DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT

Kinostart 02. Juni 2022

In einer der schönsten Szenen in diesem an schönen Szenen reichen Film knipst Julie einen Lichtschalter um, und plötzlich bleibt die ganze Welt (oder zumindest Oslo) stehen. Julie kann ungehindert durch die Straßen zu dem Mann laufen, den sie liebt und ihn küssen. Hach. Liebe. Überhaupt – die Liebe! „Der schlimmste Mensch der Welt“ ist einer der besten Liebesfilme der letzten Jahre, wenn nicht gar… Und wer sich als Zuschauer nicht unsterblich in die Hauptdarstellerin Renate Reinsve verliebt, der trägt ein Herz aus Stein in der Brust.

Regisseur Joachim Trier erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die versucht, ihren Platz im Leben zu finden. Gar nicht so einfach, denn Julie, die gerade 30 Jahre alt geworden ist, stürzt sich mit großer Begeisterung in immer neue Berufsziele und Beziehungen. Medizinstudium? Zu körperlich. Psychologiestudium? Zu geistig. Fotografin? Warum nicht? Oder doch lieber in einem Buchgeschäft arbeiten? Mit dem 14 Jahre älteren Comiczeichner Aksel lebt sie einigermaßen glücklich zusammen, doch mit dessen „erwachsenen“ Freunden wird sie nicht warm. Eines Tages schleicht sie sich heimlich auf eine Hochzeitsparty und lernt dort den lebenslustigen, gleichaltrigen Eivind kennen.

„Der schlimmste Mensch der Welt“ ist ein wunderbarer norwegischer Film, der alles in sich vereint, was einen Film sehenswert macht: Grandiose Schauspieler, eine zu Herzen gehende Geschichte, Ernsthaftigkeit, Menschlichkeit und Fantasie. In einen Prolog, 12 Kapitel und einen Epilog unterteilt, zeigt der Film Schlüsselmomente in Julies Leben – Momente, die über ihren weiteren Weg entscheiden, auch wenn sie das in diesem Augenblick selbst noch nicht realisiert.

Joachim Trier, der gemeinsam mit Eskil Vogt (Regisseur von „The Innocent“ – noch so ein großartiger skandinavischer Film) das Drehbuch geschrieben hat, umschifft gekonnt alle gängigen Liebesfilm-Klischee-Klippen und bleibt von der ersten bis zur letzten Szene wahrhaftig. Eine kluge, charmante Komödie, eine erotische Romanze, ein bittersüßes Drama – so viel Film fürs Geld. Wenn es die deutsche Synchronisation nicht wieder kaputtmacht, schon jetzt einer der besten Filme des Jahres.

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Originaltitel „Verdens verste menneske“
Norwegen 2021
121 min
Regie Joachim Trier

alle Bilder © Koch Films

DAS STARKE GESCHLECHT

Kinostart 26. Mai 2022

Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich

Zugegebenermaßen kein besonders origineller Ansatz, den 80er-Jahre-Hit für eine Filmkritik über einen Männerfilm zu zitieren. Aber hat Herbert Grönemeyer damals nicht schon alles Wissenswerte über das starke Geschlecht in seinem Lied gesagt?

Der Ablauf ist immer der gleiche: acht Männer – alle sitzen vor neutral schwarzem Hintergrund – werden in Einzelinterviews zu ihrer Sexualität befragt. Dazu müssen sie zunächst einen Text lesen, in dem andere Männer (anonym befragt) über ihre sexuellen Wünsche und Erlebnisse berichten. Da geht es unter anderem um Vergewaltigungsfantasien, Unterwerfung und Ähnliches. Ein Zwitter aus Dokumentarfilm und Versuchsanordnung: Die Kamera zeigt zunächst die Reaktion der acht Männer auf das Gelesene. Danach tragen sie den Text vor und werden anschließend vom Regisseur (der nur als Stimme aus dem Off zu hören ist) zu ihren eigenen Erfahrungen befragt. Unsicher, was Frauen wirklich wollen, sind sie alle, so viel sei schon mal gespoilert.

Ein leichter Beigeschmack von „bisschen zu gespielt“ stellt sich zwischendurch ein. Die Redner sind ungewöhnlich souveräne Selbstdarsteller, die sich ohne viele „ähs“ in druckreifer Sprache ausdrücken können. Eine Googlesuche ergibt: alle acht Männer sind entweder Schauspieler, Regisseure, Autoren oder zumindest medienerfahren. Möglicherweise fanden sich schlicht keine verunsicherten Normalos, die das Ausloten ihrer männlichen Seele in verständliche Worte fassen konnten.

Interessant wäre zu erfahren, wer sich für diesen Film ein Kinoticket kauft: Mehr Männer oder mehr Frauen? Es werden hoffentlich viele sein. Endlich mal eine Dokumentation, die keine Drohnenflüge über exotische Landschaften oder das Paarungsverhalten ausgestorbener Pandabären zeigt, sondern ein aufschlussreiches Experiment wagt. Das sollte an der Kinokasse belohnt werden.

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Deutschland 2021
102 min
Regie Jonas Rothlaender

alle Bilder © missingFILMs

ALLES IN BESTER ORDNUNG

Kinostart 26. Mai 2022

Es ist über 20 Jahre her, da lebte in der Wilmersdorfer Straße eine leicht verschrobene, ältere Dame, die einigen Berlinern als Moderatorin beim Offenen Kanal bekannt war. „Ich zeige Ihnen Blumen“ oder „Da ist noch eine Katze in der Fensterbank“ gehörten zu ihren berühmtesten Zitaten, die sogar von der Band Kissogram in einem Lied verewigt wurden. Was kaum jemand wusste (bis auf den Autoren dieser Zeilen, der in den 1990er-Jahren ihr Wohnungsnachbar war): Frau S. war ein Hamsterer – oder wie der Amerikaner sagt: Hoarder. Die Grenze zwischen Sammeln und krankhaftem Messietum sind fließend, in welche Kategorie Frau S. fiel, lässt sich nicht sagen, denn ihre Wohnung durfte niemand betreten. Nur einmal musste sie dem Heizungsmonteur Einlass gewähren, der danach fassungslos von meterhohen Zeitungsstapeln berichtete. Trotzdem standen immer wieder erstaunlich große Möbelstücke im Treppenhaus, die Frau S. dann bei einem kurzen Plausch als „viel zu schade zum Wegschmeißen“ erklärte und noch irgendwo zwischen der sonntagmorgens gespielten Hammondorgel und all den anderen Schätzen in ihrer Wohnung unterbrachte.

Auch Marlen (Corinna Harfouch) bewahrt ein ganzes Leben in ihren vier Wänden auf. Das Entsorgen von selbst hoffnungslos kaputten Gegenständen ist für sie undenkbar, denn sie hat „Mitleid mit Dingen“. Da niemand einen Film über eine verschmutzte „Kathedrale aus Kot“ sehen will (höchstens im Privatfernsehen, wo einst ein Badezimmer mit diesen blumigen Worten beschrieben wurde), ist in Natja Brunkhorsts Spielfilmdebüt alles viel netter als im echten Leben. Marlens Wohnung erinnert eher an ein gemütlich verwunschenes Second-Hand-Möbellager.

Ganz anders sieht es bei Fynn (Daniel Sträßer) aus, dem reichen 100 Dinge zum Leben (der durchschnittliche Europäer besitzt 10.000). In der spartanischen Behausung des Mathegenies, direkt über Marlens Wohnung, tropft der Heizkörper. Selbst ist der Mann: Einmal mit der Rohrzange nachziehen, schon steht alles unter Wasser. Und weil daraufhin die Handwerker wochenlang den Boden trockenlegen müssen, zieht Fynn kurzerhand bei Marlen ein (in Köln scheint es keine Hotels zu geben). Der Kontrollfreak und die Messiefrau. Die Zusammenführung der gegensätzlichen Charaktere wirkt zwar etwas konstruiert, doch das erste kritische Beschnuppern und der zaghafte Versuch, sich gegenseitig aus den festgezurrten Verhaltensmustern zu helfen, ist charmant und leichtfüßig umgesetzt.

„Alles in bester Ordnung“ ist ein reizender kleiner Film über zwei Außenseiter, die sich am Ende perfekt ergänzen. Schön, dass es mal keine alberne Romcom, sondern eine intelligente deutsche Komödie mit tollen Schauspielern ins Kino schafft.

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Deutschland 2021
96 min
Regie Natja Brunckhorst

alle Bilder © Filmwelt

DIE TÄUSCHUNG

Kinostart 26. Mai 2022

„Die Täuschung“ hat im Original den schön schrulligen Titel „Operation Mincemeat“. Mincemeat? Klingt widerlich, ist es auch. Wikipedia weiß: „Mincemeat ist eine Mischung aus klein gehacktem Trockenobst, Weinbrand und Gewürzen, die manchmal auch Rindernierenfett, Rindfleisch und Wildbret enthält.“ Ja, das hört sich nicht besonders lecker an. Aber warum sollte eine Aktion, bei der eine verweste Wasserleiche die Hauptrolle spielt, auch einen appetitlichen Namen haben?

Während des Zweiten Weltkriegs entwickeln die beiden Geheimdienstoffiziere Ewen Montagu und Charles Cholmondeley einen raffinierten Plan:  Ein an der spanischen Küste angeschwemmter Toter soll „geheime“ Dokumente bei sich tragen, in denen ein bevorstehender Angriff der Alliierten über Griechenland erwähnt wird. Die Papiere sollen den Nazis in die Hände gelangen, um vom tatsächlichen Angriffsort Sizilien abzulenken und so die Deutschen auf die falsche Fährte zu locken.

Der Spaß an diesem wahnwitzigen Täuschungsmanöver ist die Vorbereitung: Der Tote wird aufwendig mit einer erfundenen Biografie ausgestattet, Fotos und Briefe von seiner nicht existenten Freundin stecken in der Innentasche seines Jacketts. Wenn die schon sehr mitgenommene Leiche in Uniform für ein Passfotoshooting in Pose gesetzt wird, dann hat das „Weekend with Bernie“-Qualität. Die Top Secret Unterlagen, die unbedingt in die Hände der Deutschen gelangen sollen, werden wasserdicht in einer Aktentasche verstaut, die dem Toten ans faulige Handgelenk gekettet wird. Dass der in Wahrheit ein depressiver Selbstmörder war, der sich Wochen zuvor mit Rattengift umgebracht hatte, muss natürlich unter allen Umständen geheim bleiben.

Was soll da schon schief gehen? Ein feist produzierter britischer Spionagethriller, based on a true story – und dann noch mit Colin Firth in der Hauptrolle. „Die Täuschung“ ist angenehm altmodische, perfekt gemachte Kino-Unterhaltung.

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Originaltitel „Operation Mincemeat“
GB 2021
128 min
Regie John Madden

alle Bilder © Warner Bros.

TOP GUN: MAVERICK

Kinostart 26. Mai 2022

36 Jahre später setzt sich Tom Cruise noch einmal die Ray-Ban auf die Nase, bleckt die Zähne und steigt – pünktlich zu Christi Himmelfahrt – mit seinem Kampfjet in die Stratosphäre auf.

Der ewige Testpilot Pete „Maverick“ Mitchell wird nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten an seine alte Ausbildungsstätte strafversetzt. Dort soll er die zehn besten Top-Gun-Absolventen auf eine gefährliche Spezialmission vorbereiten. Angriff auf den Todesstern: Für ihren Einsatz müssen die Piloten eine langgezogene Schlucht in einer maximalen Höhe von 30 Metern durchfliegen, um dann ein unterirdisches Uranlager in die Luft zu jagen, und zwar schnell genug, bevor irgendjemand sie bemerkt und abschießt.

Nach mehreren covidbedingten Verschiebungen ist „Top Gun: Maverick“ endlich startklar und enttäuscht nicht. Cheesy 80er-Jahre-Synthiepop (Harold Faltermeyer hat den Soundtrack komponiert), echte Helden (plus eine Quotenheldin) und großes Pathos – die verbesserte Kopie des Originalfilms hat alles, was die Fans begehren.

Marvel-Superhelden-Filme seien „wie ein Besuch im Vergnügungspark“ , meckerte Martin Scorsese vor Kurzem – diese vermeintliche Kritik trifft hier ins Schwarze: „TG:M“ ist eine 130 Minuten lange Achterbahnfahrt mit jeder Menge Nervenkitzel und Adrenalin. Die Geschichte ist zwar vorhersehbar – das Uranlager ist nur ein klassischer MacGuffin, um möglichst spektakuläre Actionszenen zu rechtfertigen – und natürlich sieht das ganze zackige Salutieren wie ein Werbeporno für die US-Navy aus, doch das tut dem Spaß keinen Abbruch.

Alles richtig gemacht, „Top Gun: Maverick“ ist ein klassischer Actionfilm nach alter Schule. Wenn schon Sequels, dann bitte schön so. Selbst eingefleischte Pazifisten dürften an der waghalsigen Luftnummer ihre Freude haben.

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Originaltitel „Top Gun: Maverick“
USA 2021
130 min
Regie Joseph Kosinski

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

ONE OF THESE DAYS

Kinostart 19. Mai 2022

Nichts Geringeres als das in der US-amerikanischen Verfassung verankerte Streben nach Glück („Pursuit Of Happiness“) steht im Mittelpunkt einer Produktion, die – Corona sei schuld – erst zwei Jahre nach ihrem Berlinale-Erfolg ins reguläre Kino kommt: „One Of These Days“ – ein eindringliches Filmdrama um eine kuriose Kompetition, das auf wahren Begebenheiten basiert.

Alle Jahre wieder veranstaltet ein Autohaus in der texanischen Provinz seinen beliebten Ausdauerwettbewerb, bei dem zwanzig Menschen buchstäblich Händchen halten müssen – mit einem Pick-up. Der Gewinn ist zum Greifen nah, denn eben dieser Truck gebührt dem Ausdauerndsten, was dubiose Glücksritter anzieht, Späthippies oder verzweifelte Underdogs wie den jungen Familienvater Kyle (Joe Cole). Ein klassischer Antiheld, der im Durchhalten um jeden Preis seine einzige Chance auf ein vermeintlich besseres Leben sieht.

Die deutsch-amerikanische Ko-Produktion ist spätestens dann mehr als nur statisches Kammerspiel auf einem Parkplatz, wenn die Kamera die Protagonisten auch in ihre Pinkelpausen begleitet oder ins traute Heim. Wie das von Mittfünfzigerin Joan Riley (Carrie Preston), die als unermüdliches Missing Link zwischen Teilnehmern und Publikum des PR-Rummels fungiert – und in jeglicher Hinsicht als rechte Hand ihres verheirateten Chefs.

Mit einem hervorragend besetzten Ensemblefilm zeigt Wahlamerikaner Bastian Günther in Realityformat menschliche Tragödien von grenzenloser Gier und Sozialdarwinismus im Stil von „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Zunächst chronologisch erzählt, springt die Handlung zuletzt in die jüngere Vorvergangenheit zurück, was dem Unhappy Ending des Films eine bitter-süße Note verleiht und die abgedroschene Weisheit, der Weg sei das Ziel, unwiderruflich ad absurdum führt.

Anja Besch

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Originaltitel „One Of These Days“
Deutschland / USA 2022
120 min
Regie Bastian Günther

alle Bilder © Weltkino Filmverleih

DOG

Kinostart 19. Mai 2022

Channing Tatum legt mit „Dog“ seine erste Regiearbeit vor. Besonders mutig ist er dabei nicht, denn sein Film ist ein simpel gestricktes Roadmovie.

Ex-Army Ranger Jackson Briggs (Tatum) und Lulu (ein belgischer Schäferhund) haben es eilig, sie müssen es rechtzeitig zur Beerdigung eines Kameraden und Lulus Herrchen schaffen. Die beiden haben ohnehin nichts Besseres vor: Briggs ist arbeitslos, leidet unter den Folgen einer Kriegsverletzung und Lulu steht kurz davor, eingeschläfert zu werden. Die für Kriegseinsätze trainierte Hündin hat sich seit dem Tod ihres Herrchens in ein beißwütiges Ungeheuer verwandelt, das am besten mit Maulkorb in einen Käfig gesperrt bleibt. Briggs und Lulu gehen sich – wie es sich für eine klassische Romcom gehört – zunächst gehörig auf die Nerven. Während ihrer Reise treffen die beiden dann auf allerlei skurrile Mitmenschen, die einer nach dem anderen dazu beitragen, dass sich Hündin und Herrchen näher kommen. SPOILER: Am Ende des Roadtrips sind die beiden zu unzertrennlichen best buddies geworden.

„Dog“ erzählt die Geschichte zweier vom Krieg traumatisierter Lebewesen. Doch das unausgewogene Drehbuch wird dem Thema nicht gerecht. Besonders störend ist der oft unangebrachte Humor. Channing Tatum überzeugt zwar mit jeder Menge Charme, doch die Story bleibt zu oberflächlich und zu allem Übel hat Hund Lulu trotz des Namens keinerlei Lobi-Qualitäten.

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Originaltitel „Dog“
USA 2021
97 min
Regie Channing Tatum & Reid Carolin

alle Bilder © Leonine

X

Kinostart 19. Mai 2022

„Lustig!“ ist vielleicht nicht die Antwort, die die Mitarbeiterin des Verleihs auf ihre Frage, wie der Film gefallen habe, hören wollte. Vielleicht: Schockierend? Unheimlich? Düster? All das ist „X“ natürlich auch. Aber wenn sehr alte Menschen während eines Pornodrehs zu blutrünstigen Killern werden, dann ist das eben auch lustig.

Texas, Ende der 1970er-Jahre. Ein Independent-Filmteam will auf einer abgeschiedenen Farm in the middle of nowhere einen Film für Erwachsene drehen: „The Framer’s Daughter“. Doch schon die Begrüßung vor Ort fällt ausgesprochen feindselig aus: Mit geladenem Gewehr zeigen die greisen Vermieter deutlich ihre Abneigung gegen die „Städter“. Als das unheimliche Ehepaar dem pornographischen Treiben seiner Gäste auf die Spur kommt, hat das blutige Konsequenzen.

„X“ ist sowohl eine Hommage als auch eine gelungene Neuinterpretation klassischer Slasher- und Horrorfilme mit einer gehörigen Prise Arthouse. Dank zurückgenommenem Erzähltempo kann sich die Spannung immer weiter aufbauen, bevor das unvermeidliche Gemetzel beginnt. Die Gewaltszenen sind zwar blutig, aber nicht so widerlich, dass sensible Zuschauer schreiend den Saal verlassen müssen. Immer wieder gibt es Momente der Komik, was den Film wohltuend von den üblichen Schlachteplatten des Genres abhebt. Wem der Sinn nach gut gemachtem Retrosplatter steht, sollte sich „X“ nicht entgehen lassen.

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Originaltitel „X“
USA 2022
105 min
Regie Ti West

alle Bilder © Capelight Pictures

STASIKOMÖDIE

Kinostart 19. Mai 2022

Es sind schon mehr als drei Jahrzehnte vergangen, seit in Berlin-Lichtenberg die Akten geschreddert wurden. Zeit genug, sich über die Stasi lustig zu machen? Ja, doch, durchaus – findet Leander Haußmann und beendet (hoffentlich) seine durchwachsene DDR-Trilogie, die er mit „Sonnenallee“ und „NVA“ vor über 20 Jahren begann.

Ludger ist ein gewissenhafter junger Mann. Wenn das Ampelmännchen Rot zeigt, dann heißt das: Warten. Auch wenn weit und breit kein Auto am Leninplatz zu sehen ist. Dass das Beachten der Verkehrsregeln ein Gehorsamstest der Stasi ist, ahnt Ludger an diesem sonnigen Morgen noch nicht. Er soll als verdeckter Ermittler in die Künstlerszene am Prenzlauer Berg eingeschleust werden. Aushorchen, unterwandern und seinen Vorgesetzten Bericht erstatten – so sein Auftrag. In einer Rahmenhandlung erinnert sich der ältere Ludger – mittlerweile ein erfolgreicher Schriftsteller – an seine Vergangenheit und muss entscheiden, wie viel Wahrheit seine Familie verträgt.

Aus heutiger Sicht sind „Sonnenallee“ und „NVA“ Klamotten mit guten Darstellern – mehr nicht. Immerhin hat Theatermann Haußmann ein Händchen fürs Visuelle, auch „Stasikomödie“ lässt Staunen: Sagenhaft, wie echt das alles aussieht. Man fühlt sich glatt ins Ostberlin der 1980er versetzt, natürlich in eine künstlerisch verklärte Version der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Der Trabbi knattert durch die Dunckerstraße, vorbei an unsanierten Altbauten und im Hintergrund erhebt sich der Wasserturm im Abendlicht. Besetzung, Ausstattung, Kostüme, Setbau – da gibt’s nichts zu meckern.

Schauspieler gut, Bilder gut – was also stimmt nicht? Es ist wie immer Haußmanns unangebrachter Hang zum Volkstheater-Humor. Die alberne Witzigkeit ist zum Fremdschämen. 🎶 Dou-liou Dou-liou Dou-liou Saint-Tropez – Haußmann stellt seine Stasioffiziere zwar als genauso große Volltrottel wie Louis de Funès und seine Flics dar, doch mit der schrecklichen Wahrheit hat das nichts zu tun. Fatales Resümee: Am Ende war alles halb so schlimm, und wir sind doch alle ein bisschen Stasi.

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Deutschland 2022
116 min
Regie Leander Haußmann

alle Bilder © Constantin Film

MEINE SCHRECKLICH VERWÖHNTE FAMILIE

Kinostart 12. Mai 2022

Die drei Kinder des Geschäftsmannes Francis Bartek glänzen durch Faulheit und verschwenderischen Lebensstil. Statt etwas aus sich zu machen, werfen sie lieber das Geld aus dem Fenster, das ihr Vater hart erarbeitet hat. Zeit, der Brut eine Lektion zu erteilen.

Talent borrows, genius steals – wusste schon Oscar Wilde. So gesehen ist die französische Komödie „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ ein geniales Werk.

Die Parallelen zu „Schitt’s Creek“ sind nicht zu übersehen. Der Unterschied: In der preisgekrönten US-Serie verschlägt es eine ehemals steinreiche Familie in eine ländliche Kleinstadt, nachdem sie tatsächlich ihr ganzes Vermögen verloren hat. Bei „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ ist die unfreiwillige Begegnung mit (igitt) Arbeit und (igittigitt) normalen Menschen eine inszenierte Lehre fürs Leben. Der Vater dreht seinen drei schnöseligen Kindern den Geldhahn nur vorübergehend zu. Weniger Fallhöhe, eine Light-Interpretation von „Schitt’s Creek“ sozusagen.

Nicolas Cuches Komödie ist sehr, sehr leichte Kost und kippt oft ins Klamaukige. Die guten Momente werden unter einem Berg mäßig komischer Flachwitze vergraben. Immerhin gibt die sonnig-südfranzösische Atmosphäre schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den Sommer.

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Originaltitel „Pourris gâtés“
Frankreich 2021
95 min
Regie Nicolas Cuche

alle Bilder © TELEPOOL

SUN CHILDREN

Kinostart 05. Mai 2022

Ali und seine Freunde schuften den lieben langen Tag, um sich und ihre Familien zu ernähren. Der Alltag ist von Gelegenheitsjobs und kleinen Gaunereien bestimmt – Hauptsache, schnelles Geld verdient. Eines Tages wird Ali vom lokalen Drogenbaron mit einer eher ungewöhnlichen Mission beauftragt: Unter der Sun School soll sich ein Schatz verbergen, den es zu finden und zu heben gilt. Der 12-Jährige rekrutiert seine Jungs (in dem Fall wörtlich zu nehmen: Die drei sind echte Milchbubis), schreibt sich in der Schule ein und beginnt, in den Unterrichtspausen im Kellergewölbe unter dem Gebäude zu buddeln. Doch die illegalen Aktivitäten bleiben nicht unbemerkt.

Das Interessanteste an Filmen wie „Sun Children“, ist der Einblick, den sie in fremde Kulturen gewähren. Diesmal erfährt der Zuschauer einiges über Kinderarbeit und das iranische Schulsystem. Wieder was gelernt. Regisseur Majid Majidi widmet seinen Film den Millionen Kindern, die weltweit als illegale Arbeitskräfte eingesetzt werden. Lobenswert, dass er das nicht mit erhobenem Zeigefinger macht: die Geschichte erinnert an den Coming-of-Age-Klassiker „Goonies“ aus den 80er-Jahren. Majidi verbindet die Abenteuerstory mit einem ernsten Thema und schafft so eine überraschend unterhaltsame Erzählung mit Anspruch für Kinder und Erwachsene.

„Sun Children“ plädiert für das Recht auf Bildung, unabhängig von Herkunft und finanziellem Background. Da dies keine Hollywoodproduktion ist, lösen sich die vielfältigen angedeuteten Sozialprobleme nicht in Wohlgefallen auf. Jeder Funken Hoffnung verglimmt, der Film beginnt genauso düster wie er endet. Kein Happy End.

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Originaltitel „Khorshid“
Iran 2020
99 min
Regie Majid Majidi

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution