DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER

Ab 17. August 2023 im Kino

„Demeter“ ist nicht nur eine Biomarktkette, sondern auch das Schiff, auf dem sich Graf Dracula von den Karpaten nach London transportieren ließ.

Die Seereise des untoten Blutsaugers wird in einem Kapitel des Bram-Stoker-Romans „Dracula“ eher nebenbei erzählt. In älteren Verfilmungen wird die Fahrt auf der Demeter deshalb meist mit dem kurzen Einblenden einer Land- und Seekarte, auf der eine rote Linie die Route anzeigt, abgehakt. Nun hatte Universal die Idee, daraus einen abendfüllenden Spielfilm zu machen. Und der ist ungefähr so gruselig wie eine Folge der Kinderhörspielserie „Draculino“.

Schlichtweg langweilig

Analoge Effekte, düstere Stimmung (man sieht kaum was), einer nach dem anderen stirbt – der norwegische Regisseur André Øvredal hatte laut eigener Aussage „ALIEN auf einem Frachter 1897“ im Sinn. Obwohl er alle Register des klassischen Horrorfilms von Dauer-Unwetter, huschenden Schatten und knarrendem Gebälk zieht, hat DIE LETZTE REISE DER DEMETER ein großes Problem: Sie ist schlichtweg langweilig. Es will trotz guten Stils keine Spannung aufkommen. Bis auf ein, zwei Schockeffekte setzt schnell das große Gähnen ein.

Die Universal-Studios geben nicht auf. Das immerhin muss man dem x-ten Versuch, ein „Dark Univers“ zu kreieren, zugutehalten. Nach dem legendären Flop THE MUMMY weckte die Low-Budget-Produktion THE INVISIBLE MAN kurz Hoffnung, aus den angestaubten 30er-Jahre-Filmmonstern doch noch eine erfolgreiche Crossover-Welt à la MCU zu schaffen. DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER macht diesen Plan mit einem lachhaft schlechten Drehbuch wieder zunichtet. Schade um die guten Schauspieler, die hier alle hoffnungslos unterfordert bleiben.

Der Markt wird es richten – es wäre der größte Schocker, wenn der zahnlose Vampirfilm Erfolg an der Kinokasse hätte. Wem der Sinn nach echtem Horror auf einem Schiff im 19. Jahrhundert steht, dem sei die fantastische Miniserie THE TERROR empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Last Voyage of the Demeter“
USA / Deutschland 2023
118 min
Regie André Øvredal

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

VERLORENE ILLUSIONEN

VERLORENE ILLUSIONEN

Kinostart 22. Dezember 2022

Klassische Musik erklingt, Lucien (Benjamin Voison) liegt verträumt im Gras und schreibt Gedichte. Seine geheime Affäre mit einer adligen Dame löst Getuschel im Dorf aus. Vor Liebe blind, nimmt die Mäzenin ihren Toyboy mit nach Paris, um ihn dort in die Gesellschaft einzuführen. Skandal! Denn der junge Mann ist nicht von edlem Geblüt. So weit, so wenig aufregend. „Verlorene Illusionen“ schickt sich in der ersten halben Stunde an, ein typischer Kostümschinken zu werden. Denkt man. Doch wer mit dem Roman von Honoré de Balzac vertraut ist, weiß, da kommt noch mehr. Denn die zweihundert Jahre alte Geschichte ist hochaktuell.

Trolle und Fake News gab es schon im 19. Jahrhundert

In Paris lässt Lucien seine Ambitionen, einen Roman zu schreiben, rasch hinter sich. So ändern sich die Zeiten: Mit Journalismus kann man damals noch gutes und schnelles Geld verdienen. Aus dem Idealisten wird ein bestechlicher und wegen seiner spitzen Feder gefürchteter Schreiber. Die Mechanismen der Macht funktionieren 1821 wie heute: Profit, Schein und Fake News.

Dass es schon im 19. Jahrhundert Trolle gibt, ist eine von vielen lehrreichen Erkenntnissen der intelligenten Dramödie von Xavier Giannoli. Einer dieser bösartigen Meinungsmacher ist Singali. Der wird bei Theaterpremieren als analoger Influencer engagiert. Wie ein Dirigent weist er eine Schar gekaufter Zuschauer an, zu buhen oder begeistert zu klatschen. Statt faulem Obst kann es dann auch Blumen auf die Bühne regnen. Je nachdem, wer ihn bezahlt. Die Qualität der Aufführung spielt dabei keine Rolle.

Trotz einer Laufzeit von zweieinhalb Stunden beeindruckt „Verlorene Illusionen“ durch seine erzählerische Dichte, die von einem hochkarätigen Schauspielerensemble getragen wird. Man weiß gar nicht, wo man mit dem Loben anfangen soll. Vincent Lacoste als manipulativer, windiger Chefredakteur? Großartig. Oder Salomé Dewaels als die mit allen Wassern gewaschene Geliebte Luciens? Ebenso. Von Xavier Dolan in der Rolle eines ambivalenten Autors – Ist er Freund? Ist er Feind? – ganz zu schweigen. Allen voran aber Hauptdarsteller Benjamin Voisin, der zuletzt in François Ozons „Sommer 85“ beeindruckt hat. Man kann die Augen gar nicht von ihm nehmen. Der Spagat zwischen liebenswertem Jungen und unsympathischem Aufsteiger gelingt ihm mühelos. Fabuleux!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Illusions perdues“
Frankreich 2022
150 min
Regie Xavier Giannoli

alle Bilder © CINEMIEN

DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN

DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN

Kinostart 21. April 2022

Choupette wäre entsetzt. Unvorstellbar für Lagerfelds elegante Weggefährtin, doch es gab eine Zeit in der Menschheitsgeschichte – lange nach dem alten Ägypten, nicht so lange vor den süßesten YouTube-Katzenvideos – da waren Miezen Nutztiere, in Haus und Hof bestenfalls zur Mäuse- und Rattenjagd geduldet.

Heutzutage können Katzen selbstverständlich Whiskas kaufen, und dass es so weit kam, haben sie einem eigenwilligen Künstler aus Großbritannien zu verdanken: Louis Wain fabrizierte unzählige Gemälde, in denen er die schnurrenden Samtpfoten in menschlicher Pose darstellte. Seinerzeit ein echter Verkaufshit. Die faszinierenden Bilder tragen Ende des 19. Jahrhunderts dazu bei, die Wahrnehmung von Katzen in der Öffentlichkeit zu verändern. Doch typisch Künstler: Louis ist als Maler begnadet, aber ein lausiger Geschäftsmann. Er vergisst, sich das Copyright seiner Bilder zu sichern – so werden viele Menschen reich mit seiner Kunst, nur er selbst nicht. Und das trifft die Familie hart. Denn im viktorianischen England kann nur der Mann im Haus das Geld verdienen – Louis hat aber noch eine Mutter und fünf Schwestern – und die wollen versorgt werden.

„The Electrical Life of Louis Wain“ erzählt die wahre Geschichte eines neurotischen und äußerst talentierten Künstlers, wunderbar exzentrisch von Benedict Cumberbatch gespielt. Auch visuell ist die elektrisierende Lebensgeschichte ungewöhnlich umgesetzt: immer wieder verwandeln sich die Sets in wie gemalt aussehende Kunstwerke, die an die Arbeiten Wains erinnern.

Die ersten 30 Minuten sind schrullig nette Unterhaltung, aber bald wandelt sich die Geschichte von niedlich zu ziemlich düster. Einziger Lichtblick ist die Liebe Wains zu Emily (Claire Foy), der Gouvernante seiner Schwestern. Doch das Glück ist von kurzer Dauer. Kein Happy End: Wain verliert zusehends den Verstand – die Bildsprache wird dem verfallenden Geist entsprechend immer psychedelischer – das Leben des Künstlers endet in einer Anstalt.

„Die wundersame Welt des Louis Wain“ ist ein Film über einen außergewöhnlichen Mann, von dem die meisten wahrscheinlich noch nie gehört haben, der aber nachhaltig Eindruck hinterlassen hat. Der Schriftsteller H.G. Wells sagte 1927 in einer Radiosendung: „Katzen, die nicht so aussehen wie Katzen von Louis Wain, sollten sich was schämen.“ Miau.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Electrical Life of Louis Wain“
GB 2021
111 min
Regie Will Sharpe

alle Bilder © STUDIOCANAL