WAS DEIN HERZ DIR SAGT – ADIEU IHR IDIOTEN!

Kinostart 20. Oktober 2022

Endlich mal wieder ein Film mit ellenlangem deutschen Verleihtitel. „Was Dein Herz Dir sagt – Adieu Ihr Idioten!“. Kann man machen, ist aber umständlich und kostet Zeit.

Ein knackiges „Adieu ihr Idioten!“ tut es doch auch und ist gleichzeitig der (vermeintliche) Abschiedssatz des Sicherheitsexperten JB (gespielt von Regisseur Albert Dupontel), bevor er sich mit einem Gewehr ins Jenseits befördern will. Bei seinem missglückten Selbstmordversuch ist zufälligerweise die Friseurin Claire anwesend, die „an einer Dauerwelle“ stirbt – So jedenfalls ihre Diagnose. Das Einatmen von zu viel Haarspray hat eine schwere Atemwegserkrankung ausgelöst, Claires Tage sind gezählt. Vor ihrem Tod will sie aber noch unbedingt ihren Sohn wiederfinden. Den hat sie mit fünfzehn zur Welt gebracht und im jugendlichen Wahn zur sofortigen Adoption freigegeben. Bei der gewünschten Familienzusammenführung achtundzwanzig Jahre später braucht sie die Hilfe von JB und dem blinden Archivar Monsieur Blin.

Regisseur Albert Dupontel bezeichnet seine Dramödie selbst als „burlesk“. Das klingt nach Ohnsorg-Theater. Aber die schräge Mischung aus Drama und Komödie ist näher an Terry Gilliam als an Heidi Kabel. Vor allem visuell ist der Film ambitioniert. Buntes Licht und im Studio gedrehte „Außenaufnahmen“ verstärken das leicht Surreale der Geschichte. So ganz rund tickt das dramatische Uhrwerk allerdings nicht – es gibt ein paar nicht zündende Witze zu viel – doch vor allem Virginie Efira als sterbenskranke Suze bewahrt den Film, allzu sehr ins Alberne abzudriften.

Wenn Vergleiche unbedingt sein müssen, dann ist „Was Dein Herz Dir sagt – Adieu Ihr Idioten!“ eine Mischung aus „Die wunderbare Welt der Amelie“, Godards „Breathless“ und sympathisch spinnertem Kunst-Drama mit französischem Charme. So oder so ein Film abseits der Norm, erfrischend anders und deshalb sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Adieu Les Cons“
Frankreich 2020
87 min
Regie Albert Dupontel

alle Bilder © Happy Entertainment 

WARTEN AUF BOJANGLES

Kinostart 04. August 2022

Vom Song „Mr. Bojangles“ existieren etliche Cover-Versionen, das Original stammt von Jerry Jeff Walker aus dem Jahr 1968. In Régis Roinsards Film wird der Welthit nun von Marlon Williams neu interpretiert. Framerate kann auch Formatradio, deshalb hier die Top Four aus vier Jahrzehnten:

Camille – oder Antoinette, wer nimmt das schon so genau, denn „ein Name für ein ganzes Leben ist zu langweilig“ – und Georges verlieben sich Ende der 1950er-Jahre Hals über Kopf ineinander. Neun Monate später kommt ihr Sohn Gary zur Welt. Die unkonventionelle Kleinfamilie lebt zwischen Realitätsverweigerung (Briefpost bleibt grundsätzlich ungeöffnet) und einer Welt voller Fantasie und Poesie. Bei den allabendlichen Cocktailpartys mit Dutzenden von Gästen führt der mittlerweile 10-jährige Gary Erwachsenengespräche und seine Eltern tanzen zu „Mr. Bojangles“. Ein Tanz am Abgrund, denn während George einen Rest Bodenhaftung behält (er geht jeden Tag zur Arbeit in seine Autowerkstatt), entgleitet Camille zusehends in manische Depressionen und wird bald eine Gefahr für sich und andere. Eine Einweisung in die psychiatrische Klinik scheint unausweichlich.

Dass es „Warten auf Bojangles“ in dieser Version gibt, ist der Frau des Regisseurs zu verdanken, denn die sagte, nachdem sie das Buch gelesen hatte: „Wenn Du daraus keinen Film machst, verlasse ich Dich.“ Ihr Wunsch war ihm Befehl. Mit der Verfilmung des Romans von Olivier Bourdeaut knüpft Régis Roinsard an den leicht slapstickartigen Retro-Ton seines Erfolgsfilms „Mademoiselle Populaire“ an (ebenfalls mit Romain Duris in der Hauptrolle). 

Vor allem zu Beginn ist der Geist von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zu spüren. Farbenfroh, leicht versponnen und sehr französisch – eine idealisierte Welt mit imposanter Ausstattung am Rande des Kitsches. Doch im Gegensatz zu Jean-Pierre Jeunets Klassiker kippt „Warten auf Bojangles“ in der zweiten Hälfte in ein handfestes Drama, in dem vor allem Virginie Efira als Camille ihre schauspielerischen Fähigkeiten entfalten kann. „Warten auf Bojangles“ ist eine etwas zuckrige Dramödie, tonal irgendwo zwischen „Amélie“ und „Betty Blue“, die sich gegen Ende ein wenig zieht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „En attendant Bojangles“
Frankreich / Belgien 2021
124 min
Regie Régis Roinsard

alle Bilder © STUDIOCANAL