

Im Sportunterricht, auf dem Schwebebalken: Es gibt für Nora kaum einen ungünstigeren Moment, ihre erste Periode zu bekommen. Während sich die Mitschüler*innen peinlich berührt abwenden, erweist sich „die Neue“, Romy, (Jella Hase) als patente Hilfe. Sie wäscht die blutige Hose kurzerhand aus und bietet dem verunsicherten Mädchen einen Joint „gegen die Schmerzen“ an. Nora ist spontanverliebt. Heimliches Schwimmen nachts im Prinzenbad, Tanzen auf dem CSD, der erste Sex: Unter Romys Einfluss entwickelt sich die schüchterne Nora bald von der grauen Maus zum wilden Mädchen.

Kameramann Martin Neumeyer fängt die sommerliche Kreuzberg-Liebesgeschichte stimmungsvoll ein. Vom Handyhochformat über beengtes 4:3 bis zum – mit der Entdeckung der Liebe einhergehenden – Öffnen ins Breitwandbild: Fast schon ein Muss in jedem neueren Arthousefilm ist auch hier das Spiel mit den verschiedenen Bildformaten. Regisseurin und Drehbuchautorin Leonie Krippendorff hat dabei ein gutes Gehör für authentische Dialoge und inszeniert ihre Darsteller glaubhaft und ohne jede Peinlichkeit. Jella Haase mag für ihre Rolle als bezirzende Schülerin ein paar Jahre zu alt sein – das wird mit einem lakonischen „sie ist zweimal sitzen geblieben“ erklärt – doch das schaut sich weg. Zentrum und Herz des Films ist ohnehin Lena Urzendowsky: eine Entdeckung, die demnächst in der Neuverfilmung von „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ zu sehen ist.

FAZIT

Schöne Coming-of-Age-Geschichte über sexuelles Erwachen und die erste große Liebe.

Deutschland 2020
94 min
Regie Leonie Krippendorff
Kinostart 13. August 2020

BERLIN ALEXANDERPLATZ

Wäre Rainer Werner Fassbinder noch am Leben und würde Alfred Döblins Roman zum zweiten Mal verfilmen – vielleicht käme etwas ähnlich Aufregendes dabei heraus.

In fünf Kapiteln (plus Epilog) erzählt das Drama die düstere Geschichte vom Flüchtling Francis aus Westafrika. Im heutigen Berlin trifft er auf den durchgeknallten Drogendealer Reinhold und die Leben der beiden Männer verbinden sich zu einer verhängnisvollen Schicksalsgemeinschaft. Immer wieder versucht Reinhold, Francis für seine Zwecke einzuspannen, immer wieder widersteht der. Als sich Franz (so hat ihn Reinhold inzwischen zwecks „Germanisierung“ getauft) in das Escort-Girl Mieze verliebt, verspürt er seit Langem so etwas wie Glück.

„Berlin Alexanderplatz“ wird spalten. Regisseur Qurbani wendet sich mit seiner Verfilmung nicht an die breite Masse. So wie es Menschen gibt, die Freude an einer 3-stündigen Volksbühnen-Inszenierung haben, so wird es (hoffentlich) auch Zuschauer geben, die diesen Film lieben. Andere, die nach 20 Minuten entnervt aus dem Kino fliehen, verpassen einen der interessantesten deutschen Filme der letzten Zeit.

Welket Bungué, Jella Haase, Joachim Król – durchweg großartige Schauspieler. Aber vor allem Albrecht Schuch als Reinhold stiehlt mit seiner Präsenz jede Szene. Der Film glänzt: Kamera, Schnitt, Musik, Ausstattung – das ist alles gekonnt, von höchster Qualität und packend inszeniert. Selbst an die in der Jetztzeit befremdlich wirkenden Dialoge – Qurbani lässt seine Figuren immer wieder Originalsätze aus dem Roman sprechen – hat man sich rasch gewöhnt. 

FAZIT

Kraftstrotzendes Kino.

Deutschland / Niederlande 2020
183 min
Regie Burhan Qurbani
Kinostart 16. Juli 2020

DAS PERFEKTE GEHEIMNIS

Schlimme Vorstellung: Beim Pärchenabend legt jeder sein Smartphone auf den Tisch und alle dürfen sehen, was da so den ganzen Abend reinkommt. Zu einem solch riskanten Spiel entschließen sich sieben Freunde beim gemeinsamen Abendessen. Nachrichten werden vorgelesen, Telefonate laut mitgehört, es gibt keine Geheimnisse. Anfangs noch ein harmloser Spaß wird die große Transparenz bald zum Desaster. 

Moment mal, da geht man voll negativer Vorurteile in die neue Komödie der „Fack ju Göhte“-Macher – und dann amüsiert man sich halbwegs gut. Clevere Idee, gute Figurenkonstellation, sehr unterhaltsame Geschichte – da stimmt doch was nicht!
Des Rätsels Lösung: „Das perfekte Geheimnis“ wurde nicht von Deutschen entwickelt, sondern beruht auf einer international getesteten Idee. Den gleichen Film gibt es bereits als griechische, spanische, türkische, französische, mexikanische, koreanische und chinesische Version. Die deutsche ist somit die achte Neuauflage des italienischen Kinohits „Perfetti Sconosciuti“, der 2016 alleine in seinem Heimatland knapp 3 Millionen Zuschauer ins Kino lockte.
Da zwischenmenschliche Verhaltensweisen und Marotten trotz Globalisierung immer noch halbwegs unterschiedlich sind, wird die identische Geschichte einfach für jedes Land entsprechend adaptiert. Dieses kalkulierte, risikolose Recycling könnte man böswillig auch mutlos nennen.

„Das perfekte Geheimnis“ ist mit Elyas M’Barek, Florian David Fitz, Jella Haase, Karoline Herfurth, Frederick Lau, Wotan Wilke Möhring und Jessica Schwarz ordentlich und typgerecht besetzt. Regisseur Bora Dagtekin hält dank des guten Drehbuchs zwei Stunden lang die Waage zwischen Komödie, Drama, Klamauk und Tiefgang.

FAZIT

Zur Einstimmung kann man sich schon mal die französische Version „Le Jeu“ anschauen, läuft auf Netflix.

Deutschland 2019
115 min
Regie Bora Dagtekin
Kinostart 31. Oktober 2019