VERLORENE ILLUSIONEN

VERLORENE ILLUSIONEN

Kinostart 22. Dezember 2022

Klassische Musik erklingt, Lucien (Benjamin Voison) liegt verträumt im Gras und schreibt Gedichte. Seine geheime Affäre mit einer adligen Dame löst Getuschel im Dorf aus. Vor Liebe blind, nimmt die Mäzenin ihren Toyboy mit nach Paris, um ihn dort in die Gesellschaft einzuführen. Skandal! Denn der junge Mann ist nicht von edlem Geblüt. So weit, so wenig aufregend. „Verlorene Illusionen“ schickt sich in der ersten halben Stunde an, ein typischer Kostümschinken zu werden. Denkt man. Doch wer mit dem Roman von Honoré de Balzac vertraut ist, weiß, da kommt noch mehr. Denn die zweihundert Jahre alte Geschichte ist hochaktuell.

Trolle und Fake News gab es schon im 19. Jahrhundert

In Paris lässt Lucien seine Ambitionen, einen Roman zu schreiben, rasch hinter sich. So ändern sich die Zeiten: Mit Journalismus kann man damals noch gutes und schnelles Geld verdienen. Aus dem Idealisten wird ein bestechlicher und wegen seiner spitzen Feder gefürchteter Schreiber. Die Mechanismen der Macht funktionieren 1821 wie heute: Profit, Schein und Fake News.

Dass es schon im 19. Jahrhundert Trolle gibt, ist eine von vielen lehrreichen Erkenntnissen der intelligenten Dramödie von Xavier Giannoli. Einer dieser bösartigen Meinungsmacher ist Singali. Der wird bei Theaterpremieren als analoger Influencer engagiert. Wie ein Dirigent weist er eine Schar gekaufter Zuschauer an, zu buhen oder begeistert zu klatschen. Statt faulem Obst kann es dann auch Blumen auf die Bühne regnen. Je nachdem, wer ihn bezahlt. Die Qualität der Aufführung spielt dabei keine Rolle.

Trotz einer Laufzeit von zweieinhalb Stunden beeindruckt „Verlorene Illusionen“ durch seine erzählerische Dichte, die von einem hochkarätigen Schauspielerensemble getragen wird. Man weiß gar nicht, wo man mit dem Loben anfangen soll. Vincent Lacoste als manipulativer, windiger Chefredakteur? Großartig. Oder Salomé Dewaels als die mit allen Wassern gewaschene Geliebte Luciens? Ebenso. Von Xavier Dolan in der Rolle eines ambivalenten Autors – Ist er Freund? Ist er Feind? – ganz zu schweigen. Allen voran aber Hauptdarsteller Benjamin Voisin, der zuletzt in François Ozons „Sommer 85“ beeindruckt hat. Man kann die Augen gar nicht von ihm nehmen. Der Spagat zwischen liebenswertem Jungen und unsympathischem Aufsteiger gelingt ihm mühelos. Fabuleux!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Illusions perdues“
Frankreich 2022
150 min
Regie Xavier Giannoli

alle Bilder © CINEMIEN