ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS

ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS

Die Bestsellerverfilmung über zwei ungleiche Freunde will zu viel und scheitert daran.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

ChatGPT, fasse die folgenden 300 Seiten zusammen, unter Beibehaltung der Kernaussagen. Was mit Texten per KI halbwegs funktioniert, ist bei Buchverfilmungen immer noch ein Problem. Entscheidendes fehlt oder ans Herz gewachsene Charaktere werden gestrichen. Der Leser ist genervt. Bei ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS ist das Gegenteil der Fall – und nun, was soll man sagen? Das macht es auch nicht besser.

Reichlich uninteressante Nebenhandlungen

Der einzelgängerische Aristoteles und der flamboyante Dante könnten unterschiedlicher nicht sein. Trotzdem oder gerade deshalb werden sie beste Freunde. Die „vielleicht“ oder „vielleicht nicht“-Liebesgeschichte zwischen den Jungs, angesiedelt im Texas der 1980er-Jahre, hätte als Coming-of-Age-Film genügend Potenzial. Leider wurden noch reichlich uninteressante Nebenhandlungen über Aris im Knast sitzenden Bruder, den Tod einer lesbischen Tante, die AIDS-Epidemie, Probleme mit den Eltern, Trennungsschmerz, Homophobie und vieles mehr ins Drehbuch gepackt. All die Nebenkriegsschauplätze rauben der eigentlichen Geschichte die Luft zum Atmen. Dramaturgisch besonders ungeschickt: Dante zieht für ein Jahr nach Chicago und verschwindet damit für gut die Hälfte des Films. Kein Wunder, dass man spätestens dann das Interesse an der ohnehin nicht besonders knisternden jungen Liebe verloren hat.

Krampfige oder ins Nichts laufende Dialoge, Charaktere, die eingeführt werden und wieder verschwinden, beliebige Ausstattung und Kostüme. Der Film könnte 1985 oder genauso gut 2024 spielen. Die Besetzung geht in Ordnung (Eva Longoria bleibt als verständnisvolle Mutter fast ungenutzt), doch die guten Schauspieler können das überfrachtete Drehbuch nicht retten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Aristotle and Dante Discover the Secrets of the Universe“
USA 2023
96 min
Regie Aitch Alberto

alle Bilder © capelight pictures

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ALL OF US STRANGERS

ALL OF US STRANGERS

Zeitreise mal anders. Nicht im DeLorean auf brennenden Reifen zurück in die Zukunft, sondern als melancholischer Traum auf den Spuren der eigenen Kindheit.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

Adam ist einsam. Seine Eltern verlor er bei einem Autounfall, als er gerade mal zwölf Jahre alt war. Nun lebt der Drehbuchautor in einem gesichtslosen Hochhaus am Rande Londons. Auf dem Plattenspieler die großen Queer-Pop-Hits der 1980er-Jahre. Eines Abends klingelt sein Nachbar Harry an der Tür. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich rasch eine Beziehung, doch gleichzeitig wird Adam von Erinnerungen an die Vergangenheit heimgesucht. Immer wieder findet er sich in der Vorstadt wieder, in der er aufgewachsen ist. Im Haus seiner Kindheit leben seine Eltern noch genauso, wie vor 30 Jahren, nichts hat sich hier verändert. Das Wiedersehen jenseits von Zeit und Raum löst nicht nur bei Adam schmerzhafte Erinnerungen aus.

Der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen

ALL OF US STRANGERS ist eine melancholische Meditation über Verlust und Einsamkeit, die sich wie der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen anfühlt. Wunderbar unkitschig und herzzerreißend traurig, dazu mit umwerfenden Leistungen von allen Schauspielern. Neben Andrew Scott (dem Pfarrer aus FLEABAG) und Paul Mescal glänzen Jamie Bell und Claire Foy als (un)-tote Eltern. Wer bei den Gesprächen zwischen Vater und Sohn nicht mit den Tränen kämpft, hat kein Herz.

Für seine Studie über Vergebung und die Macht der Liebe findet der Film eine ungewöhnliche Erzählform, Kamera und Soundtrack sind herausragend. ALL OF US STRANGERS ist eine der schönsten Lebens- und Liebesgeschichten des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „All of us Strangers“
GB 2023
105 min
Regie Andrew Haigh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

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HÖR AUF ZU LÜGEN

HÖR AUF ZU LÜGEN

Ab 16. November 2023 im Kino

Eine traurige, aber unsentimentale Geschichte über die Zwänge der Moral – und deren Überwindung.

„Hör auf zu Lügen“, mahnt seine Mutter ihn. Dabei erfindet der junge Philippe Besson einfach nur gerne Geschichten. Er beobachtet fremde Menschen auf der Straße und fantasiert ihr Leben. Zu lügen hilft ihm, ehrlich zu sich selbst zu sein. Denn Philippe mag Jungs und das ist in einer kleinen französischen Provinz in den 1970er-Jahren ein echtes Problem. Im autobiografischen Roman „Hör auf zu Lügen“ erzählt Philippe Besson von seiner Jugendliebe.

Ein sehenswerter LGBTQ-Film

In Buch und Film heißt das Alter Ego des Schriftstellers Stéphane, ist 17 Jahre alt und schwer verliebt. Er fühlt sich von seinem Klassenkameraden, einem hübschen und bei den Mädchen beliebten Winzerssohn, angezogen und ist mehr als überrascht, als dieser sein Interesse erwidert. Thomas wird seine erste große Liebe. Doch diese Liebe muss im Verborgenen bleiben, denn Thomas verleugnet seine sexuelle Identität. Jahrzehnte später kehrt der inzwischen erfolgreiche Autor Stéphane zum ersten Mal seit seiner Jugend in sein Heimatdorf zurück. Kurz nach seiner Ankunft lernt er Lucas (Victor Belmondo) kennen und erfährt, dass der junge Mann der Sohn seiner großen Liebe Thomas ist. Eine Begegnung, die alte Wunden aufreißt.

Gerade das Buch zu Ende gelesen, schon kommt die Verfilmung in die Kinos. Was natürlich reiner Zufall ist, denn „Hör auf zu Lügen“ („Arrête avec tes mensonges“) hat Philippe Besson schon 2017 veröffentlicht. Wie das immer so ist, wenn die Zeit zwischen Lesen und Filmsehen zu kurz ist  – das Buch ist überlegen. Das hat man sich ganz anders vorgestellt – Regisseur Olivier Peyon erfindet Figuren dazu, verzichtet auf eine der drei Zeitebenen und gönnt seiner Hauptfigur mit einer leidenschaftlich vorgetragenen Rede ein unnötig versöhnliches, etwas kitschiges Ende.

Und trotzdem: HÖR AUF ZU LÜGEN lohnt sich. Das liegt vor allem an der zeitlosen, schnörkellos erzählten Geschichte und der Besetzung. Während die beiden jugendlichen Figuren in den Rückblenden eher blass bleiben, sind es besonders Guillaume de Tonquédec als älterer Stéphane Belcourt (aka Philippe Besson) und Victor Belmondo (unverkennbar der Enkel von Jean Paul), die die tragische Liebesgeschichte sehenswert machen. Buch wie Film sind ein Ersatz-Abschiedsbrief für den echten Thomas Andrieu, der sich 2016 das Leben nahm und Familie und Freunde ratlos zurückließ.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Arrête avec tes mensonges“
Frankreich 2022
98 min
Regie Olivier Peyon

alle Bilder © 24 Bilder

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ELEFANT

ELEFANT

Ab 24. August 2023 im Kino

Talent borrows, genius steals. Der auf Framerate oft zitierte Spruch passt wie die Faust aufs Auge zum polnischen Liebesfilm ELEFANT.

Ja, es ist wirklich unoriginell: In einer Kritik den gleichen Spruch zu verwenden wie schon (gefühlt) zwanzigmal zuvor. Aber es stimmt: ELEFANT klaut schamlos bei BROKEBACK MOUNTAIN, STADT LAND FLUSS und vor allem GOD’S OWN COUNTRY…und noch ein paar anderen „zwei schwule Männer in grandioser Naturkulisse“-Filmen. Es würde sich langsam eine Persiflage auf das immer gleiche Setting anbieten: Zwei Jungs, der eine zart, der andere kernig, verlieben sich against all odds and all Dorfbewohner. Das fade Landleben wird nach dem Besuch einer crazy Homo-Disco in der nächstgelegenen Großstadt infrage gestellt. So frei, so wild. Einerseits. Andererseits ist das Leben in der Natur mit Tieren (meist Pferde oder Kühe) auch schön. Am Ende bricht einer der beiden Jungs in die weite Welt auf, während der andere traurig zurückbleibt – oder seinem Liebsten folgt. The End.

Solche Filme kann es gar nicht genug geben

Der polnische Filmemacher Kamil Krawczycki hat in seiner Interpretation der immer gleichen Geschichte trotzdem vieles richtig gemacht. Vor allem mit der Wahl seiner Darsteller. Jan Hrynkiewicz und Pawel Tomaszewski bringen als Bartek und Dawid neben der erforderlichen cuteness auch eine charmante Zurückhaltung in ihre Rollen ein. Das ist nie übertrieben oder wirkt unglaubwürdig. Um die beiden glücklich Verliebten scharen sich ignorante Alte und homophobe Jugendliche ebenso wie extrem Verständnisvolle, die es sowieso schon immer gewusst haben. „Ich würde dich auch akzeptieren, wenn Du ein Elefant wärst!“, sagt die reizende Nachbarin, bevor sie Bartek einen kleinen Porzellanelefanten schenkt. Törööö, wie schön!

Im Ernst: Solcher Art Filme kann es gar nicht genug geben, besonders wenn sie aus rechts-konservativ regierten Ländern wie Polen kommen. Solange Homosexualität in Malaysia mit zwanzig Jahren Knast oder in Uganda sogar mit dem Tod bestraft werden, ist es noch ein weiter Weg zur toleranten Gesellschaft. ELEFANT ist zwar nicht der große Wurf, aber ein hübscher und vor allem stimmungsvoller Film mit Herz, positiver Botschaft und zum Glück Happy End.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Elefant“
Polen 2022
93 min
Regie Kamil Krawczycki

alle Bilder © Salzgeber

THE INSPECTION

THE INSPECTION

Ab 24. August 2023 im Kino

In Elegance Brattons autobiografischem Film trifft MOONLIGHT auf FULL METAL JACKET. Ein Militärdrama mit gay-twist.

Der schwule Afroamerikaner Ellis French (Jeremy Pope) wird mit 16 von seiner homophoben Mutter (Gabrielle Union) verstoßen, neun Jahre später lebt er noch immer auf der Straße. Seine letzte Chance sieht er ausgerechnet in der Verpflichtung bei den US-Marines. Er hofft, sich und seiner streng-religiösen Mutter zu beweisen, dass er mehr „als eine obdachlose Schwuchtel“ ist. Das mehrwöchige Bootcamp und ein besonders sadistischer Ausbilder drohen den jungen Ellis zu brechen.

Jeremy Pope liefert eine oscarwürdige Leistung ab

Der Film von Drehbuchautor und Regisseur Elegance Bratton ist eine halb-autobiografische Erzählung über seine Zeit bei den Marines im Jahr 2005. Frei nach der DADT-Regel („Don’t ask, don’t tell“) wurden Anfang des Jahrtausends beim amerikanischen Militär Homosexuelle geduldet, solange sie nicht darüber reden. Ellis’ Problem ist, dass man ihm sofort anmerkt, was Sache ist. Nach einer unglückseligen Versteifung im Duschraum wird er nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von seinen Kameraden schikaniert.

THE INSPECTION fühlt sich stellenweise ein bisschen klischeehaft an, vor allem der Ausbilder (Bokeem Woodbine) wirkt wie eine Persiflage auf den legendären Sergeant Hartman aus FULL METAL JACKET. Dieses kleine Manko machen aber die Schauspieler mehr als wett: Klares Highlight ist Jeremy Pope, der in der Rolle des queeren Soldaten eine oscarwürdige Leistung abliefert und auch Gabrielle Union ist als seine kalte, distanzierte Mutter ausgezeichnet.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Inspection“
USA 2022
100 min
Regie Elegance Bratton

alle Bilder © X-Verleih

SPOILER ALARM

SPOILER ALARM

Ab 04. Mai 2023 im Kino

Das wäre ja mal originell. Einen Film, der SPOILER ALARM heißt, ohne Spoiler zu besprechen. Warum das nicht geht? Weil die Zutaten der romantischen Tragikomödie spätestens seit LOVE STORY sowieso jeder kennt.

Im Leben wie im Filmgeschäft gibt es Doppelgänger. Als ARMAGEDDON 1998 in die Kinos kommt, war nur wenige Wochen zuvor DEEP IMPACT gelaufen. Zwei Filme mit gleichem Inhalt, der eine ein internationaler Erfolg, der andere bald vergessen. Ähnlich verhält es sich bei SPOILER ALARM. Vor kurzem lief die gay-rom-com BROS in den Kinos. Nun scheint es fast, als hätte man sich beim verantwortlichen Studio Universal Pictures gedacht: Machen wir den gleichen Film nochmal, nur in traurig.

Hoher Schnieffaktor

Wieder verlieben sich zwei Männer in einem Nachtclub. Der eine, Michael (Jim Parsons), ein Schlümpfe sammelnder Journalist, der andere, Kit (Ben Aldridge), ein attraktiver hunk. Es folgen ein paar peinliche Sexszenen. Kaum ziehen die beiden zusammen, gibt’s gesellige Abende mit  guten (Klischee)-Freunden am dinner table. Auch den Ausflug an die Küste inklusive hübschem Strandhaus hat man so ähnlich in BROS gesehen.

Ansonsten unterscheidet sich SPOILER ALARM wohltuend von seinem missglückten Doppelgänger, vor allem in Sachen Herzenswärme und Sympathie der Figuren. Michael ist ein Nerd, der sein Leben von Kindheit an als Comedy-TV-Show (inklusive Laugh Track) fantasiert. Das ist originell und hübsch meta, denn Hauptdarsteller Jim Parsons verdankt eben solch einem Format seinen Ruhm: THE BIG BANG THEORY.

SPOILER ALARM basiert auf dem Bestseller „Spoiler Alert: The Hero Dies“ von Michael Ausiello. In seinen Memoiren verarbeitet der Journalist den Krebstod seines Ehemannes. Dass die Geschichte schlecht ausgeht, verrät der Film schon in der ersten Einstellung. Nach dem Schnieffaktor während der Pressevorführung zu urteilen, sollte SPOILER ALARM unbedingt mit ausreichendem Taschentuchvorrat geschaut werden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Spoiler Alert“
USA 2022
112 min
Regie Michael Showalter

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

CONCERNED CITIZEN

CONCERNED CITIZEN

Kinostart 02. Februar 2023

Früher trugen sie Kittelschürzen und lagen mit Kissen im Fenster. Gleicher Inhalt, neue Verpackung: Heute sehen die neugierigen Nachbarn um einiges moderner aus. Zum Beispiel so wie Ben und Raz. Das schwule Paar hat gut bezahlte Jobs und wohnt in einem angesagten, von Migration geprägten Stadtteil Tel Avivs. Während sich die beiden auf dem Designersofa durch Fotos von potenziellen Leihmüttern klicken, werden auf der Straße Flüchtlinge von Polizisten zusammengeschlagen.

Eine zynische „White-Guilt-Trip“-Komödie

Seit vierzig Jahren kommt der Wedding. Sagt man. Ähnlich ewig vielversprechende Kieze gibt es offenbar auch in Tel Aviv. „In ein paar Jahren werden Sie das Viertel nicht mehr wiedererkennen“, versichert der Makler ein ums andere Mal. Doch Ben ist zusehends genervt und will weg. Ein Gefühl, das jeder Berliner nach der siebzigsten Graffiti Attacke auf die heimische Hauswand versteht.

Eine kleine Unachtsamkeit löst in Idan Haguels Film eine Kette von Ereignissen aus. Bens Weltbild gerät durch die brutale Realität ins Wanken. Von schlechtem Gewissen gequält, versucht er Wiedergutmachung. Regisseur Idan Haguel sagt, „Man kann den Fim als eine zynische „White-Guilt-Trip“-Komödie bezeichnen“ – oder als eine clevere Satire auf Gentrifizierung und die alltäglichen Probleme des Cis-Manns von heute.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Concerned Citizen“
Israel 2021
82 min
Regie Idan Haguel

alle Bilder © Salzgeber

BROS

Kinostart 27. Oktober 2022

„Bros“ ist leider kein Biopic über die gleichnamige britische Boygroup aus den 1980er-Jahren (When Will I Be Famous?), sondern eine nervige Gay-Rom-Com aus den USA.

Die im Stil einer 80er/90er-Jahre-Liebeskomödie gedrehte Satire auf eine Liebeskomödie aus den 80er/90er-Jahren leidet vor allem unter ihrer unsympathischen Hauptfigur. Bobby (Billy Eichner) ist ein dauersabbelnder Besserwisser, der sich nicht binden kann oder will. Eines Abends lernt er in einem Club den attraktiven Anwalt Aaron kennen. Der ist ein genauso großer Beziehungsmuffel, und so dauert es eine Weile, ehe die beiden zueinanderfinden. Auf dem Weg ins Glück wird pausenlos geredet. Geredet und geredet. Die eigentlich charmante Geschichte erstickt an ihrer penetranten Geschwätzigkeit, es ist kaum auszuhalten.

Ja, es gibt schon ein paar witzige Dialoge über straight actors, die in Hollywoodfilmen schwule Charaktere spielen, nur um einen Oscar zu gewinnen. Und auch der Gastauftritt von Debra Messing als Debra Messing hat komisches Potenzial. Doch die guten Szenen aus dem schwulen Alltag eines New Yorker Museumsdirektors werden unter einem Berg von zwanghafter LGBTQ+-political-correctness begraben. Dazwischen ein paar explizite Sexszenen, die leider auch noch lustig sein sollen – es aber größtenteils nicht sind.

Regisseur Billy Eichner macht Homophobie für den Kassenflop seines Films in den USA verantwortlich

„Bros“ will romantische Komödie, Satire, politisches Statement und LGBTQ+-Geschichtsstunde sein. Unter der Last geht dem Film bald die Puste aus und was anfangs noch für ein paar Lacher sorgt (wie die peinvollen Grindr-Dates der Hauptfigur), zieht sich ab der zweiten Hälfte furchtbar in die Länge. Zum Glück sind die Geschmäcker verschieden. Aber der einhellige Tenor nach der Pressevorführung überrascht dann doch: Wunderbar! Köstlich! Wahnsinnig lustig! Da fragt man sich: Haben die den gleichen Film gesehen?

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Bros“
USA 2022
115 min
Regie Nicholas Stoller

alle Bilder © Universal Picture International Germany

MONEYBOYS

Kinostart 28. Juli 2022

„Sei doch nicht so depressiv, lach doch mal.“ Ein guter Rat, den Fei leider nicht befolgen mag. Das Leben als schwuler Stricher in China ist eben kein Spaß: Die Freier sind ausnahmslos alt, brutal oder getarnte Undercover-Cops. Immerhin stimmt die Bezahlung, sodass Fei seine Familie auf dem Land finanziell unterstützen kann. Doch obwohl sie sein Geld gerne annehmen, führt ein Besuch im Heimatdorf zu Streitereien, denn der Verwandtschaft sind Gerüchte über Feis Einkommensquelle zu Ohren gekommen. Nur sein Jugendfreund Long stört sich nicht daran und folgt Fei in die Großstadt.

Regisseur C.B. Yi (der an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke studiert hat) interessiert sich in seinem Debütfilm neben der gesellschaftlichen Ausgrenzung – Homosexualität und Prostitution sind im Reich der Mitte illegal – auch für die Auswirkungen der Landflucht von Chinas Jugend. Not so funfact: Obwohl die Geschichte in Südchina spielt, musste in Taiwan gedreht werden – dem Filmteam wurde aufgrund des heiklen Themas die Drehgenehmigung verweigert.

Zwischendurch möchte man Fei in den (Knack-)Arsch treten, um ihn aus seiner lähmenden Passivität aufzuwecken. Das sehr langsame Erzähltempo (Szenen dauern mitunter Minuten, ohne dass etwas Erwähnenswertes passiert) sorgt für ein etwas zähes, aber visuell ansprechendes  Kinoerlebnis: Die Bildkompositionen von Kameramann Jean-Louis Vialard sind in ihrer strengen Ästhetik erlesen schön.

„Moneyboys“ gehört damit in die Kategorie der Filme, die einen Einblick in fremde Kulturen gewähren, ohne dabei mit übertrieben viel Geschichte zu fesseln. Dramaturgisch verwehrt sich Yi den üblichen Erzählweisen: Fei bleibt von der ersten bis (fast) zur letzten Einstellung vom eigenen Dasein gelähmt – auf Katharsis wartet man vergeblich.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Moneyboys“
Österreich / Frankreich / Belgien / Taiwan 2021
120 min
Regie C.B. Yi

alle Bilder © Salzgeber

BEYTO

BEYTO

Beyto ist guter Junge, lebt mit seiner türkischen Familie in der Schweiz. Eines Tages verliebt sich der schnuckelige Schwimmer in seinen Trainer Mike. Wie nicht anders zu erwarten, sind Anne und Baba wenig begeistert von der sexuellen Orientierung ihres Sohns. Eine hinterhältig geplante Zwangshochzeit in der Türkei soll den Junior wieder auf den rechten Pfad der Tugend zurückführen.

Wie ein Schweizer Uhrwerk ticken hier die Klischees im Sekundentakt. Gitta Gsell meint es gut, findet für ihren Spielfilm aber keine Struktur. Zu vieles wird angeteast und dann mir nichts, dir nichts als erledigt abgehakt. Probleme, gerade noch als unüberwindbar aufgebaut, lösen sich im nächsten Schnitt einfach auf. Es reicht eben nicht, Szenen aneinanderzuhängen und darauf zu hoffen, dass so ein Erzählfluss mit Spannungsbogen entsteht.

FAZIT

Schauspielerisch in Ordnung, holprig erzählt.

INFOS ZUM FILM

Schweiz 2020
98 min
Regie Gitta Gsell
Kinostart 01. Juli 2021

alle Bilder © Edition Salzgeber

NEUBAU

Markus spült Geschirr, bügelt seine Hose, raucht und trinkt Bier aus der Flasche. In der Kneipe traut er sich nicht aufs Männerklo, geht draußen in die Hocke und pinkelt. Markus war früher mal eine Frau. Ein Transmann in der Uckermark, hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seinen pflegebedürftigen Omas und der Sehnsucht nach einem anderen Leben in Berlin. Immer wieder erträumt er sich eine queere Familie, die ihn aus seiner Einsamkeit befreit. Sein eintöniges Dasein ändert sich erst, als er sich in den Fernsehmechaniker Duc verliebt.

Transsexualität in Brandenburg: Das klingt nach Ausgrenzung, Konflikten und Drama. Doch dafür interessieren sich Autor/Hauptdarsteller Tucké Royale und Regisseur Johannes M. Schmit herzlich wenig. Ihnen geht es um die stille Beleuchtung des Alltags. Und dafür lassen sie sich in ihrem minimalistischen Debütfilm viel Zeit. So langsam wie das reale Leben in Brandenburg, so langsam fließt auch ihr schwuler Heimatfilm dahin. Der Saarländische Rundfunk lobt, „Neubau“ entfalte sich „ohne dramaturgische Zuspitzungen“. Das stimmt – weniger euphemistisch könnte man das auch als langweilig bezeichnen.

Ganz und gar nicht langweilig dagegen ist die berührende Nebenhandlung von Markus und seinen beiden Großmüttern: Alma ist dement und entgleitet immer mehr dem Dasein, Sabine bereitet sich tapfer auf den Tod ihrer Freundin vor. Die stärksten Szenen des Films. Und allemal interessanter als das schon zu oft verfilmte Queer-Thema „schwuler Junge auf dem Land“.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
81 min
Regie Johannes Maria Schmit
ab 1. April online bei der queerfilmnacht und irgendwann im Kino, sobald es wieder möglich ist

alle Bilder © Edition Salzgeber

ALS WIR TANZTEN

Merab und Irakli studieren Tanz an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis. Die jungen Männer hoffen auf einen festen Platz im Ensemble. Für Merab ist es der einzige Ausweg aus einem Leben ohne Perspektive. Anfangs Konkurrenten, kommen sich die beiden bald näher, werden ein Liebespaar. Im homophoben Georgien müssen sie ihre Beziehung geheim halten.

Das Drama des schwedischen Regisseurs Levan Akin hält gekonnt die Waage zwischen mitreißenden Tanzszenen und authentischen Einblicken in das Alltagsleben Georgiens. Tiflis wird als marode Stadt gezeigt, in der trotzt Handy und Clubszene die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Hauptdarsteller Levan Gelbakhiani ist so knuffig, dass man ihn sich ohne weiteres ins Regal setzen könnte. Er tanzt und spielt die Verwirrung der Gefühle großartig.

Für die Dreharbeiten musste ein geändertes Drehbuch vorgelegt werden – im queer-feindlichen Georgien hätte es sonst keine Genehmigungen gegeben. Bei der Uraufführung versammelten sich hunderte nationalistische und orthodoxe Protestler, darunter auch einige Priester. Sie verbrannten eine Regenbogenflagge und zeigten Plakate wie „Stoppt LGBT-Propaganda in Georgien“ und „Homosexualität ist Sünde und Krankheit“.
Willkommen im Europa 2020.

FAZIT

Interessanter Blick in ein fremdes Land am Rande Europas.

Originaltitel „And Then We Danced“
Schweden / Georgien 2019
113 min
Regie Levan Akin
Kinostart 23. Juli 2020