RETRIBUTION

RETRIBUTION

Ab 14. September 2023 im Kino

Schon wieder fährt ein Mann mit einer Bombe im Auto durch die Großstadt. Diesmal tickt es unter dem Sitz von Liam Neeson.

2015 machte EL DESCONOCIDO aus Spanien den Anfang. Drei Jahre später folgte die deutsche Version des gleichen Stoffes: STEIG. NICHT. AUS! mit Wotan Wilke Möhring. Nun also der nächste Aufguss mit dem unkaputtbaren Liam Neeson in der Hauptrolle. Man sieht dem 71-jährigen Iren mittlerweile an, dass er seit Jahren von einem Gegen-die-Uhr-Thriller zum nächsten jagt. Als gestresster Geschäftsmann und Familienvater fährt er in RETRIBUTION mit dem Auto durch Berlin, während unter seinem Fahrersitz eine Bombe tickt. Steigen er oder seine beiden Kinder aus, fliegt alles in die Luft. Sandra Bullock kann davon ein Lied singen.

Es holpert gewaltig

Für deutsche Zuschauer, besonders Berliner interessant: RETRIBUTION wurde komplett in der Hauptstadt gedreht. Der Grund dafür müssen wohl Fördergelder sein, denn außer der üblichen „Wie kommen die mit einem Schnitt von da nach da?“-Spaßfrage könnte die Handlung genauso gut in London, New York oder Kassel spielen. Die Besetzung ist durchweg international, gesprochen wird englisch.

Nimród Antal – den Namen muss man sich merken. Denn der Regisseur trägt wohl die Hauptschuld daran, dass RETRIBUTION so schlecht ist. Dialoge, Schauspiel, Inszenierung: Es holpert gewaltig. Immerhin funktioniert die unfreiwillige Komik. Statisten stehen verloren in der Szene, als würden Sie noch auf das „Action“ des Regisseurs warten oder overacten, als sei dies ein Stummfilm. „Dad! Daaad!!“ Die beiden Kinder sind so nervig, dass man sich schon nach wenigen Minuten fragt, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn das Auto bald in die Luft flöge.

Nicht mal die Actionszenen können überzeugen: Die Verfolgungsjagden sind lahm und unglaubwürdig inszeniert – oder stellt die Berliner Polizei bei einer Straßensperre tatsächlich ihre Autos mit so großen Lücken auf, dass selbst ein SUV locker durchpasst? Obwohl RETRIBUTION nur 91 Minuten lang ist, schleppt es sich dahin wie eine Trabifahrt. Vor allem das übererklärende Ende ist zum Einschlafen. Praktisch: Im Trailer sind sämtliche Highlights zu sehen, sodass man sich den Kinobesuch doppelt sparen kann.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Retribution“
USA / Deutschland / Frankreich / Spanien 2023
91 min
Regie Nimród Antal

alle Bilder © STUDIOCANAL

THE KING’S MAN – THE BEGINNING

THE KING’S MAN – THE BEGINNING

Kinostart 06. Januar 2022

Reden wir nicht lange um den heißen Brei: „The King’s Man – The Beginning“ ist totaler Schrott. Allerdings extrem unterhaltsamer Schrott. Die Grundidee, ein „Worst of Bösewichter“  – u. a. Rasputin, Mata Hari und Lenin (sic!) – gegen eine Gruppe von britischen Geheimagenten antreten zu lassen, weckt ungute Erinnerungen an den 2003er Flop „The League of Extraordinary Gentlemen“ – ein Film so schlecht, dass Sean Connery danach seinen endgültigen Abschied von der Schauspielerei bekannt gab.

„Kingsman: The Secret Service“ konnte 2014 vor allem mit anarchischer Energie und trockenem Humor überzeugen. „The Golden Circle“, drei Jahre später, war dann die höchst alberne, mit miserablen Computereffekten überladene Fortsetzung. Goodbye Colin Firth & Taron Egerton, Hello Ralph Fiennes. Das Prequel „The Beginning“ springt ein paar Jahrzehnte zurück und erzählt von der Gründung der Kingsman-Agency, Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei werden ganz nebenbei die politischen Verstrickungen aufgedröselt, die Auslöser für den 1. Weltkrieg waren. Die Geschichtsstunde bewegt sich allerdings auf dem Niveau einer Teletubby-Folge – Vereinfachung ist Trumpf.

Matthew Vaughn, der ewige Zweite unter den britischen Action-Regisseuren, bleibt seinem artifiziellen Stil auch im dritten Teil der Agentensaga treu. Wie sein großes Vorbild Guy Ritchie, bemüht er sich zwar in ein paar Szenen um etwas mehr Erdung (die Grabenkämpfe im 1. Weltkrieg erinnern fast an „1917“), doch besonders die Actionsequenzen sind derart übertrieben inszeniert, dass sie oft wie aus einem leicht veralteten Computerspiel aussehen. Die Schauspieler (bzw. ihre digitalen Doppelgänger) schlagen, treten, schießen und fliegen durch die Luft, ohne sich dabei um irgendwelche Gesetze der Physik zu scheren.

Aber was soll’s. „The King’s Man“ ist schließlich eine Comicverfilmung und kann sogar mit ein paar starken emotionalen Momenten aufwarten. Etwas, was in dieserart filmischer Kirmesattraktion angenehm überrascht. Die ehrenwerten Versuche, den Charakteren Leben einzuhauchen und ihnen ein wenig Dreidimensionalität zu verleihen, werden zwar verlässlich von komplett durchgeknallten Drehbuchideen wieder zunichtegemacht, doch wenigstens kommt durch diesen Wundertütenmix keine Langeweile auf. Und gegen zwei Stunden Eskapismus hat im trüben Januar niemand etwas einzuwenden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The King’s Man – The Beginning“
USA / GB 2021
131 min
Regie Matthew Vaughn

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT

HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT

Was wäre wenn?
Was wäre, wenn sich das Mädchen kein blaues Fahrrad zu Weihnachten gewünscht hätte? Was wäre, wenn der nette Herr nicht seinen Platz in der Bahn angeboten hätte? Wie harmlose Nichtigkeiten eine Kettenreaktion auslösen können, die in einer Katastrophe noch lange nicht endet, erzählt der Film „Helden der Wahrscheinlichkeit“.

Als er bei einem Zugunglück seine Frau verliert, kehrt der grimmige Armeeoffizier Markus (mit Raspelkurzhaarschnitt und Vollbart kaum wiederzuerkennen: Mads Mikkelsen) nach Hause zurück, unfähig, seinen Kummer zu verarbeiten oder gar seiner Tochter Trost zu spenden. Markus ist wütend und kennt für Probleme nur zwei Lösungen: zuschlagen oder erschießen. Auftritt Otto: Der Statistiker (famos: Nikolaj Lie Kaas) und seine zwei schrägen Kollegen Lennart und Emmenthaler behaupten, das Unglück sei in Wahrheit ein Attentat gewesen. Markus sieht Rot und beginnt einen Rachefeldzug.

Ja, das klingt wie der dreihundertsiebenundneunzigste Liam Neeson-Revenge-Thriller. Ist es aber nicht. Es wird zwar auch hier viel geschossen und getötet, doch „Ritter der Wahrscheinlichkeit“ ist keine US-Konfektionsware, sondern eine dänische Produktion mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle – und das sind schon zwei Faktoren, die spätestens seit „Der Rausch“ nur Gutes verheißen. „Helden der Wahrscheinlichkeit“ hat einen doofen deutschen Verleihtitel, ist aber eine intelligente und sehr komische Achterbahnfahrt durch verschiedene Genres. Ein Film über Verlust, Rachegelüste und unbewältigte Traumata mit großartig gezeichneten Figuren und Tiefgang. Regisseur Anders Thomas Jensen ist eine düstere, blutige Action-Komödie gelungen, die bewegt und oft laut Lachen lässt. Guter Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Retfærdighedens ryttere“
Dänemark 2020
116 min
Regie Anders Thomas Jensen
23. September 2021

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih und Splendid Film 

MADE IN ITALY

MADE IN ITALY

Die Zutaten für ein gelungenes Feel-Good Movie stimmen: italienisches Dolce Vita, laue Sommerabende und zuckersüße Romantik. Dass „Made in Italy“ trotzdem nur ein flaches Durchschnittsfilmchen geworden ist, liegt vor allem an der uninspirierten Regie von James D’Arcy. Keine Einstellung, keine Wendung der Geschichte – nichts, was man nicht schon woanders in origineller gesehen hätte.

Liam Neeson spielt den grummeligen Maler Robert, der sich nach dem Unfalltod seiner Frau vom gemeinsamen Sohn Jack entfremdet hat (fehlbesetzt, trotz Verwandtschaft ersten Grades: Neeson-Sohn Micheál Richardson).
Der Junior braucht dringend Geld, deshalb soll der seit Jahren brachliegende Familienbesitz in der Toskana veräußert werden. Natürlich ist das fantastische Haus in zunächst lachhaft desolatem Zustand (die Eingangstür fällt aus dem Rahmen, hahaha), und natürlich hat ein Trupp gut gelaunter italienischer Handwerker das ganze Anwesen subito pronti in einen feuchten SPD-Vorsitzenden-Traum verwandelt. Und weil „Made In Italy“ ein einziges Klischee ist, werden Vater und Sohn am Ende auch wieder dicke Freunde. Bauen macht eben glücklich, wußte schon Tine Wittler.
Was sonst noch fehlt:
Abendliches Pasta-Essen mit Rotwein im Kerzenlicht: ✅
Romantische Verwicklungen mit Happy End: ✅ ✅

Schade, dass „Made in Italy“ nicht mal ein befriedigender vorher/nachher-Heimwerker-Porno geworden ist. Die biedere Erzählweise erinnert an eine ZDF-Rosamunde-Pilcher-Verfilmung mit besserer Besetzung. Liam Neeson, für seine üblichen Actionrollen mittlerweile zu alt, schaltet in milden Charmemodus. Warum der irische Star diese Rolle angenommen hat? Sicher nicht wegen des hohen Anspruchs – der Amerikaner würde sagen: „He phoned it in“.  Vielleicht sah er in der Geschichte die Möglichkeit zur Katharsis (Natasha Richardson, seine Frau und die Mutter von Micheál kam – wie die Filmmutter – bei einem Unfall ums Leben). Vielleicht lockten aber auch schlicht das goldene Licht und die leckere Pasta in Italien. Wer könnte es ihm verdenken?

FAZIT

Immerhin möchte man trotz der mauen Story umgehend die Koffer packen – blöd nur, dass das gerade nicht geht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Made In Italy“
USA 2020
95 min
Regie James D’Arcy
Ab 20. Mai 2021 als digitale Heimkino-Premiere und ab 25. Juni 2021 als DVD, Blu-ray und Download erhältlich

alle Bilder © LEONINE

Hard Powder

Armer Liam Neeson. So wie der Bäcker, der jeden Tag die gleichen fünf Brote backt, oder die Aldi Kassiererin, die tagaus, tagein im grellen Neonlicht Waren über den Scanner zieht, muss auch der irische Superstar Langeweile verspüren. Seit Jahren spielt er den „Rächer mit dem guten Herzen“ im immer gleichen Film. Es schadet also nichts, wenn nach Taken 1-3, The Commuter, Non-Stop (und wie sie alle heißen) mal Abwechslung ins Spiel kommt.

Hard Powder ist tatsächlich nicht die übliche Fließbandware und um einiges origineller inszeniert, als die Zug/Flugzeug/Autojagden, bei denen Liam sonst seine Feinde platt macht. Ungewöhnlich schon die Locationwahl: ein im Tiefschnee versinkender Skiort in den Rocky Mountains. Hier pfeift von früh bis spät eine steife Brise, das hat beinahe Shining-hafte Atmosphäre. Nels Coxman (Liam Neeson) ist der örtliche Schneepflugfahrer und sorgt verlässlich für freie Straßen. Sein harmonisches Familienleben mit Frau und Kind wird jäh unterbrochen, als Drogengangster seinen Sohn ermorden. Genauso stoisch wie den Schnee beseitigt er daraufhin die bösen Buben und löst nebenbei noch einen blutigen Bandenkrieg aus – Blut auf Schnee macht sich immer gut.

Sein trockener, schwarze Humor hebt Hard Powder wohltuend von der sonstigen 08/15-Konfektionsware ab. Vielleicht liegt es ja tatsächlich, wie Liam Neeson im Interview vermutet, am europäischen Regisseur. Der Norweger Hans Petter Moland beweist mit dem US-Remake seines eigenen Films Einer nach dem Anderen (2014), dass es doch noch kleine Überraschungen im ausgelutschten Rächergenre zu entdecken gibt.

FAZIT

Besser als erwartet. Und macht neugierig aufs Original, das im Norwegischen den hübschen Titel „Kraftidioten“ trägt.

USA, 2018
119 min
Regie Hans Petter Moland
Kinostart 28. Februar 2019