Better Man - Die Robbie Williams Story

BETTER MAN – DIE ROBBIE WILLIAMS STORY

Better Man - Die Robbie Williams Story

BETTER MAN – DIE ROBBIE WILLIAMS STORY

Robbie Williams macht sich in seinem Biopic BETTER MAN zum Affen.

Ab 02. Januar 2025 im Kino

Wichser, Narzisst, arrogantes Arschloch – Robbie Williams wurde schon vieles genannt. Warum er trotzdem oder gerade deswegen ein internationaler Superstar wurde, zeigt der autobiografische Film BETTER MAN.

Der Vater lässt die Familie sitzen, auf dem Sportplatz nimmt ihn keiner ernst – der kleine Robbie hat’s nicht leicht. Kraft geben ihm nur die Liebe seiner Großmutter und der Glaube, er sei zum größten Entertainer der Welt geboren. Und dann: Mit zarten 15 plötzlich Superstar. Von einem cleveren, nicht gerade netten Produzenten zusammengecastet, wird Take That DIE Boyband der 90er. Auf der Bühne fällt Robbie als hyperaktives Energiebündel auf, backstage bald als zugekokster Alkoholiker. Die kreativen Lorbeeren sackt Singer-Songwriter Gary Barlow ein, Robbie bleibt der nicht ernstzunehmende Spaßvogel. Während sich der eine bald ein Schloss mit Butler leisten kann, wohnt der andere noch bei seiner Mutter.

Better Man - Die Robbie Williams Story

BETTER MAN ist wirklich mal was Neues: Statt selbst vor die Kamera zu treten oder einen Look-Alike-Schauspieler zu casten, wird Williams von einem Affen gespielt. Klingt schräg – funktioniert aber. Robbie liefert nur die Stimme; sein Gesicht sieht man keine Sekunde. Mit viel Liebe zum Detail wurden Musikvideos, Covershots, Konzerte und TV-Auftritte mit dem Affen-Robbie nachgestellt. Nach ein paar Minuten hat man sich dank perfekter Tricktechnik von Weta („Herr der Ringe“, „King Kong“, „Planet der Affen“) daran gewöhnt und fragt sich bald, ob ein menschlicher Schauspieler den Film nicht um einiges banaler gemacht hätte. Ob das allerdings in der deutschen Synchro auch funktioniert, bleibt abzuwarten. Denn Robbies rotzige Sprechstimme macht einen großen Teil seines Charmes aus.

Better Man - Die Robbie Williams Story

Take That und die Solokarriere handelt der Film erstaunlich nebenbei ab. Viel mehr sind die Ängste, Depressionen und Süchte des „Prolls, der zu schnell alles bekommen hat“, (O-Ton Robbie in einem AA-Meeting) zentrales Thema. BETTER MAN funktioniert auf mehreren Ebenen: als mitreißende Musik-Show genauso wie als Blick in die gequälte Seele eines ewig Zweifelnden. Eine rasende Fahrt im Gegenverkehr mit Robbie am Steuer oder ein unendlicher Sturz durch Federfächer – der Film findet immer wieder ungewöhnliche Visualisierungen für das Popstar-Leben auf der Überholspur. Sehr gelungen auch, wie die größten Hits elegant in die Handlung eingebaut werden – das bewahrt BETTER MAN davor, nur ein bebildertes Best of Album zu sein.

Better Man - Die Robbie Williams Story

Meckern auf hohem Niveau: Insgesamt hätte man den Film um gut 15 bis 30 Minuten kürzen können. Und dass Robbie bei jedem Auftritt von inneren Dämonen verfolgt wird – hier als wütende Affen-Doppelgänger im Publikum dargestellt – hat man nach der siebenunddreißigsten Wiederholung wirklich verstanden. „Die Leute kaufen keine Tickets, um von deinen Problemen zu hören“, sagt Robbies Vater zu seinem Sohn, als der den Tiefpunkt seiner Drogenabhängigkeit erreicht hat. Wenn das wahr wäre, würde sich niemand diesen Film anschauen. Und das wäre wirklich schade.

Originaltitel „Better Man“
Australien 2024
134 min
Regie Michael Gracey

Better Man - Die Robbie Williams Story

alle Bilder © TOBIS Film GmbH

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Emilia Perez

EMILIA PÉREZ

Emilia Perez

EMILIA PÉREZ

EMILIA PÉREZ ist ein wuchtiges Musical mit Mut zum ganz großen Kitsch.

Ab 28. November 2024 im Kino

EMILIA PÉREZ ist ein Film, der das Publikum spalten wird: Die einen werden ihn hassen, die anderen großartig finden. Es wird viel gesungen, getanzt und gelitten. Aber ganz anders als sonst. Regisseur Jacques Audiard (Wo in Paris die Sonne aufgeht) schafft mit seinem Werk einen faszinierenden Widerspruch aus epischem Gefühlskino, Telenovela mit Tiefgang und düsterem Gangsterdrama. Bei Wikipedia wird der Film als „Musical-Komödie“ geführt. Das trifft es allerdings nicht. Es sei denn, es gibt noch einen zweiten Film mit demselben Titel, denn dieser hier ist definitiv keine Komödie.

Emilia Perez

Rita (Zoe Saldaña) arbeitet als Anwältin für eine große Kanzlei in Mexiko. Die meisten ihrer Klienten sind Schwerverbrecher. Eines Tages meldet sich der Drogenboss Juan „Manitas“ Del Monte (Karla Sofía Gascón) bei ihr. Er will untertauchen, beziehungsweise gleich ganz von der Bildfläche verschwinden. Sein Plan: Er möchte endlich als Frau leben und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen. Das Problem: Seine Frau Jessi (Selena Gomez) und die beiden Kinder dürfen nichts davon erfahren.

Emilia Perez

Choreografien und Musik sind mitreißend, die drei Hauptdarstellerinnen liefern grandiose Performances. Besonders Karla Sofía Gascón, die in der Rolle des Juan/Emilia sowohl als Mann als auch als Frau beeindruckt. Kein Wunder, dass sie zusammen mit Zoe Saldaña und Selena Gomez in Cannes als bestes Darstellerinnen-Ensemble ausgezeichnet wurde. Doch das hohe Niveau hält nicht über die gesamte Laufzeit. Während der Film furios beginnt und stark endet, schwächelt er in der Mitte. Besonders eine deplatzierte Karaokeszene mit Selena Gomez wirkt, als sei sie aus den Überbleibseln eines drittklassigen Musikvideos zusammengebastelt worden. Hier scheint Regisseur Audiard zwischendurch den Faden verloren zu haben.

Emilia Perez

Wenn La La Land für schöne Menschen in schöner Umgebung mit schönen Liedern steht, dann ist EMILIA PÉREZ das Gegenteil: leidende Menschen in düsteren Kulissen, die wütende Lieder singen. Trotz kleiner Schwächen bleibt es ein aufregendes Stück Kino und könnte für das Filmmusical so bahnbrechend sein, wie es Hamilton für den Broadway war.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Emilia Pérez“
Frankreich / USA / Mexiko 2024
130 min
Regie Jacques Audiard

Emilia Perez

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih und Wild Bunch Germany

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Back to Black

BACK TO BLACK

Back to Black

BACK TO BLACK

13 Jahre nach ihrem Tod kommt mit BACK TO BLACK ein Biopic über die britische Soul- und Jazzsängerin Amy Winehouse in die Kinos.

Ab 11. April 2024 im Kino

Back to Black

Mehr als 30 Millionen verkaufte Platten und ihr hochgelobtes zweites Album „Back To Black“ machen Amy Winehouse spätestens 2006 zum Superstar. Das Biopic BACK TO BLACK zeigt die entscheidenden Jahre in ihrer kurzen Karriere. Jahre voller Aufs und Abs. Hinter der erfolgreichen Fassade verbirgt sich eine junge Frau mit jeder Menge Probleme.

Schaler Beigeschmack

Matt Greenhalghs Drehbuch arbeitet sich relativ ideenlos am Privatleben der Sängerin ab. Auf jeden Lebenseinschnitt folgen ein Song und ein Tattoo. In der dauernden Wiederholung wirkt das banal. BACK TO BLACK ist in Zusammenarbeit mit der Winehouse-Familie entstanden. Das erklärt, weshalb Vater Mitch (Eddie Marsan) beinahe zur Heiligenfigur stilisiert wird. Demnach hat der ehemalige Taxifahrer immer nur das Beste für seine hochbegabte, aber labile Tochter im Sinn. Dass er sie im wahren Leben noch betrunken und mit Drogen vollgepumpt auf die Bühne schickt, schon ein Jahr nach ihrem Tod eine Biografie auf den Markt bringt und im letzten Jahr ihre Tagebücher veröffentlicht, verleiht dem Ganzen einen schalen Beigeschmack.

Back to Black

Den 60s-Look hat sie sich von ihrer Großmutter Cynthia (Lesley Manville) abgeschaut. Damit das jeder kapiert sagt Amy gleich in der ersten Szene: „You are my style icon, Nan.“ Dass Hauptdarstellerin Marisa Abela dem Original nur bedingt ähnelt – junge Frauen mit dickem Kajalstrich und Beehive-Frisur sehen ja irgendwie alle wie Amy Winehouse aus – muss man sich schöntrinken, immerhin liegt ihre Singstimme überzeugend nah am Original.

Back to Black

Das sind die undankbarsten Kritiken: Filme, die nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut sind. Meh. BACK TO BLACK ist mehr ROCKETMAN als mutiger Blick auf die düsteren Abgründe des Ruhms. Herausragend ist nur Jack O’Connell in der Rolle des verhängnisvollen Ehemanns Blake. Mit seinen Daniel-Craig-Vibes empfiehlt er sich als neuer Bond. Regisseurin Sam Taylor-Johnsons konventionelles Biopic bleibt zu glatt und gefällig. Dem Leben der von Dämonen geplagten Ausnahmekünstlerin Amy Winehouse wird sie damit nicht gerecht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Back to Black“
GB / USA 2024
122 min
Regie Sam Taylor-Johnson

Back to Black

alle Bilder © STUDIOCANAL

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ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED

ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED

ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED

ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED

Ab 25. Mai 2023 im Kino

Dok-Film über die Leiden der Starfotografin Nan Golding

Ihr Leben beginnt furchtbar und wird von da an immer schlimmer. Der Selbstmord der depressiven Schwester. Das Schweigen der Eltern. Der Lebensgefährte, der sie fast totschlägt. Die zahllosen Freunde, die ab den 1980er-Jahren der AIDS-Epidemie zum Opfer fallen. Dazwischen Jobs als Tänzerin in einem Stripclub, später als Prostituierte in einem Puff.

Sie ist ein Star in der modernen Kunstwelt

Der Titel legt es nahe: Neben Schönheit ist Blutvergießen das bestimmende Thema in Nan Goldings Leben. Die amerikanische Fotografin ist ein Star in der modernen Kunstwelt. Verwurzelt in der New Yorker No-Wave-Underground-Bewegung, hat sie die Fotografie revolutioniert. Mit ihrem herausragenden Gespür, den richtigen Moment einzufangen, widmen sich ihre Arbeiten Themen wie Sexualität, Sucht und Tod – voll schonungsloser Direktheit. 

Der Medikamentenhersteller Purdue Pharma treibt seit Mitte der 90er-Jahre Millionen Amerikaner in die Sucht. Eine davon: Nan Goldin. Nach einer Operation wird sie vom Schmerzmittel Oxycontin abhängig. Im Gegensatz zu vielen anderen schafft sie den Ausstieg. Seitdem setzt sie sich unermüdlich als Aktivistin gegen die Familie Sackler ein, die als Besitzer von Purdue Pharma maßgeblich für die Opioid-Epidemie verantwortlich ist (mehr dazu in der herausragenden Miniserie DOPESICK). Allerdings zählen die Sacklers auch zu den bedeutendsten Mäzenen weltweit, auf deren Unterstützung viele Künstler angewiesen sind. Das hält Golding aber nicht davon ab, durch couragierte Aktionen bekannte Museen dazu zu bringen, sich von den Sacklers zu distanzieren.

Sucht, Krankheit, Tod: Regisseurin Laura Poitras konzentriert sich in ihrem Dokumentarfilm stark auf Nan Goldings Leidensstationen, die Arbeiten der Fotografin bleiben fast Nebensache. So viel geballtes Unglück erfordert Durchhaltevermögen, auch vom Zuschauer.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „All the Beauty and the Bloodshed“
USA 2022
117 min
Regie Laura Poitras

alle Bilder © PLAION PICTURES

BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE

BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE

Kinostart 19. Januar 2023

Wer schon mal berauscht war, von welcher Droge auch immer – Adrenalin, Kokain, Serotonin – kennt dieses Gefühl. Die Zeit rast und scheint gleichzeitig stillzustehen. Eine Minute fühlt sich wie eine Stunde an, die Nacht wie ein Moment. „Babylon – Rausch der Ekstase”, der neue Film von Damien Chazelle („La La Land”, „Whiplash”) entlässt einen nach drei Stunden acht Minuten ähnlich betäubt und beschwingt. Amerikanische Zuschauer ließen sich vom Trailer täuschen – ein durchgedrehter Kostümschinken mit Elefant und Jazzmusik? Und blieben dem Epos fern. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

Was Hollywood prägt: Rassismus, Sexismus, Gier

Allein die ersten dreissig Minuten sind eine Party, bei der man vor lauter Sinneseindrücken kaum Luft bekommt. Doch genau dann, wenn es zu viel der Ekstase wird, legt Chazelle den Schalter um. Der Cast ist vorzüglich, Brad Pitt als verderbt melancholischer Douglas Fairbanks Typ am Ende seiner Karriere und Margot Robbie in der Rolle des süchtigen Starlets, die in ihrer modernen Aufmachung verstört und nicht nur Träumer wie Newcomer Diego Calva magnetisiert.

Chazelle will viel: eine Choreografie wie „Apocalypse Now” und hinter die Kulissen der Industry leuchten wie einst „Boogie Nights”. Er wirft alles in den Ring, was Hollywood immer noch prägt: Rassismus, Sexismus, Gier, sogar Tobey Maguire in einer widerlichen Gastrolle und klärt nebenbei noch ein paar Mythen auf: In der Stummfilmära gab es offenbar mehr Westernfilm-Regisseurinnen als hundert Jahre später, der Mullholland Drive war wirklich nur eine Schotterstraße und Filmkritikerinnen hatten Macht! Was sollen wir sagen: Wir haben uns prächtig amüsiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Babylon“
USA 2022
188 min
Regie Damien Chazelle

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

RACHE AUF TEXANISCH

RACHE AUF TEXANISCH

Kinostart 19. Januar 2023

„Nicht jeder weiße Mann aus New York braucht einen Podcast“ Produzentin Eloise (Issa Rae) ist zunächst wenig begeistert von Bens (B.J. Novak) Idee, die x-te Podcast-Serie über ein ungelöstes Verbrechen zu machen. Doch die Geschichte ist vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat.

Das Porträt einer „typisch“ texanischen Familie

Ben Manalowitz, ein selbstverliebter Redakteur für den renommierten New Yorker, erhält mitten in der Nacht einen Anruf. Abilene ist tot. Ben muss hektisch in seinen Kontakten suchen, um sich zu erinnern, wer Abbie überhaupt war – eine zufällige Sex-Bekanntschaft unter vielen. Doch ihre Familie glaubt, dass Ben die Liebe ihres Lebens war. Von den Tränen der Angehörigen erweicht, reist er nach Texas, nimmt an der Beerdigung teil und hält sogar eine Trauerrede. Abbie ist an einer Überdosis gestorben, doch ihr Bruder Ty (ausgezeichnet: Boyd Holbrook) glaubt, seine Schwester sei ermordet worden. Beweise hat er keine, nur ein Bauchgefühl. Deshalb will er Rache üben, Texas-Style. Ben wittert seine Chance, aus der Geschichte einen True-Crime-Podcast zu machen.

„Rache auf Texanisch“ ist eine Komödie, bei der nicht jeder Gag zündet und ein Krimi, der nur mäßig spannend ist. Aber vor allem – und das ist der interessantere Teil – das Porträt einer „typisch“ texanischen Familie, inklusive Rodeo, Waffenliebe und ungesundem Essen. Gleichzeitig wirft der Film einen Blick auf ein tief gespaltenes Land. Hier die vernünftigen Liberalen an Ost- und Westküste, dazwischen die rotnackigen MAGA-Idioten – so das allgemein verbreitete Klischee.

Ganz rund tickt das Regiedebüt des vor allem aus der US-Serie „The Office“ bekannten Schauspielers B.J. Novak nicht. Hinter vermeintlichen Hobos und Verschwörungsgläubigen verbergen sich mitunter liebenswerte Menschen, bei denen der Blick hinter die Fassade lohnt – eine etwas simple Erkenntnis. Aber der Regisseur und Drehbuchautor beweist ein gutes Händchen für Dialoge und Charakterzeichnung. In Zeiten, in denen Fakten oft als lästig empfunden und gerne für das eigene Narrativ verdreht werden, ist seine Botschaft, sich gegenseitig wieder etwas besser zuzuhören, nicht die schlechteste.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Vengeance“
USA 2022
111 min
Regie B.J. Novak

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

ATLANTIDE

Kinostart 08. September 2022

Bunt beleuchtete Motorboote fahren mit lauter Musikbeschallung durch nächtliche venezianische Kanäle. Das sieht zwar hübsch aus, ist für die Anwohner aber wahrscheinlich genauso enervierend wie die monströsen Kreuzfahrtschiffe, die bis vor Kurzem viel zu dicht an der Lagunenstadt vorbeiziehen durften. Regisseur Yuri Ancarani hat sich der eigenwilligen Szene aus jungen Männern und ihren Speedbooten drei Jahre lang angeschlossen und einen semi-dokumentarischen Film über sie gedreht.

„Atlantide“ könnte auch als Videoinstallation in einer Galerie oder als visuelle Begleitung einer Trance/Technoparty laufen. Dieser Stil kommt nicht von ungefähr, Yuri Ancarani ist ein italienischer Künstler, der sich komplett einer klassischen  Dramatik verweigert. Damit erinnert sein Film an Arbeiten des US-Regisseurs Larry Clark. Auch hier ist die Handlung eher eine dahingestreute Skizze von Liebe, Sehnsucht und Tod. Weil man es kaum besser beschreiben könnte, hier ein Auszug aus dem Pressetext:

„Dies ist kein Film über Venedig (…), sondern über seine „Backstreets“, die weiten Wasserwege der Lagune. Ancarani findet dort die seltene Schönheit einer kristallklaren Landschaft, die von einer Gruppe junger Leute bewohnt wird, deren Lebensinhalt es ist, Speedboote aufzumotzen und in einem Rhythmus aus Adrenalin und Chill-out zu leben.“

„Im Rhythmus aus Adrenalin und Chill-out leben“! Wer will das nicht? Weniger lyrisch ausgedrückt: „Atlantide“ ist ein audio-visuelles Erlebnis, ein softer LSD-Trip, untermalt von einem treibenden elektronischen Soundtrack, Hip-Hop und symphonischer Orchestermusik. Die stärkste Szene des Films (siehe Trailer unten) zeigt ein junges Mädchen, das im Drogenrausch auf einem Schnellboot durch das nächtliche Venedig gefahren wird und sich dazu ekstatisch bewegt. Aufregender wird es auch in den restlichen 100 Minuten nicht, darauf muss man sich einlassen wollen.
Jetzt noch mal in poetisch: „Atlantide“ ist ein kunstvoller Fiebertraum aus Musik, Licht und Farben.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Atlantide“
Italien / Frankreich / USA / Qatar 2021
104 min
Regie Yuri Ancarani

alle Bilder © Rapid Eye Movies

HOCHWALD

HOCHWALD

Lost in Südtirol. Mario (Thomas Prenn) schlägt sich mit Aushilfsjobs durchs Leben, in seiner Freizeit zieht er bunte Retro-Kleidung an und tanzt alleine in der Schulaula. Für die Einwohner in seinem streng katholischen Heimatdorf ist er eine spinnerte Dancing-Queen, auf so einen hat man gerade noch gewartet. Als Mario seinen Freund Lenz in Rom besucht, werden sie Opfer eines Terroranschlags in einer Schwulenbar.

Immer wenn er überfordert ist, zieht der heroinsüchtige Mario eine Faschingsperücke auf. Diese und viele andere Drehbuchideen erinnern daran, dass es sich bei „Hochwald“ um ein Regiedebüt handelt. Evi Romen hat ein gutes Gespür für Atmosphäre und inszeniert den Kontrast zwischen Dorfgemeinschaft und feindseliger Ausgrenzung glaubhaft. Doch die Regisseurin verzettelt sich im Laufe der Handlung zu sehr: Sexuelle Orientierung, Religion, Terrorismus und Drogensucht – die vielen komplexen Themen kann der Film nur streifen, das wirkt oft angestrengt. Im Interview sagt sie: „Das Weglassen ist mir sehr schwergefallen, weil ich sehr viel an sehr tiefen persönlichen Recherchen in dieses Projekt gesteckt habe und sehr viel Material hatte.“ Weniger wäre sehr viel mehr gewesen. Preise hat es trotzdem gehagelt: „Hochwald“ wurde mit dem Goldenen Auge des Zürich Film Festivals und dem Großen Diagonale Preis ausgezeichnet. Hauptdarsteller Thomas Prenn gewann den Österreichischen Filmpreis als „Bester männlicher Hauptdarsteller“.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Belgien 2020
107 min
Regie Evi Romen
Kinostart 07. Oktober 2021

alle Bilder © Edition Salzgeber

MUSIC

Zwei schlechte Schauspielerinnen auf der Höhe ihres Nicht-Könnens: Kate Hudson spielt, von einem frechen Kurzhaarschnitt entstellt, die Drogendealerin Zu, die unerwartet die Vormundschaft für ihre autistische Schwester Music (Maddie Ziegler) übernehmen muss. Zunächst völlig überfordert, schafft sie es mithilfe eines freundlichen Nachbarns, die schwierige Familiensituation zum Besseren zu wenden. Die Moral von der Geschicht‘ – an seinen Aufgaben wächst man.

Das Regiedebüt des australischen Multitalents Sia Furler besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Filmen, die weder für sich genommen und schon gar nicht als Ganzes funktionieren. Einerseits die Welt in Musics Kopf: Alberne Gesangs- und Tanznummern, als hätten die Kostüm- und Set-Abteilung gemeinsam einen LSD-Trip geschmissen. Andererseits die Welt da draußen: ein abgedroschenes Drama mit jeder Menge Anleihen an „Rain-Man“. Wie dort dient der autistische Charakter vor allem dazu, einen Egomanen zu läutern und zu einem besseren Menschen zu machen. Im Unterschied zu „Music“ konnte das Barry-Levinson-Drama von 1988 allerdings mit souveräner Regie und zwei herausragenden Darstellern punkten.

Maddie Ziegler fehlt das schauspielerische Können, dem autistischen Mädchen die nötige Authentizität zu verleihen. Die Entscheidung, Ziegler gleich in der Vorspann-Sequenz als „normale“ Person in einer Musicalnummer zu präsentieren, macht die Sache nicht besser. Danach sieht man nur noch das bemühte Schauspiel. Ein bisschen Schreien, kläffendes Lachen und mit gebleckten Zähnen in die Gegend starren genügen nicht, der Jungschauspielerin ihre Rolle abzunehmen.

„Music“ funktioniert höchstens als Vehikel für die Songs der australischen Sängerin Sia. Die sind schön catchy, den Rest hätte es nicht gebraucht.

FAZIT

Musikvideo mit eingeschobener Handlung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Music“
USA 2020
107 min
Regie Sia
ab 12. Februar 2021 als VoD
ab 05. März als DVD und Blu-ray

alle Bilder © Alamode

Climax

⭐️⭐️

21 Tänzerinnen und Tänzer feiern eine wilde Party,  am nächsten Tag soll es gemeinsam auf große Tournee durch Frankreich und die USA gehen. Doch die gute Stimmung kippt, irgendwer hat LSD in die Sangriabowle gemixt. Nach und nach beginnt die Droge zu wirken, aus Übermut wird Angst, dann Paranoia. Am Ende steigern sich Begehren, Hass und Brutalität bis zum Wahnsinn.

Zu Beginn könnte man noch denken, es handele sich um eine sehr coole Fortsetzung des „Step up“-Franchise. Die jungen, attraktiven Protagonisten werden zunächst in kurzen Interviewschnipseln vorgestellt. Darauf folgen zwei furiose Tanzszenen, bei denen man gar nicht glauben mag, dass Menschen zu solchen Bewegungen und Verrenkungen fähig sind. Dazu pumpt der 90er-Jahre-Soundtrack – das hat enorme Kraft.

Dann der Bruch. Kaum hat der unfreiwillige LSD-Trip begonnen, wird der Film zunehmend wirr und anstrengend. Der Versuch, den nur im Kopf der Protagonisten stattfindenden Höllentrip als wild durchchoreografierte Horrorsequenz auf die Leinwand zu bringen, scheitert weitestgehend. Quälend, dem immer irrer und brutaler werdenen Alptraum zuzuschauen. Das gewollte Schocken lähmt den Film und lässt das Interesse immer weiter sinken, bis man am Ende nur noch froh ist, dass es vorbei ist.

FAZIT

Zwiespältig. Die erste Hälfte mit ihren aberwitzigen Choreografien und interessanten Figuren ist grandios, die zweite Hälfte ein anstrengender Horrortrip – „Mother!“ für Fortgeschrittene.

Frankreich, 2018
Regie Gaspar Noé
95 min
Kinostart 06. Dezember 2018

Cobain

HARTES LEBEN

Mia säuft, raucht, ist heroinabhängig und hochschwanger. Eine traurige, gescheiterte Existenz.
Ihr 15-jähriger Sohn Cobain, benannt „nach einem Typen, der sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat“ – so seine eigene Einschätzung – ist ein ziellos umherirrender Teenager, der sich nach Liebe sehnt und sie nicht bekommt. Dem Jungen wird nichts geschenkt. Vom Pflegeheim für schwer Erziehbare, über eine Station bei Ökoeulen auf dem Bauernhof, bis zum Unterschlupf in der Wohnung des Zuhälters Wickmayer. Trotzdem besteht Hoffnung; Cobain kommt zwar aus zerrütteten Verhältnissen, seine Seele ist aber noch nicht vernarbt. Alles was er wirklich will, ist ein Zuhause mit seiner Mutter zu finden.

MACHART

Scheiß Pubertät! Ohnehin keine schöne Zeit im Leben, aber Cobain hat es extra schwer. Wer nach der Inhaltsangabe zum Strick greifen will: obwohl das Thema deprimierend und die Umsetzung dokumentarisch realistisch ist, vermeidet es der niederländische Film gekonnt, zu einem schwermütigen Psychogramm zu werden. Das liegt zum einen an der flirrenden, stets den Fokus suchenden Kamera von Frank van den Eeden. Aber vor allem an den beeindruckenden Schauspielern. Bas Keizer als Cobain und Naomi Velissariou als Junkie-Mutter sind echte Entdeckungen.
„Warum läufst Du mir wie ein Schoßhund hinterher?“, fragt Mia ihren Sohn. „Ich mache mir Sorgen um dich“, seine schüchterne Antwort. „Mach ich mir etwa Sorgen um dich? Na also!“
Der sechste Spielfilm von Nanouk Leopold ist eine außergewöhnliche Mutter-Sohn-Geschichte mit vertauschten Rollen. Happy End gibt es keins, aber selten gab es in einem Film ein solch hart erkämpftes, aber hoffnungsvolles Ende.

FAZIT

Keine leichte Kost. Berührender Film.

NL/B/D , 2017
Regie Nanouk Leopold
94 min
Kinostart 13. September 2018